Dienstag, November 26

Das Landesmuseum Zürich zeigt in einer grossen Ausstellung, wie die Schweiz in den Kolonialismus verstrickt war – und wie er bis heute nachwirkt.

Es war eine Peinlichkeit, die sich die damalige Bundesrätin Doris Leuthard auf einer Afrikareise leistete. Im Juli 2017 stand sie an der Küste der Stadt Ouidah in Benin, wo einst unzählige, aus dem Innern des Kontinents verschleppte Menschen als Waren verkauft und nach Übersee verschifft worden waren. Eine «Tragödie» sei das gewesen, sagte Leuthard. Und weiter: «Ich bin froh, dass die Schweiz sich nie an diesen Vorgängen der Sklaverei und des Kolonialismus beteiligt hat.»

Die Ignoranz der Bundesrätin ist nur ein Beispiel für die koloniale Amnesie, die lange auch in der Schweiz herrschte. Aber in den vergangenen Jahren hat sich einiges gewandelt, sind die globalen Verflechtungen der Vergangenheit zum Thema der Wissenschaft geworden. Unter der Formel «Kolonialismus ohne Kolonien» ist hierzulande viel geforscht worden, hat sich die Perspektive auf die eigene Geschichte erweitert. Die offizielle Schweiz verfolgte im Gegensatz zu anderen Kleinstaaten wie Belgien und Dänemark zwar nie koloniale Ambitionen. Und doch waren Schweizer Akteure ganz selbstverständlich Teil des westlichen Imperialismus in Afrika, Asien und Amerika – und damit Teil einer globalen Geschichte der Gewalt. Wie auch nicht?

Das neue Bewusstsein für diese Verstrickungen hat indes zu Irritationen und Empörung geführt. Kritiker sehen die Forschung als unnötige Selbstanklage. Aktivisten auf der Gegenseite versuchen mit Moralin politisches Kapital daraus zu schlagen, etwa bezüglich Reparationen und Restitutionen. Nun nimmt sich das Landesmuseum in Zürich in einer grossen Überblicksschau des Themas an. Und tut dies in einer wohltuend nüchternen Art, die der Versachlichung der Debatte nur dienen kann.

Treiber der Globalisierung

Die Schweizer waren nicht die Bösewichte der Kolonialgeschichte, aber sie waren Komplizen und Trittbrettfahrer mit nicht zu unterschätzender Wirkung. Anhand von elf «Handlungsfeldern» und vielen Fallbeispielen wird diese Geschichte museal inszeniert. Und gefragt, was das mit unserer Gegenwart zu tun hat, etwa mit Rassismus, Rohstoffhandel und Raubgut.

Schweizer Unternehmer und Handelshäuser geschäfteten ab dem 16. Jahrhundert erfolgreich in Kolonien, importierten und exportierten nicht nur Produkte – Zucker, Kaffee, Kakao, Tabak, Indiennes-Stoffe –, sondern zogen auch einen Transithandel für Rohstoffe auf. Geschmeidig bewegten sie sich, wie die Basler Missionsgesellschaft oder die Firma Volkart aus Winterthur, in den von den Grossmächten okkupierten Gebieten, fanden Nischen und vernetzten sich weiter, wurden Treiber dieser frühen Globalisierung.

Banken leisteten Finanzhilfe, wo Kapital nötig war. Rund 250 Unternehmen und Private, aber auch einige Gemeinden waren überdies in den transatlantischen Sklavenhandel involviert. Schätzungen gehen davon aus, dass sie an der Deportation von rund 172 000 Menschen beteiligt waren – von insgesamt wohl zwölf Millionen, die in Afrika versklavt wurden. Noch 1864 schrieb der Bundesrat, Sklaverei sei «eine Handlung, die kein Verbrechen involviert».

Schweizer Söldner, Ingenieure, Missionare, Naturforscher, Armutsmigranten und Abenteurer reisten in die aussereuropäischen Gebiete, siedelten, sammelten, wilderten, bekehrten, unterdrückten, töteten, liebten, starben. Wie zahlreich sie waren, lässt sich nicht eruieren. Aber es müssen Tausende gewesen sein. Und der Zugang war einfach: Die Kolonialmächte waren auf Siedler, Soldaten und anderweitig nützliches Personal angewiesen. Viele verliessen die Schweiz, um der materiellen Not zu entkommen. Von jenen, die in den Kolonialarmeen dienten, wurde die Mehrheit jedoch nicht reich – im Gegenteil: Etwa die Hälfte starb an Krankheiten oder als Folge der Kriegshandlungen. Aber es gab auch jene, die den Aufstieg schafften, wie der Bündner Bauernsohn Hans Christoffel, der 1886 in Indonesien als einfacher Soldat begann und nach Jahren voller Greueltaten als einer der höchstdekorierten Offiziere endete.

Auch das Leben als Siedler war geprägt von Gewalt, handelte es sich doch nur um vermeintlich unbewohntes Land. Wo Schweizer eine neue Heimat fanden, schlug sich das in den Ortsnamen nieder – Colonia Suiza General Dufour, Nova Friburgo, New Bern. Fotografien dokumentieren in der Ausstellung den Alltag auf den Plantagen und die Überlegenheitsvorstellungen gegenüber den «primitiven» Völkern. Es entstanden aber auch Beziehungen, aus denen Kinder hervorgingen. Einige von ihnen wurden bei der Rückkehr in die Schweiz mitgenommen: Der Nidwaldner Louis Wyrsch, der Anfang des 19. Jahrhunderts als Söldner in Borneo kämpfte, hatte einen Sohn namens Alois, der schliesslich der erste Nationalrat «of color» in der Schweiz wurde.

Blick für Ambivalenzen

Die Herrschaft und die Ausbeutung in den Kolonien wurden durch rassistische Theorien legitimiert, etwa von Rudolf Martin, einem Anthropologen aus Zürich, der einer der einflussreichsten «Rassenforscher» seiner Zeit war. Der Basler Carl Passavant verglich 1884 in seiner Dissertation Schädel von afrikanischen Menschen mit solchen von Affen – und schloss auf eine geringere Intelligenz als bei Weissen. Auch Naturforscher, die in die Kolonien reisten, um «neue» Tierarten zu entdecken oder «unbekannte» Gebiete zu erschliessen, trugen mit ihren Beschreibungen zu Stereotypisierungen bei, die von «edlen Wilden» bis zu «minderwertigen Rassen» reichten.

Im Landesmuseum wird dieser «koloniale Blick» auch anhand von Reportagen, Fotos und Filmen demonstriert, etwa jenen des Schweizer Flugpioniers Walter Mittelholzer oder des «Afrika-Experten» René Gardi. Wie wirkmächtig diese Bilder in der Schweizer Gesellschaft waren, zeigen Werbungen, Schautafeln in Schulzimmern oder Kinderbücher. Menschen aus den Kolonialgebieten waren zudem eine «exotische» Attraktion: Zwischen 1835 und 1964 sind in der Schweiz 500 sogenannte Völkerschauen dokumentiert – zur Belustigung und Befriedigung des Publikums.

Das Landesmuseum macht aber auch auf Ambivalenzen aufmerksam: Den Sklavenhandel prägten zum Beispiel auch die lokalen Eliten in Afrika und arabische Händler. Es gab in der Schweiz Bewegungen, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten oder die Kolonialverbrechen im Kongo skandalisierten. Die Missionare predigten den «Heiden» nicht nur das Evangelium, sondern setzten sich auch für Bildung und medizinische Versorgung ein. Dass die Schweiz infolge ihrer kolonialen Verflechtungen reich geworden ist, wie oft behauptet wird, lässt sich nicht belegen: «Einzelne Unternehmen und Familien haben zweifellos profitiert, während um 1900 der Grossteil der Bevölkerung noch arm und unterprivilegiert war», heisst es in der Ausstellung.

Vor allem aber zeigt das Landesmuseum, was war – auch wenn es erschütternd ist. In unseren sensiblen Zeiten gibt es die radikale Position, dass rassistische Stereotype nicht abgebildet werden sollen, da sie so reproduziert würden. Doch wie will man die Geschichte verstehen, wenn sie nicht sichtbar gemacht wird? Das dachte sich auch das Kuratorium: «Die Ausstellung enthält Objekte, Bilder und Begriffe, die rassistisch und diskriminierend sind. Sie sind historische Zeugnisse des damaligen westlichen Überlegenheitsdenkens», steht eingangs geschrieben. Als Konzession an den Zeitgeist gibt es ein Glossar, das über heikle Bezeichnungen aufklärt.

Kolonial – globale Verflechtungen der Schweiz. Landesmuseum Zürich, bis 19. 1. 2025.

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