Montag, November 25

Der traditionsreiche Hersteller von Mett und Teewurst hat innerhalb von zehn Jahren einen beeindruckenden Wandel vollzogen. In der Schweiz sind nun die ersten Produkte verfügbar.

«Feierabend, wie das duftet, kräftig, deftig, würzig, gut!» Mit dieser Zeile hat sich der deutsche Wursthersteller Rügenwalder Mühle in den 1990er und 2000er Jahren in die Köpfe seiner Kundschaft gesungen. Ganz Deutschland kannte das Lied über die Streichwurst «Pommersche aus dem Buchenrauch, so räucherfrisch – und das schmeckt man auch».

Doch wenn es nach dem Unternehmen geht, duften deutsche Feierabende bald deutlich weniger deftig und würzig als noch vor 20 Jahren. Denn Rügenwalder Mühle zieht sich Stück für Stück aus dem Fleischgeschäft zurück. Mitte Januar teilte das Unternehmen mit, den Schinkenspicker, eine mit Schinkenstücken gespickte Fleischwurst, künftig nicht mehr herzustellen – zumindest nicht mehr in der Version aus Fleisch. In den Supermärkten gibt es nun nur noch vegane Schinkenspicker zu kaufen.

Ein rasanter Imagewandel

Rügenwalder Mühle ist ein Phänomen, das sinnbildlich für den Wandel der westlichen Essgewohnheiten steht. Das Unternehmen wurde 1834 als Fleischerei in der pommerschen Kleinstadt Rügenwalde (heute Darlowo, Polen) gegründet. Über Jahrzehnte hinweg stellte es Produkte wie Teewurst, Schinkenwurst, Mett, Frikadellen und Würstchen her.

Pommersche Werbung: Feierabend, wie das duftet (2008)

Das tut es auch heute noch. Doch vor zehn Jahren hat Rügenwalder Mühle, das seinen Sitz inzwischen in Niedersachsen hat, zusätzlich dazu mit der Herstellung von Fleischersatzprodukten begonnen. Damals sei das Unternehmen von vielen belächelt worden, schreibt der Geschäftsführer Michael Hähnel in einem Bericht. Doch im Geschäftsjahr 2021 machte Rügenwalder Mühle erstmals mehr Umsatz mit Fleischersatzprodukten als mit klassischer Wurst.

Bald gar kein Fleisch mehr?

Heute entfallen 60 Prozent des Umsatzes auf fleischlose Produkte, Rügenwalder Mühle hat 23 Fleisch- und Wurstwaren und knapp 50 vegetarische und vegane Produkte im Sortiment. Die durch die Einstellungen des Original-Schinkenspickers frei gewordenen Kapazitäten will das Unternehmen nutzen, um damit mehr veganen Aufschnitt herzustellen. Man orientiere sich an den Kundenbedürfnissen, so Rügenwalder Mühle in einer Mitteilung. Sollte die Nachfrage nach Fleisch weiter sinken, könnten auch andere Produkte eingestellt werden.

Laut dem CEO Hähnel ist die Verschiebung im Sortiment eine langfristige Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet. Sein Vorgänger Christian Rauffus sagte der «FAZ» 2016, er könne sich vorstellen, dass man in 20 Jahren ganz ohne Fleisch arbeite. Und auch Hähnel erklärte jüngst, irgendwann werde der Punkt kommen, «an dem wir uns fragen, ob Fleisch für uns wirtschaftlich noch Sinn ergibt».

Die Nachfrage ist leicht gesunken

Der Markt für Fleischersatzprodukte ist in Deutschland allerdings jüngst an eine Decke gestossen. Eine Studie des GfK Consumer Panel kam zu dem Ergebnis, dass der Hype vorerst beendet sei. Vor allem zwischen 2018 und 2021 war der Markt stark gewachsen. Im Jahr 2023 gingen sowohl die konsumierten Mengen pro Haushalt als auch die Ausgaben für die Produkte zurück.

Die Rügenwalder Mühle setzt darum auf Expansion – und will ihre fleischlosen Produkte in österreichische und Schweizer Supermärkte bringen. Im Mai 2023 beantragte das Unternehmen hierzulande Markenschutz für Fleisch- und Fleischersatzprodukte. Seit November gibt es bei der Migros die fleischlosen Schinkenspicker in den Sorten «Mortadella» und «Grillgemüse» sowie vegane Salami zu kaufen. Für Aussagen über den Verkaufserfolg ist es wohl noch zu früh. Die Migros teilt jedoch mit, die Artikel hätten sich seit der Lancierung erfreulich entwickelt und das Feedback der Kunden sei «auffallend positiv».

Wurstalternativen werden beliebter

Ob in naher Zukunft weitere Produkte den Weg in die Migros finden, lassen die beiden Kooperationspartner offen. Doch wenn Rügenwalder Mühle die Expansion ernst nimmt, kommt ein gewichtiger Konkurrent auf die Schweizer Hersteller zu. Mit einem Bekanntheitsgrad von 80 Prozent ist das Unternehmen in Deutschland die bekannteste Marke für Fleischersatzprodukte und mit einem Umsatzmarktanteil von 38 Prozent klarer Marktführer. Auf Platz zwei liegt Like Meat mit einem wertmässigen Marktanteil von 7 Prozent.

In der Schweiz sind die bekanntesten Vegi-Marken die Eigenmarken von Coop und Migros (Karma und V-Love) sowie Alnatura, Planted und Garden Gourmet von Nestlé. Allerdings fristet der Markt hierzulande, ähnlich wie in Deutschland, nach wie vor ein Nischendasein: 2020 machte der Umsatz in diesem Segment nur 2,2 Prozent des gesamten Fleischmarktes aus.

Und auch in der Schweiz ist der Umsatz mit Fleischersatzprodukten jüngst leicht zurückgegangen. Laut einer Analyse des Marktforschungsinstituts Nielsen sank er 2023 um 1,5 Prozent auf 86,8 Millionen Franken. Ein Bereich ist allerdings weiter gewachsen: Wurst- und Charcuterie-Alternativen. Im vergangenen Jahr verdrängten Wurstalternativen fleischlose Burger aus den Top drei der Produkte, davor kommen Geschnetzeltes und Schnitzel.

Wurstersatz liegt neu auf Platz drei

Umsätze in Mio. Fr. im Schweizer Fleischersatzmarkt

Produkte mit Laborfleisch in Planung

Das dürfte damit zu tun haben, dass Wurstprodukte wie der Schinkenspicker stark verarbeitet und daher relativ leicht in vegetarischer Form authentisch herstellbar sind. In Befragungen geben Kunden meist Faktoren wie Konsistenz und Geschmack als Grund dafür an, weniger Fleischersatzprodukte zu kaufen.

Für Rügenwalder Mühle sind das gute Nachrichten, die Produkte haben wegen ihres authentischen Geschmacks einen guten Ruf. Um dem Fleischgeschmack noch einen Schritt näherzukommen, hat das Unternehmen eine Kooperation mit dem Schweizer Startup Mirai Foods abgeschlossen. Das Unternehmen mit Sitz in Wädenswil arbeitet an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch im Labor. Für Rügenwalder Mühle forscht es an einer Art Hybridprodukt: Das bisher in pflanzlichen Produkten verwendete Kokosfett soll in naher Zukunft durch kultiviertes tierisches Fett ersetzt werden, um den Geschmack weiter zu verbessern.

Bis jetzt fehlt für Laborfleisch in der Schweiz und im Rest Europas die Zulassung. Sollte diese allerdings kommen, könnte die Prognose von Rügenwalder Mühle wahr werden – und tierisches Fleisch für den Konzern obsolet.

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