Sonntag, September 8


Gartenbesuch

Einen Wintergarten, nein, keinen verglasten Anbau, sondern einen Garten mit Pflanzen so farbenreich fast wie im Sommer findet man in Cambridge. Hier werden alle Register gezogen, um möglichst jede im Winter blühende Pflanzenart so effektvoll wie möglich in Szene zu setzen.

Die Zeiten, in denen Gärten im Winter nur aus nackter Erde, halb verwesten Staudenresten und dem einen oder anderen immergrünen Strauch bestanden, sind vorbei. Wintergärten, also speziell für die kalte Jahreszeit angelegte Gärten, werden immer beliebter. Der Garten, mit dem dieser Trend begann, ist 45 Jahre alt, und man kann ihn noch immer besichtigen, im botanischen Garten der Universität Cambridge.

Der «Winter Garden» ist überraschend klein, ein längliches, von hohen Eibenhecken umgebenes Rechteck von etwa 2000 m2. Nur die Südseite ist offen und lässt die tief stehende Wintersonne hinein. Im Übrigen sind die dunklen Hecken der perfekte Hintergrund für ein beeindruckendes Farbspektakel. Augen, die auf die Blässe des Winters kalibriert sind, müssen sich erst einmal an die kräftigen Töne gewöhnen. Man steht in einer Welt, die so intensiv bunt ist, dass man sich fast fragt, ob hier mit der Sprühdose nachgeholfen wurde. Dabei ist alles komplett natürlich, nur sehr raffiniert arrangiert.

Der «Winter Garden» wurde 1979 von zwei erfahrenen Gärtnern des botanischen Gartens Cambridge angelegt. Peter Orriss und Norman Villis waren keine gelernten Gestalter, weshalb es besonders bemerkenswert ist, dass sie ein so prägnantes und stilbildendes Design schufen. Ihr Erfolgsrezept: unterschiedliche konzeptionelle Einflüsse geschickt kombinieren und damit intensivieren.

Bereits seit 1951 wurde in Cambridge eine beachtliche Pflanzensammlung gezeigt, die durch Farbe bzw. Struktur im Winter auffiel. Viele Pflanzen für den «Winter Garden» waren also schon vorhanden, nur dass sie noch in der klassischen Manier eines botanischen Gartens präsentiert wurden.

Entgegen der winterlichen Tristesse

Der Impuls für einen gestalterisch ganzheitlichen Ansatz kam von Adrian Bloom. Als Gegenentwurf zu den winterlich tristen Staudenbeeten in der Gärtnerei seines Vaters begann er in den 1960ern, winterblühende Heide (Erica x darleyensis) mit den unterschiedlichen Farben und Formen von Zwergkoniferen zu kombinieren. Seine Beete waren schillernde Farbenteppiche, die fast das komplette Spektrum enthielten: vom Weiss, Rot und Violett des Heidekrauts bis zum Gelb, Grün und Blau der Nadelhölzer.

Ein weiterer Impuls wird Lord Somers zugeschrieben. Er soll in seinem Garten Mitte des 19. Jahrhunderts erstmalig Weiden und Hartriegel effektvoll eingesetzt haben. Dabei machte er sich die Tatsache zunutze, dass die jungen Äste dieser Gattungen feurig leuchten, bevor sie mit dem Alter verblassen. In Gruppen eng nebeneinandergesetzt und jedes Jahr gestutzt, ergeben sich so farbige Schraffuren in der winterlichen Landschaft. Die Technik ist in Cambridge gleich mehrfach zu sehen. Weidenreiser, Hartriegel-Äste und auch die Ranken ungewöhnlicher Brombeerarten übernehmen hier eine optische Hauptrolle.

Gestalterisch muss sich der «Winter Garden» in keiner Weise vor der sommerlichen Konkurrenz verstecken. Wie aus dem Lehrbuch wurde hier das Prinzip kontrastierender Texturen und Strukturen angewandt, und zwar im Kleinen wie im Grossen. Kahle Laubbäume stehen wie Skulpturen über dem dichten Blattwerk niedrigerer Pflanzen. Im Detail faszinieren sie durch ungewöhnliche Rinden, strahlend weiss wie bei der Himalaja-Birke (Betula utilis), tief rot und wie Papier abblätternd beim Zimtahorn (Acer griseum).

Überhaupt werden hier alle Register gezogen, um möglichst jede im Winter bemerkenswerte Pflanzenart so effektvoll wie möglich zu präsentieren. Während man langsam durch den Garten geht und gar nicht weiss, wohin man zuerst schauen soll, bemerkt man plötzlich eine zusätzliche Erfahrungsebene: Duft. Seidelbast (Daphne bholua Jaqueline Postill), Fleischbeere (Sarcococca), Zaubernuss (Hamamelis), immer wieder gelangen neue Noten in die Nase. Dieser Garten ist auch nach 45 Jahren noch ein Lehrstück.

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