An den Finanzmärkten spielen sich massive Verwerfungen ab. Marc Chandler, Chefstratege beim Devisenhändler Bannockburn Capital Markets, äussert sich zur Schwäche des Dollars, zur Aufwertung des Schweizer Frankens und zur Neuordnung des globalen Handelssystems durch die US-Regierung unter Präsident Donald Trump.
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Das Beben zieht immer grössere Kreise. Zuerst erschütterte der Handelskrieg von US-Präsident Donald Trump Aktien, dann wurden Anleihen erfasst, und jetzt greifen die Verwerfungen auch auf die Devisenmärkte über. Der Dollar steht schwer unter Druck. Handelsgewichtet hat die US-Valuta seit Mitte Januar fast 10% verloren. Derweil wird der Schweizer Franken seinem Ruf als sicherer Hafen gerecht und zieht kräftig an.
Marc Chandler, Chefstratege des Devisenbrokers Bannockburn Capital Markets, glaubt, dass Amerikas chaotische Zollpolitik das Ende der grossen Dollar-Hausse besiegelt. Die Tragweite der derzeitigen Ereignisse sei grösser als der Nixon-Schock Anfang der Siebzigerjahre, als die Bindung des Dollars an den Goldpreis gekappt wurde. «Es geht nicht nur um die Zölle, sondern um eine Neuordnung der Weltwirtschaft, die am 20. Januar mit dem Antritt Trumps eingeläutet wurde», sagt er.
Der Amerikaner mit mehr als dreissig Jahren Erfahrung an den Devisenmärkten äussert sich im Interview zur Abwertung des Dollars, zur Stärke des Frankens und zum wachsenden Risiko, dass die Handelspolitik der US-Regierung die Wirtschaft in eine Rezession drückt.
Herr Chandler, wie nehmen Sie die derzeitigen Verwerfungen an den Märkten als Devisenspezialist wahr? Manche vergleichen die Ereignisse der vergangenen Tage mit dem Nixon-Schock im August 1971.
Die Tragweite ist sogar noch grösser. Es geht nicht nur um die Zölle, sondern um eine Neuordnung der Weltwirtschaft, die am 20. Januar mit dem Antritt von US-Präsident Trump eingeläutet wurde. Die Welt, in der wir, unsere Eltern und Grosseltern aufgewachsen sind, ändert sich fundamental. Sie war geprägt von einem System, das von Amerika angeführt wurde und auf einem multilateralen Ansatz mit globalen Institutionen wie der Weltbank, dem IWF und der Welthandelsorganisation basierte. Doch nun weichen die USA von diesem regelbasierten System ab.
Was bedeutet das für das globale, dollarbasierte Wirtschaftssystem?
Nach dem Zweiten Weltkrieg koppelten andere Länder ihre Währung an den Dollar, und der Dollar selbst war an Gold gekoppelt. 1971 trennte Nixon diese letzte Verbindung zwischen dem Dollar und Gold, doch der Dollar blieb die Leitwährung und der Westen hielt ein starkes Bündnis aufrecht – besonders nach den Anschlägen vom 11. September, als die kollektiven Verteidigungsmassnahmen der Nato zum ersten und einzigen Mal aktiviert wurden. Europäische Länder eilten Amerika zu Hilfe und beteiligten sich an einem unsinnigen Krieg in Afghanistan und im Irak. Doch jetzt haben sich die USA in der europäischen Sicherheitspolitik auf die Seite Russlands gestellt, indem sie gegen die UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Kriegs in der Ukraine gestimmt haben. Zusammen mit Trumps Behauptung, die EU sei geschaffen worden, um Amerika zu hintergehen, ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass die alte Weltordnung passé ist.
Die Trump-Regierung behauptet auch, dass Amerika in den Handelsbeziehungen mit anderen westlichen Ländern während Jahrzehnten übervorteilt worden sei, weshalb es als Gegenmassnahme Zölle brauche.
Natürlich war der Freihandel nie vollkommen frei, aber in der Nachkriegszeit wurden viele Schranken abgebaut. Japan zum Beispiel erhebt keine Zölle auf amerikanische Autos. Dass Ford und GM im japanischen Markt kaum präsent sind, hat deshalb nichts mit Handelsbeschränkungen zu tun. Vielmehr liegt es daran, dass die US-Autos meist gross sind und enorm viel Benzin verbrauchen, was nicht der Präferenz der japanischen Verbraucher entspricht. Auch ist die Art und Weise, wie wir unsere Nutztiere mit Hormonen vollpumpen, in anderen Regionen. Andere Länder versuchen also nicht wirklich, die USA zu bestrafen, wenn sie unser Rind- oder Hühnerfleisch nicht zulassen. Es sind einfach nur kulturelle Unterschiede.
Woher kommt eigentlich diese Opfermentalität? Diese Vorstellung, dass die USA von allen anderen ausgenutzt werden?
Es ist irritierend. Eben sprachen noch alle von «American Exceptionalism», der überragenden Stellung der US-Wirtschaft mit einem unerreichten Bruttoinlandprodukt und einer unerreichten Produktivität. Das Nettovermögen der US-Haushalte war noch nie so hoch. Ausser in China gibt es in keinem anderen Land Tech-Giganten, die es mit Google, Amazon oder Microsoft aufnehmen können. Es stimmt, die USA haben ein Problem mit der Verteilung des Wohlstands, aber das hat nichts damit zu tun, was in Peking, Brüssel oder Ottawa passiert. Freihandel schafft Gewinner und Verlierer. Früher fühlten sich die Gewinner verpflichtet, die Verlierer zu entschädigen, aber das ist immer weniger der Fall. Oder soll man glauben, dass Länder wie Vietnam oder Kambodscha Amerika tatsächlich abzocken, nur weil sie im bilateralen Handel einen Überschuss haben? Die Realität ist viel komplizierter.
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Europa und asiatische Länder wie Japan, Südkorea und Taiwan vom Schutzschild Amerikas profitieren würden, ohne einen angemessenen Beitrag zu leisten. Wie stichhaltig ist dieses Argument?
Der Grund für die militärische Präsenz der USA rund um den Globus ist nicht, dass uns andere Regionen per se am Herzen liegen. Frühere Generationen mussten auf die harte Tour lernen, dass Amerika nicht in Frieden und Wohlstand leben kann, wenn das nicht auch in Europa und bei unseren Verbündeten in Asien der Fall ist. Es geht also nicht um Altruismus, sondern um gleichgerichtete Interessen. Frühere US-Präsidenten haben sich sporadisch beklagt, dass manche Länder höhere Zölle haben oder nicht genug für die Verteidigung ausgeben. Der Grund, warum wir das zuliessen, ist aber nicht Dummheit. Vielmehr liegt er darin, dass die Spielregeln so stark unseren Gunsten ausgelegt sind, dass solche marginalen Zugeständnisse für die US-Wirtschaft irrelevant sind. Wir haben anderen Ländern bewusst etwas Nachsicht entgegengebracht, weil wir in einer so starken, siegreichen Position waren.
Mit der Globalisierung sind in den USA jedoch viele Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verlorengegangen. Werden Zölle der amerikanischen Industrie zu einer Renaissance verhelfen, wie es die Trump-Administration behauptet?
Trumps Politik wird der Mittelklasse kaum helfen. Wenn es gelingt, wettbewerbsfähige Industrieproduktion in den USA zurückzuholen, werden dadurch nicht viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Es werden moderne Fabriken sein wie in Ostasien, die hoch automatisiert sind und in denen nur wenige Leute arbeiten; hauptsächlich, um die Maschinen zu überwachen. Wenn uns andere Länder tatsächlich Arbeitsplätze in der Industrie wegnehmen würden, müssten sie in diesem Sektor einen starken Zuwachs an Stellen verzeichnen. Aber in China zum Beispiel hat die Industrie relativ zu anderen Sektoren Jobs verloren. Als ich aus der Schule kam, was der klassische Einstiegsjob bei einer Bank eine Anstellung als Kassierer. Was ist mit diesen Arbeitsplätzen geschehen? Sie sind nicht nach Schanghai oder Hanoi abgewandert, sondern wurden durch Geldautomaten ersetzt. Ähnlich verhält es sich in vielen anderen Branchen.
Die Grundsatzfrage ist, was Trump mit den Zöllen wirklich will. Er sagt auch, dass er damit das US-Budgetdefizit reduzieren und Spielraum für Steuerkürzungen schaffen will.
Hier besteht ein klassischer Zielkonflikt: Wenn Zölle mehr Einnahmen zur Finanzierung von Steuersenkungen schaffen, dann deshalb, weil weiterhin Importe in die USA strömen. Dies wiederum untergräbt aber das Ziel, die inländische Produktion zu fördern. Ich glaube, diese widersprüchlichen Effekte werden letztlich eher zu einem höheren Haushaltsdefizit führen. Die US-Staatsfinanzen sind in einem unhaltbaren Zustand. Das heisst aber nicht, dass dieses Problem über Nacht gelöst werden muss. Der beste Weg dafür ist ein robustes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das ist die Lektion, die wir aus der Präsidentschaft von Ronald Reagan und Bill Clinton hätten lernen können.
Trump hat die reziproken Zölle vorerst ausgesetzt und macht diverse andere Ausnahmen, dennoch sind die Gebühren für Importe in die USA deutlich gestiegen. Was bedeutet das für die Wirtschaft?
Von Zöllen gehen zwei entgegengesetzte Impulse aus: Sie treiben die Preise in die Höhe und hemmen das Wachstum. Nach der Wahl von Trump drehten sich anfängliche Bedenken um die inflationären Auswirkungen, doch inzwischen sind Sorgen um die Wirtschaft in den Vordergrund gerückt. Die Entlassungen im öffentlichen Sektor und die Beschränkung der Einwanderung werden zudem gravierende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. In den nächsten sechs bis sieben Wochen werden wir vermutlich eine markante Abschwächung sehen. Das Fed wird die Zinsen senken, aber nicht, weil die Inflation auf das Ziel von 2% zurückkommt, sondern um die Konjunktur zu stützen.
Angenommen, die Lage an den Finanzmärkten spitzt sich weiter zu und es kommt zu einem grösseren Schock für die Weltwirtschaft: Kann sich die Welt dann noch immer auf die US-Notenbank verlassen, wie das in den vergangenen Jahrzehnten stets der Fall war?
Ich fürchte, das werden wir erst in der nächsten Krise herausfinden. Wie man sagt, ist ein Freund in der Not ein wahrer Freund: Wenn man Hilfe braucht und die Freunde, auf die man zählt, nicht da sind, dann sind das keine Freunde. In Notsituationen, wie in der globalen Finanzkrise von 2008/09 und beim Ausbruch der Pandemie, hat das Federal Reserve zahlreichen Ländern mit Swap-Linien geholfen. Es ermöglichte dadurch beispielsweise der Europäischen Zentralbank den Zugang zu Liquidität, die dann an die EZB-Mitgliedsbanken weitergeleitet werden konnte, um systemrelevante Finanzkonzerne zu stützen. Doch angesichts des Nationalismus von Präsident Trump und seiner Grundhaltung, dass andere für öffentliche Güter zahlen sollen, könnte es solche Swap-Linien möglicherweise nicht mehr geben.
Verunsicherung lösen derzeit vor allem die markant steigenden Renditen langjähriger US-Staatsanleihen aus. Hat dies möglicherweise mit einem Käuferstreik von China und anderen Ländern zu tun, quasi als Vergeltungsmassnahme gegen die Zölle?
Diese These überzeugt mich nicht ganz. In den USA besteht momentan die Tendenz, für alles was schief geht, Ausländer verantwortlich zu machen. Obschon ausländische Investoren rund 26 Bio $ mehr US-Vermögenswerte besitzen, als amerikanische Investoren ausländische Vermögenswerte halten, gibt es für einen Käuferstreik höchstens vage Indizien. Das Problem ist, dass Angaben zu internationalen Kapitalströmen nur mit erheblicher Verzögerung eintreffen. Im Verlauf dieser Woche zum Beispiel stehen die TIC-Daten an, der Bericht des US-Finanzministeriums zu grenzüberschreitenden Kapitalanlagen. Doch diese Daten gehen nur bis Ende Februar.
Wie erklären Sie sich dann die Erschütterung am Bondmarkt?
Mir kommen dazu zwei Stichworte in den Sinn: Unsicherheit und Volatilität. In solchen Phasen denke ich oft an Will Rogers, einen Varieté-Künstler aus Zwanziger- und Dreissigerjahren, der stets einen cleveren Spruch auf Lager hatte. Wie er sagte, ist der Erhalt eines Investments manchmal wichtiger als die Rendite eines Investments. Ich glaube, viele Investoren sind derart verunsichert, dass sie sich um Erhalt ihres Kapitals sorgen. Im Markt für US-Staatsanleihen sind massive Wetten auf den «Basis Trade» platziert worden, eine Arbitrage zwischen dem Spotmarkt für Treasuries und dem Futures-Markt. Diese Positionen werden nun übereilt aufgelöst, was entsprechende Turbulenzen verursacht.
Schwer unter Druck steht ebenso der Dollar. Das überrascht, denn die vorherrschende Meinung war, dass Trumps Zölle dem Dollar Auftrieb geben würden.
Unter konstanten Rahmenbedingungen dürften Zölle den Dollar vermutlich stützen, doch die Rahmenbedingungen sind momentan nicht konstant. Die grosse Trump-Dollar-Rally spielte sich in der Übergangsphase nach den Wahlen bis zu seinem Antritt ab, als die Märkte im Hinblick auf eine wirtschaftsfreundliche Agenda robustes Wachstum in den USA antizipierten. Doch dann setzte ein Gegentrend ein, als andere Themen in den Fokus rückten wie Zölle und Trumps imperialistische Ambitionen. Niemand hätte erwartet, dass die US-Regierung offen sagen würde, sie werde den Panamakanal zurückerobern, Kanada als 51. Bundesstaat annektieren oder Grönland übernehmen. Ich glaube, solche Äusserungen machen den Leuten Angst.
Die grossen Gewinner der vergangenen Tage sind die Edelmetalle Gold und Silber sowie der Schweizer Franken als sicherer Hafen. Wird sich der Franken weiter aufwerten?
Der Franken hat noch mehr Spielraum nach oben. Man muss sich aber darüber klar sein, was der Status als sicherer Hafen für eine Währung in der Praxis bedeutet: Grosse Investoren verschulden sich oft in einer niedrig verzinsten Währung wie dem Franken oder dem Yen, verkaufen diese dann und investieren den Erlös in höher verzinste respektive risikoreichere Anlagen wie beispielsweise mexikanische Anleihen. Es handelt sich also um einen Carry Trade oder eine strukturelle Finanzposition, um die Zinsdifferenz auszunützen. Wenn der Kurs mexikanischer Anleihen dann aber in einer Risk-off-Welle wie in den vergangenen Tagen einbricht, müssen diese Positionen aufgelöst werden, ähnlich wie beim Basis Trade: Mexikanische Anleihen werden verkauft und Franken zurückgekauft, was den Kurs des Frankens nach oben treibt.
Der Franken bewegt sich gegenüber dem Dollar auf dem höchsten Niveau seit mehr als zehn Jahren. Wie wird die Schweizerische Nationalbank reagieren, wenn dieser Trend anhält?
Die SNB behält den Wechselkurs zwischen dem Dollar und dem Franken genau im Auge, ihre eigentliche Sorge gilt aber dem Wechselkurs zum Euro. An den Devisenmärkten nehmen deshalb Spekulationen um den nächsten Schritt der SNB zu. Sie hat den Leitsatz bereits auf 0,25% gesenkt, und ihr nächster Zinsentscheid steht erst Mitte Juni an. Derweil tagt die EZB schon nächste Woche, wobei die Märkte eine 90%-Chance für eine Zinssenkung einpreisen. Damit nehmen Bedenken zu, dass die SNB an einer ausserplanmässigen Sitzung mit einer Zinssenkung interveniert und den Leitsatz sogar erneut auf null senkt.
Und wie geht es mit dem Dollar weiter?
Der grosse Dollar-Superzyklus ist vorbei. Ich vermute das allerdings schon seit einiger Zeit, und Trends an den Devisenmärkten können manchmal fünf oder sogar zehn Jahre dauern. Es ist wie mit meinem Schmetterling, der nur einen Tag lang lebt. Er landet auf einer grossen, mächtigen Eiche und denkt, sie sei tot, weil sie sich in seinem Leben nicht bewegt. Was ich damit sagen will: Die grossen Bewegungen an Devisenmärkten entwickeln sich nur langsam, weshalb es schwer ist, auf Wendepunkte zu setzten. Doch auf Grundlage des OECD-Modells zur Kaufkraftparität ist der Dollar gegenüber dem Euro und dem Yen mehr als 50% überbewertet. Das bedeutet, dass wir mit grosser Wahrscheinlichkeit einen Umkehrprozess zur Angleichung an den historischen Durchschnitt erleben werden.
Die Hauptstossrichtung der US-Regierung zielt bei den Zöllen gegen China. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Peking den Yuan als Abwehrmassnahme abwertet?
Ja nach Produkt reagiert die Nachfrage unterschiedlich auf Preiserhöhungen. Die Zölle im Konflikt der beiden Länder haben nun ein Niveau erreicht, auf dem die meisten Exporte nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Weitere Zollerhöhungen sind somit praktisch bedeutungslos. China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft, aber seine Währung ist nicht annähernd so wichtig wie der Dollar, der Euro oder der Yen. Der Yuan ist aber ein relevanter Indikator für Chinas Wirtschaftspolitik, weil er so streng kontrolliert wird. Der Kurs darf sich bloss in einer Bandbreite von 2% gegenüber dem Dollar bewegen. Ich glaube, Peking ist auch weiterhin weder an einem starken noch an einem schwachen Yuan interessiert, weshalb ich nicht mit einer nennenswerten Abwertung rechne. Selbst nach den jüngsten Turbulenzen hat sich der Kurs zum Dollar seit Anfang Jahr denn auch nicht mehr als 1% verändert.
Beunruhigend ist auch, dass China den militärischen Druck auf Taiwan erhöht. Wie wird sich die Trump-Regierung in dieser Hinsicht verhalten?
Viele Beobachter warnen, es komme bald zu einer Invasion in Taiwan. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das für Peking überhaupt nötig ist. Wie im Fall von Südkorea schrumpft Taiwans Bevölkerung rasch, und China kann unter Präsident Xi Jinping eine langfristige Perspektive einnehmen. Xi wird länger im Amt bleiben als Trump, als Premierminister Keir Starmer in Grossbritannien und wohl auch länger als Bundeskanzler Friedrich Merz in Deutschland. Ich befürchte aber, dass Trump das US-Militär de facto in ein Söldnerheer transformieren wird: Wer Amerika bezahlt, wird beschützt, wer nicht bezahlt, wird nicht beschützt. Wenn ich in der Position von Xi wäre, würde ich deshalb nach Möglichkeiten suchen, den Einsatzwillen der US-Regierung in Asien zu testen. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass Taiwan durch chinesische Militärübungen gegenwärtig nahezu eingekesselt wird.
Was raten Sie Investoren unter diesen Rahmenbedingungen?
Wenn es hart auf hart kommt, bietet das kurze Ende der Zinskurve normalerweise am meisten Sicherheit; also Anlagen wie Treasury Bills oder kurzfristige europäische Staatsanleihen. Was Investments generell betrifft, ist Polen spannend. Gemessen an der Kaufkraftparität ist das Bruttoinlandprodukt pro Kopf fast so hoch wie in Japan. Das Land ist eine Art Wirtschaftswunder, das aus dem Ende des Kalten Krieges hervorgegangen ist. Polens grosse und diversifizierte Wirtschaft bietet Investoren, die nach attraktiv bewerteten Anlagen suchen, Chancen; speziell in Sektoren wie Rüstung und Infrastruktur. Angesichts wachsender Zweifel an Amerikas globaler Führungsrolle könnte zudem die Nachfrage nach Gold weiter zunehmen; nicht nur von Zentralbanken in China, Indien und anderen Ländern, sondern möglicherweise auch von individuellen Anlegern.
Marc Chandler