Nacheinander ziehen fünf Zürcher Gymnasien für drei Jahre auf das Hochschulgelände. Warum das eine Chance für Forschung und Lehre ist.

Es wird ein besonderer Umzug im doppelten Sinn. Am letzten Schultag vor den Sommerferien marschieren 2200 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten der Kantonsschule Zürich Nord mit 320 Lehrkräften und 60 Angestellten von Oerlikon auf den Milchbuck. Damit auch formal alles seine Richtigkeit hat, holte das Rektorat sogar eine Bewilligung ein, für eine Bildungsdemo.

Der Marsch ist nur der sichtbare Teil eines spektakulären Umzugs. Im Sommer zügelt das grösste Gymnasium der Schweiz für drei Jahre in ein Provisorium auf dem Campus Irchel, der grössten Schweizer Universität. In dieser Zeit wird das Schulhaus in Oerlikon aus den 1970er Jahren von Grund auf saniert.

Die Kantonsschule Zürich Nord ist nur eine von fünf Mittelschulen an drei Standorten in Zürich, die aus diesem Grund temporär auf den Irchel umziehen. 2027 bis 2030 folgen das mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium und das Realgymnasium Rämibühl, danach für drei Jahre die Kantonsschulen Enge und Freudenberg.

Sanierung hier und dort dringend

Diese Rotation ist aus der Not geboren. Die Schulhäuser mehrerer Zürcher Gymnasien aus den 1960er oder 1970er Jahren müssen auf eine Weise instand gesetzt werden, die unter Schulbetrieb nicht machbar ist. Gleichzeitig stammt auch die Universität Irchel aus dieser Zeit und ist baulich ein Sorgenkind.

Seit vor zwei Jahren die 5. Bauetappe bezogen wurde, mussten die zwei älteren Trakte, die dadurch frei wurden, zuerst aufwendig von Schadstoffen, teilweise aus den Chemielabors, aber auch von Asbest, befreit werden. Erst dann konnte man die Schulräume für die Gymnasien einbauen.

Die Universität muss steigende Studierendenzahlen bewältigen. Warum kann sie fast zehn Jahre lang diesen Platz entbehren? Rektor Michael Schaepman sagte dazu am Donnerstag vor den Medien, mit dem Bau des UZH-Forums im Zentrum sei die Logistik- und Bauabteilung ausgelastet. Dazu kommt die nächste Ergänzung des Campus Irchel um das «Portal», für das eben erst der Architekturwettbewerb abgeschlossen wurde.

Die Universität braucht auch im nächsten Jahrzehnt noch Rotationsflächen, um ihre Infrastruktur Schritt für Schritt sanieren zu können. So entstand die Idee, bis dann die zwei frei werdenden Gebäude auf dem Irchel den Mittelschulen zur Verfügung zu stellen. Andernfalls hätte der Kanton für die Zeit, in der die Gymnasien erneuert werden, mit viel Geld ein eigenes Provisorium erstellen müssen.

Provisorium als Chance

Doch das ist nur der bauliche Teil der Geschichte. Selbstverständlich nutzen die Verantwortlichen dieses räumliche Zusammenrücken von zwei Bildungsstufen als Chance, um in der Ausbildung neue Wege zu erproben. Das sei einmalig in der Schweiz, sagte Schaepman und sprach von einer Bereicherung für den Campus, auf dem sich heute schon jeden Tag etwa 6000 Personen aufhalten.

Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten erleben nicht nur den Hochschulbetrieb aus nächster Nähe. Sie sollen auch Möglichkeiten erhalten, Vorlesungen zu besuchen und sich an Forschungsprojekten der Universität zu beteiligen. Dafür ist der Campus Irchel, wo vor allem Naturwissenschaften gelehrt werden, besonders attraktiv. In den letzten Jahren ist an der Universität Zürich die Anzahl Studierender in diesen Fächern überdurchschnittlich angestiegen.

Die Hochschule ist laut Schaepman sehr daran interessiert, die Schnittstelle zwischen den Mittelschulen und der Universität zu verbessern. Er verspricht sich viel für die Ausbildung der Lehrpersonen. Angehende Mittelschullehrkräfte erhalten dank dem Gymnasium auf dem Campus unkompliziert Anschauungsunterricht und können Probelektionen erteilen.

Auch Andreas Niklaus, Rektor der Kantonsschule Zürich Nord, sprach angesichts des Personalmangels von einem willkommenen Talentschuppen für künftige Gymi-Lehrkräfte. Erste Treffen zwischen Uni und Mittelschule über die Zusammenarbeit hätten bereits stattgefunden.

«Die Gymnasien im Kanton Zürich sind im Aufbruch», sagte die Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte). Sie stellte das Vorhaben in den Zusammenhang mit der laufenden Reform der Matur in der Schweiz. Um die Gymnasien an die Bedürfnisse der Zeit anzupassen, sei es immer gut, über den Tellerrand zu blicken, wie das nun auf dem Irchel möglich sei. Wie die Rektoren erwartet Steiner, dass es gelinge, über die direkt beteiligten Institutionen hinaus Impulse auszulösen.

Eigene Mensa und separater Schulhof

Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sollen sich auf dem Campus durchaus mit den Studierenden mischen. Aber man habe es als wichtig erachtet, für die 12- bis 20-Jährigen einen eigenen Aussenraum herzurichten, betonte die Projektleiterin Britta Callsen vom kantonalen Hochbauamt. Der Innenhof zwischen den beiden zum Tierspital ausgerichteten Schultrakten ist deshalb eigens für sie gestaltet.

Für die nötige Infrastruktur ist gesorgt. Die Sportanlagen des Irchel-Campus werden derzeit ohnehin erweitert. Die Mittelschule erhält eine Mediathek und eine eigene Mensa. Und als Versuch neben gewöhnlichen Toiletten auch ein «WC für alle». Die Verkehrsbetriebe ergänzen nach den Sommerferien am Morgen den Fahrplan um zwei zusätzliche Tramfahrten von Oerlikon zum Irchel.

Die Unterrichtsräume sind weitgehend fertig, wie der Augenschein zeigte. Von den obersten Stockwerken aus blickt man über Zürich Nord und das Unterland. Das Provisorium soll als solches erkennbar bleiben, etwa anhand der Sperrholzplatten, welche die Wände der Zimmer bilden. Das Labormobiliar für den Naturkundeunterricht wurde soweit möglich von anderen Schulen übernommen.

Im Übrigen zügelt die Kanti Zürich Nord weitgehend ihr ganzes Material. Laut Rektor Niklaus geht es um ein Volumen von 5720 Kubikmetern. Dazu gehören 7 Flügel und 43 Klaviere. Der Umzug kostet 1,4 Millionen Franken, neben einem Logistikunternehmen engagierte man einen Umzugsplaner.

Die Schule habe die Gelegenheit ergriffen, Akten zu digitalisieren und sich von vielem zu trennen, was sich in Jahrzehnten angesammelt habe, sagte Niklaus. Ein Teil des Mobiliars wurde an Schulen in der Ukraine abgegeben.

Der eigentliche Umzug dauert länger als die Sommerferien, nämlich sieben Wochen. Deshalb müssen die Schülerinnen und Schüler in den letzten beiden Schulwochen extern an Exkursionen teilnehmen, Praktika absolvieren oder Arbeiten schreiben. In dieser Zeit packen die Lehrkräfte und Angestellten in Oerlikon alles in Kisten. Am 12. Juli steigt dort ein Fest, ehe alle gemeinsam zum Irchel-Campus aufbrechen.

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