Mittwoch, Januar 15

Philippe Lazzarini wünscht sich, dass Bern im Nahostkonflikt eine stärkere Rolle spielt. Sein Auftritt in der Waadt verläuft turbulent.

Der Nahostkonflikt ist an diesem Sommerabend im Hafen von Lausanne-Ouchy weit weg. Die grösste Sorge der Organisatoren der 1.-August-Feier ist eine Gewitterwolke über den Jurahöhen bei Nyon. Vor der Bühne spielen Alphornbläser. Ein Food-Truck verkauft einen Hotdog namens «General Guisan». Es wäre eine Bundesfeier wie viele, wenn die Stadt nicht Philippe Lazzarini eingeladen hätte, den Chef des Uno-Hilfswerks für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Eine Organisation, die immer wieder heftige Kritik einstecken muss, namentlich wegen Verbindungen von Mitarbeitern zur Terrororganisation Hamas.

In Lausanne aber erntet der Gastredner Applaus wie ein Rockstar, als ihn ein Moderator ankündigt. Einige Palästinenserflaggen sind im Publikum zu sehen. Lazzarini sei einer der wenigen Schweizer, die an der Spitze einer Uno-Organisation stünden, lobt der Syndic Grégoire Junod (SP). Er hat den UNRWA-Chef im Namen der Stadt eingeladen. Junod erinnert in seiner Ansprache an das 75-Jahr-Jubiläum der Genfer Konventionen und die humanitäre Tradition der Schweiz – eine Tradition, die Lazzarini für die linke Stadtregierung beispielhaft verkörpert.

Von der Schweiz enttäuscht

Für Lazzarini ist es ein besonderer Auftritt. In Lausanne hat er einen Teil seines Studiums und den Militärdienst absolviert. Von seiner Heimat aber ist er enttäuscht, wie er kurz vor seiner Rede im Gespräch mit der NZZ klarmacht. Der Entscheid von Bundesrat und Parlament, dem UNRWA nur die Hälfte der bisherigen Mittel zur Verfügung zu stellen, hat ihn persönlich getroffen. Sein Land sei neben den USA das einzige, das den Beitrag reduziert habe, sagt er. Lazzarini hatte gehofft, dass die Schweiz wegen der humanitären Krise im Gazastreifen ihren Beitrag erhöhen würde, wie andere Staaten auch.

Stattdessen sucht die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats eine Alternative zur UNRWA. Sie verlangt vom Bundesrat, dass er sich in der internationalen Staatengemeinschaft für eine Nachfolgelösung einsetzt. Lazzarini hält davon wenig. Andere Uno-Agenturen hätten nicht die Kapazitäten, um die Arbeit der UNRWA zu übernehmen, sagt er. Die einzige Alternative wäre, dass sich die Schweiz für eine politische Lösung des Konflikts einsetze. Damit würde das Hilfswerk überflüssig.

Lazzarini hatte sich in letzter Zeit angriffig gegeben. Seinen Auftritt am Nationalfeiertag aber nutzt er nicht für eine Abrechnung. Vielmehr beginnt er seine Rede empathisch. Das humanitäre Völkerrecht werde heute mit den Füssen getreten, sei es in der Ukraine, im Sudan, in Myanmar oder in Gaza, sagt er. Die Menschlichkeit und die universellen Werte würden in einer zunehmend intoleranten Welt infrage gestellt. «Diese Intoleranz macht uns blind und hindert uns daran, das Leid des anderen zu sehen.»

Doch kaum hat Lazzarini seine Rede begonnen, wird er unterbrochen. Aus einem Teil des Publikums ertönen Buhrufe. «Terrorist!», brüllt ein Zuschauer, «Du hast Blut an den Händen!», ein anderer. Einige sind aus anderen Städten angereist, um gegen die Teilnahme des UNRWA-Chefs an der 1.-August-Feier zu protestieren. Sie halten Plakate in die Höhe, die an entführte Israeli erinnern oder Lazzarinis Organisation vorwerfen, die Hamas und den Antisemitismus zu unterstützen. Andere Teilnehmer versuchen, die Buhrufe mit Applaus zu übertönen. Sie haben ihrerseits Plakate mitgebracht, die Israel vorwerfen, im Gazastreifen einen Genozid zu verüben. Für einen Moment ist der Nahostkonflikt im Hafen von Ouchy angekommen.

Kritik an Israels Kriegsführung

Der Moderator erinnert daran, dass die freie Meinungsäusserung in der Schweiz ein Grundwert ist. Nach einem kurzen Unterbruch setzt Lazzarini seine Rede fort. Die schrecklichen Anschläge vom 7. Oktober hätten Israel und seine Bevölkerung für lange Zeit geprägt, sagt er. «Die Traumata reichen tief.» Aber diese Tragödie könne nicht jene des palästinensischen Volkes entschuldigen. Sie könne keinen Krieg ohne Gesetze und der Superlative rechtfertigen – was den Tod von Zivilisten, das Leid von Kindern und das Ausmass der Zerstörung angehe. «Gaza ist zu einer Hölle auf Erden geworden.»

Lazzarini schliesst seine Rede mit einem Aufruf, dass die Berner Diplomatie eine stärkere Rolle spielen solle. Eine selbstbewusste, proaktive Schweiz, die auf ihre Traditionen stolz sei, könne zur Lösung der komplexesten Krisen beitragen. «Helfen wir dem israelischen und dem palästinensischen Volk, einen Weg zu einem dauerhaften Frieden zu finden.» Die Lokalprominenz, für die Stühle bereitgestellt worden sind, erhebt sich. Lazzarini erhält viel Applaus, aber auch Buhrufe sind zu hören.

Nach der Rede singt eine Sängerin die Schweizer Nationalhymne. Die Stimmung beruhigt sich. Statt Transparente gegen die UNRWA und Palästinenserflaggen sind Schweizer Fähnchen zu sehen. Die Wolke ist über das Festgelände gezogen, ohne dass sich ein Gewitter entladen hätte. Lazzarini verlässt den Hafen von Ouchy in Begleitung einiger Zivilpolizisten und braust in einem SUV davon. Aus den Lautsprecherboxen ertönt Stephan Eichers «Déjeuner en paix».

Exit mobile version