Mittwoch, Oktober 30

In Spanien werden neuerdings die Gesprächsprotokolle zwischen Platz- und Videoschiedsrichter veröffentlicht. Dialoge aus einem polemischen Spiel von Real Madrid zeigen, wie sehr sich die Geister des Videobeweises verselbständigt haben.

Wer leitet ein Fussballspiel, der Schiedsrichter auf dem Platz oder der am Bildschirm? Seit der Einführung des Videobeweises beschäftigt diese Frage weltweit die Fans. Interessante Einblicke zu ihrer Beantwortung kommen nun aus Spanien.

Dort werden in einem europaweiten Pionierversuch seit zwei Runden alle Gesprächsprotokolle von Szenen veröffentlicht, bei denen der Videoreferee (VAR) den Platzschiedsrichter zu Überprüfung an den Monitor bittet. Wie auf Bestellung folgte vergangenen Sonntag die umstrittenste Ligapartie seit vielen Jahren: Dank drei VAR-Eingriffen drehte Real Madrid ein 0:2 gegen den Tabellenletzten Almería noch in ein 3:2.

«Ich empfehle dir einen ‹on-field-review›»: Mit diesem Anglizismus rief der VAR Alejandro José Hernández Hernández – ein erfahrener Fifa-Unparteiischer – den Platzschiedsrichter Francisco José Hernández Maeso – einen Neuling in La Liga – binnen zehn Minuten in der zweiten Halbzeit dreimal an den Bildschirm. Zunächst gab es daraufhin Handspenalty für Real zum 1:2, mit dem zweiten Eingriff wurde ein Tor von Almería zum vermeintlichen 1:3 aberkannt und mit dem dritten ein zunächst wegen Hands aberkanntes Tor von Real zum 2:2 für korrekt erklärt. Dreimal also revidierte sich Maeso auf Empfehlung des VAR.

Kleine Auswahl an Perspektiven

Dabei waren Maesos Ad-hoc-Entscheidungen auf dem Platz keineswegs unstrittig falsch gewesen. Experten und Berufskollegen analysierten vielmehr, dass er bei der ersten Szene richtig gelegen hatte. Nur bei der zweiten hielten sie die Korrektur nach Videostudium überwiegend für gerechtfertigt. Bei der dritten blieben die Meinungen auch etliche Stunden und unzählige Zeitlupen später geteilt.

Beim ersten Eingriff, der Penaltyszene, zeigte der Videoreferee dem Platzschiedsrichter eine kleine Auswahl von Kameraperspektiven und wies auf ein Hands eines Almería-Spielers hin. Er verlor hingegen kein Wort über vorangehende Foulspiele von Real, die für alle Experten die ursprüngliche Entscheidung Maesas gerechtfertigt hatten. «Warum werden dem Schiedsrichter nicht die anderen Kamerawinkel gezeigt?», fragte UD Almería in einer Reaktion auf seinem X-Konto.

Man muss hier keine Verschwörung sehen. Die geringe Auswahl an Perspektiven kann auch daran gelegen haben, dass Hernández die Eingriffszeit nicht ausufern lassen wollte. Die Verzögerungen sind ein anderer Kritikpunkt am VAR. Doch am Ende der Hauruck-Überprüfung stand in diesem Fall eine Fehlentscheidung. Die Episode illustriert insofern, wie sich der Videobeweis seine eigenen Probleme schafft.

Der Platzschiedsrichter als blosser Erfüllungsgehilfe

Beim dritten Eingriff, dem Tor 2:2 von Real, sagte der VAR zum Feldschiedsrichter zunächst: «Du solltest dir das Nicht-Handspiel noch einmal anschauen.» Bevor er sich korrigierte: «Das mögliche Nicht-Handspiel.» Schon in seinen ersten Worten liess Hernández seine Meinung erkennen. Danach erklärte er mehrfach apodiktisch: «Der Ball geht ihm an die Schulter.» Niemand sonst im Land sah die Szene so eindeutig. Der VAR Hernández überschritt klar die ihm zugedachten Kompetenzen.

Kurzer Rückblick: Der Videobeweis wurde ab 2016 nach jahrzehntelanger Ablehnung der Fussballbehörden vom selbsterklärten Fifa-Reformer Gianni Infantino forciert, um «klare und manifeste Fehlentscheidungen» korrigieren zu können. Doch die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) wussten um die Sensibilität der Angelegenheit. Besonders in einem Sport wie Fussball, in dem sich viele Szenen in einer Grauzone abspielen. Daher sollte die Technologie dem Platzschiedsrichter nur zur Überprüfung dienen und ihn keinesfalls seiner Autonomie berauben.

Acht Jahre später zeigen die Gesprächsprotokolle aus Spanien, wie sehr sich die gerufenen Geister verselbständigt haben. Jedenfalls am Sonntag in Madrid sass der eigentliche Spielleiter im Kabuff. Mit willkürlichen Ausschnitten und klaren Ansagen degradierte der erfahrene Hernández den jungen Maesa zum blossen Erfüllungsgehilfen.

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