Montag, Oktober 14

Seit Jahren schrumpfende Umsätze der Tessiner Migros-Genossenschaft, letztes Jahr gab es gar einen Verlust. Nun muss Mattia Keller die kleinste der zehn Migros-Regionalgenossenschaften auf Kurs bringen.

Es ist eine erfreuliche Nachricht aus einer Landesgegend, die in der Migros-Welt zu den Problemzonen zählt. Warenlieferungen für die Migros Tessin werden künftig bereits in Luzern nach Filiale geordnet zusammengestellt und per Zug in den Südkanton spediert. Dort müssen die Waren nur noch per Lastwagen feinverteilt werden.

Die Ankündigung von dieser Woche, die bis 2030 umgesetzt wird, zeigt: Es tut sich etwas in Sachen Zusammenarbeit unter den zehn Regionalgenossenschaften. Mit der Verlagerung eines Arbeitsschritts in die Zentralschweiz erspart sich die Migros Ticino Investitionen im zweistelligen Millionenbereich. Diese wären nötig geworden, wenn sie ihr eigenes Logistikzentrum erneuert und automatisiert hätte.

Das sind Mittel, die man jenseits des Gotthards bestens für anderes brauchen kann. Zum Beispiel für die Modernisierung des veralteten Filialnetzes. Hier hat die Migros Ticino 2022 einen Investitionsschub beschlossen.

Stagnierende Bevölkerung

Mattia Keller, der Ende 2021 neu angetretene Leiter der Regionalgenossenschaft, ist nicht zu beneiden. «Wir sind im perfekten Sturm», sagt er mit Blick auf die Situation im Tessiner Detailhandel.

Da wäre zum Beispiel die Entwicklung der Bevölkerung. Sie wuchs in den übrigen Migros-Regionen pro Jahr im Schnitt rund ein Prozent. Doch nicht im Tessin. Damit entfällt ein wichtiger Treiber, der in den letzten Jahren im Schweizer Detailhandel für Zuwächse sorgte.

Der Umsatz der Migros Ticino hingegen ist seit 2011 stetig zurückgegangen. Im Jahr 2023 lag er nur noch bei 439 Millionen Franken – fast einen Fünftel tiefer. Einzig die beiden Covid-Jahre 2020 und 2021 waren dank den Grenzschliessungen positive Ausreisser.

Und hier zeigt sich das Hauptproblem der Migros Ticino: der Einkaufstourismus. In keiner anderen Migros-Region sei das Phänomen so ausgeprägt, sagt Keller. Italien lockt mit tiefen Preisen und liberalisierten Öffnungszeiten, etwa am Sonntag.

Als reichten diese Argumente nicht schon, um für Einkäufe über die Grenze zu fahren, macht eine Neuerung der Regierung von Giorgia Meloni den Tessinern den Entscheid noch einfacher. Die Italiener haben den Minimalbetrag für steuerfreies Einkaufen gesenkt. Seit Februar reicht bereits ein Einkaufskorb von 70 Euro, um sich die italienische Mehrwertsteuer sparen zu können. Zuvor waren es 150 Euro.

Was entscheidet der Bundesrat?

In der Schweiz dagegen wird noch immer diskutiert, wie den Schweizern der Einkaufstourismus vergällt werden kann. Geplant ist eine Massnahme, die das Einkaufen im Ausland weniger attraktiv macht. Künftig soll für jenseits der Grenze gekaufte Waren bereits ab 150 Franken die Schweizer Mehrwertsteuer fällig werden. Bis anhin ist das erst ab 300 Franken der Fall. Noch ist diese Senkung der Wertfreigrenze allerdings nicht offiziell beschlossen. Der Bundesrat werde «zu gegebener Zeit» kommunizieren, heisst es in Bern.

Der Plan ist umstritten. Konsumentenschützer kritisieren die Verteuerung der Einkäufe, der Handel dagegen erhofft sich eine Abschreckung für Einkaufstouristen. Unter den Tessiner Detailhändlern sorgt es für Unverständnis, dass sich ihre Regierung mit Verweis auf einkommensschwächere Konsumenten nicht aktiv für die Massnahme einsetzt.

Wie eingetrübt die Aussichten sind, zeigte sich unlängst auch bei Manor, die im Tessin die Schliessung zweier Standorte angekündigt hat. Globus hat sich bereits Ende 2022 aus dem Kanton zurückgezogen.

Berufsoffizier und Galenica-Manager

Doch der Migros-Manager Keller kann nicht auf die Politik warten. Er muss seine Genossenschaft auf Kurs bringen: Sie hat 2023 sogar einen Verlust geschrieben. Um Bestehendes zu hinterfragen, dürfte es wohl ein Vorteil sein, dass er von aussen kommt. Nach einer Karriere als Berufsoffizier wechselte der Tessiner zum Pharmagrosshändler Galenica und war dort zuletzt für die Amavita-Apotheken verantwortlich. «Die Migros ist eine einzigartige Firma», sagt Keller. «Aber eine Injektion neuer Ideen ab und zu kann nicht schaden.»

Keller appelliert an die Bevölkerung, im Inland einzukaufen. Und er provoziert mit der Frage, wie lange der Tessiner Detailhandel überhaupt noch Schweizer Löhne bezahlen könne. Das ist insofern eine leere Drohung, als die Mindestlöhne bei der Migros national vorgegeben sind. Aber theoretisch gäbe es in der Lombardei mehr als genug Verkaufspersonal, das auch für weniger Geld bei der Migros Ticino arbeiten würde.

Mit Aufrufen ist es nicht getan. Um die Kundschaft im Tessin zu halten, sind Verbesserungen im Ladennetz nötig. Trotz schrumpfenden Umsätzen erwartet Keller keinen Rückgang bei der Anzahl Filialen, aber eine Tendenz zu kleineren Formaten, etwa um geografische Lücken zwischen grösseren Migros-Märkten zu schliessen.

Als Mitglied im Verwaltungsrat der Migros Supermarkt AG ist Keller zudem in die Diskussionen involviert, wie der Detailhändler die dort drin koordinierten gesamtschweizerischen Supermarkt-Aktivitäten effizienter aufstellen soll. Doch es gibt auch rote Linien. Auf die Frage, ob sich die Migros Ticino als kleinste Regionalgenossenschaft nicht sinnvollerweise mit einer anderen Genossenschaft zusammenschliessen sollte, winkt Keller ab: «Totgesagte leben länger.»

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