Samstag, November 23

Deutschland hat nach einer dramatischen Vorgeschichte einen Haushalt für das laufende Jahr. Die Schuldenbremse wird zumindest vorerst eingehalten. Aber Spielräume gibt es keine mehr.

Es war eine Zangengeburt sondergleichen. Nach monatelangem Streit steht der deutsche Bundeshaushalt für das Jahr 2024. Am Donnerstagabend hat der Haushaltsausschuss des Bundestags den Etat mit den Stimmen der drei Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP und gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen CDU/CSU und AfD verabschiedet. Zwar muss der Haushalt noch vom Parlamentsplenum beschlossen werden, was für Anfang Februar geplant ist. Doch politisch dürfte die Saga zu Ende sein.

Schuldenbremse eingehalten

Laut dem Beschluss des Haushaltsausschusses kann der Bund im laufenden Jahr Ausgaben von rund 477 Milliarden Euro tätigen. Diese Summe kann er nicht voll aus Einnahmen und Rücklagen finanzieren, deshalb ist eine Nettokreditaufnahme von 39 Milliarden Euro vorgesehen. Das entspricht dem im Rahmen der Schuldenbremse maximal Zulässigen, die Obergrenze für die Neuverschuldung wird gerade noch eingehalten. In den 39 Milliarden Euro sind auch finanzielle Transaktionen von fast 17 Milliarden Euro enthalten – darunter eine Eigenkapitalerhöhung der bundeseigenen Deutschen Bahn –, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden (weil dem Kredit ein Vermögenswert entgegensteht).

Zum Vergleich: Gegenüber dem Sollwert für 2023 steigen die Ausgaben um 3,4 Prozent. Die Nettokreditaufnahme wiederum hatte letztes Jahr laut vorläufigen Angaben 27 Milliarden Euro betragen.

Sanktionen beim Bürgergeld

Im Schlussspurt der Verhandlungen über den Haushalt einigten sich die «Ampel»-Bundestagsfraktionen auf letzte Änderungen an dem im Dezember geschnürten Konsolidierungspaket. So verzichtet die Koalition unter anderem auf den ursprünglichen Plan, von der Bundesagentur für Arbeit Mittel zurückzufordern, die diese während der Corona-Pandemie erhalten hat. Das Vorhaben war auch auf juristische Bedenken gestossen.

Beim Bürgergeld (Sozialhilfe) bleibt es zwar bei schärferen Sanktionen, die zu Einsparungen führen sollen: Erwerbsfähigen Bürgergeldsbezügern, die die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit verweigern, können die Leistungen für maximal zwei Monate bis auf die Wohnkosten gestrichen werden. Die Massnahme wird aber neu auf zwei Jahre begrenzt. Danach läuft sie ohne erneuten Beschluss automatisch aus.

Schielen auf die USA

Die für dieses Jahr vorgesehene Wiederaufbauhilfe von 2,7 Milliarden Euro nach der Flutkatastrophe von 2021 im Ahrtal wird aus dem regulären Haushalt finanziert. Zunächst hatte die «Ampel» damit geliebäugelt, hierfür abermals eine Notlage auszurufen und den Betrag trotz seiner geringen Höhe durch eine Kreditaufnahme ausserhalb der Limiten der Schuldenbremse zu finanzieren.

Ob die Schuldenbremse im laufenden Jahr tatsächlich eingehalten wird, ist gleichwohl noch nicht sicher: Die Koalition behält sich vor, erneut eine Notlage zu erklären, sollte – zum Beispiel wegen des Ausfalls von Beiträgen der USA – mehr Geld für die Unterstützung der Ukraine nötig werden. Der Haushalt ist derart eng auf Kante genäht, dass für Zusatzausgaben kaum mehr Spielraum besteht.

Bauern enttäuscht

Zu den wichtigsten Massnahmen, die nicht zurückgenommen werden, gehört das schrittweise Auslaufen der Rückvergütungen für Dieseltreibstoff, der in der Land- und Forstwirtschaft verwendet wird (Agrardiesel). Diese Massnahme hatte die Bauernproteste der letzten Woche ausgelöst. Das Festhalten daran könnte laut Ankündigungen aus der Bauernschaft zu weiteren Aktionen führen. Die zunächst ebenfalls vorgesehene Streichung der Befreiung land- und forstwirtschaftlicher Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer hatte die «Ampel» schon Anfang Januar zurückgenommen.

Ebenso festgehalten wird an der Erhöhung der Ticketsteuer für Passagierflüge und der stärkeren Anhebung des CO2-Preises auf fossile Heiz- und Treibstoffe. Fliegen, Tanken und Heizen dürften damit tendenziell teurer werden. Auf der Ausgabenseite neu hinzugekommen ist eine weitere Milliarde Euro für klimafreundliche Neubauten.

Möglich geworden sind die Entschärfungen des Konsolidierungskurses dadurch, dass der Haushalt 2023 etwas besser abgeschlossen hat als budgetiert. Damit musste die Regierung 6,3 Milliarden Euro weniger aus der Rücklage entnehmen. Entsprechend mehr kann sie dieses Jahr daraus beziehen.

Der Leidensweg des Etats

Der Haushalt 2024 hatte den drei sehr unterschiedlichen Koalitionspartnern von Anfang an grösstes Bauchweh bereitet. Schon die Aufstellung des ursprünglichen Entwurfs führte zu Streit und Verzögerungen. Nur mit Mühe konnte der liberale Finanzminister Christian Lindner gegenüber den Sozialdemokraten und den Grünen Einsparungen durchsetzen, um trotz höheren Zinsen für die staatlichen Schulden die Schuldenbremse einhalten zu können. Die Bremse setzt der Neuverschuldung enge Grenzen.

Dem im Juli mühsam erarbeiteten Entwurf hat Mitte November ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Boden entzogen. Das Gericht erklärte einen Nachtragshaushalt für 2021 für verfassungswidrig. Vereinfacht ausgedrückt untersagten es die Richter, ungenutzte Ermächtigungen zur Aufnahme milliardenschwerer Notlagenkredite für Corona-Hilfen für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft umzuwidmen und für spätere Jahre «zurückzulegen».

Das hatte auch Auswirkungen auf den Haushaltsentwurf 2024, dem plötzlich 17 Milliarden Euro fehlen. Um die Lücke zu schliessen, einigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Lindner Mitte Dezember auf das erwähnte Konsolidierungspaket. Die vorgesehenen Ausgabenkürzungen und Einnahmenerhöhungen stiessen aber auf Kritik auch aus den eigenen Reihen und wurden seither in mehreren Schritten korrigiert.

Vor diesem Hintergrund kritisierte Christian Hause, haushaltspolitischer Sprecher der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion, am Freitag vor den Medien, der Etat sei in einem «vollkommen chaotischen Verfahren» entstanden. Die Haushaltspolitiker der drei Koalitionsparteien wiederum warfen an einer eigenen Pressekonferenz der Union «Arbeitsverweigerung» vor. Sie habe in den Verhandlungen alles kritisiert, aber kaum eigene Vorschläge eingebracht.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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