Freitag, Oktober 18

Er wurde oft totgesagt, ist aber als Leitwährung unangefochten. Dennoch hat der Dollar leicht an Gewicht verloren. Das hat auch mit der Schweiz zu tun.

Dieses Jahr machen viele Touristen in ihren Sommerferien dieselbe Beobachtung: Es wimmelt nur so von Amerikanerinnen und Amerikanern. Aus unterschiedlichsten Weltregionen vermelden Hotels, Restaurants und Museen ungewöhnlich viele Gäste aus den USA. Das gilt auch für die Schweiz. Gemäss Prognosen von BAK Economics dürften die Vereinigten Staaten diesen Sommer für 2,1 Millionen Logiernächte verantwortlich sein. Damit würden die USA sogar Deutschland als grössten ausländischen Herkunftsmarkt ablösen.

Weltwährung und Sanktionswaffe

Der Boom hat viele Gründe. Einer der wichtigsten ist die Stärke des Dollars. So hat die amerikanische Währung in den letzten Jahren gegenüber vielen anderen Währungen an Wert gewonnen, unter anderem wegen des höheren Wirtschaftswachstums, der strafferen Geldpolitik und der geopolitischen Verunsicherung. Entsprechend hoch ist die Kaufkraft des Dollars. Amerikanische Touristen können sich in vielen Ländern mehr leisten. Das macht sich in den betroffenen Staaten bemerkbar: Bei den Reisenden aus den USA sitzt das Geld locker, sie gönnen sich etwas.

Doch die Stärke des Dollars kann schnell vorbei sein. Devisenmärkte sind nervöse Handelsplätze, das Auf und Ab der Wechselkurse folgt erratischen Mustern und ist kaum vorhersehbar. Doch selbst wenn der Dollar bald schwächeln sollte – eines ist seit Jahrzehnten unverändert: seine Stellung als globale Leitwährung. Egal, ob der Dollar hoch im Kurs steht oder nicht, keine andere Währung kann dem Greenback in Sachen weltweiter Bedeutung auch nur annähernd das Wasser reichen. Wenn Geld die Welt regiert, dann regiert der Dollar das Geld.

Diese Dominanz ist keine Selbstverständlichkeit. Regelmässig wird der Niedergang des Dollars beschworen. Immer neue Gründe werden genannt, um den Glauben an den Abstieg am Leben zu erhalten. Dazu gehört seit einigen Jahren auch das Argument, dass die USA ihr Privileg als Herausgeber der Leitwährung als Sanktionswaffe missbrauchten, in letzter Zeit etwa gegenüber Russland. Die Entscheidung, Russland vom Dollarsystem abzukoppeln und seine Dollarreserven einzufrieren, werde viele Staaten veranlassen, ihre Abhängigkeit vom Dollar zu verringern.

Dreimal so gewichtig wie der Euro

So überzeugend das Argument auch klingt, in den Daten spiegelt es sich bis jetzt erst ansatzweise. Nach wie vor ist der Dollar die unangefochtene Leitwährung. Dazu ein paar Zahlen: Bei 88 Prozent aller Devisentransaktionen ist der Dollar beteiligt. 54 Prozent des Welthandels werden in Dollar abgewickelt. Und 58 Prozent aller Devisenreserven, die Zentralbanken halten, um das Vertrauen in ihre Geldpolitik zu stärken oder gegen eine mögliche Schwächung der eigenen Währung intervenieren zu können, lauten auf Dollar.

Die Dominanz scheint ungebrochen. Dennoch stimmt es: Der Dollar hat auf globaler Bühne leicht an Gewicht verloren. Seit zwei Jahrzehnten sinkt der Dollaranteil an den derzeit rund 12 Billionen Dollar schweren Devisenreserven der Zentralbanken und Regierungen. Betrug der Anteil in den frühen 2000er Jahren noch über 70 Prozent, so liegt er heute unter 60 Prozent. Der Rückgang vollzieht sich aber in gemächlichem Tempo. Und die Quote ist immer noch fast dreimal so hoch wie die des zweitrangierten Euro mit 20 Prozent.

Eine Absetzbewegung auf breiter Basis findet nicht statt. Dies belegt auch eine Analyse der Federal Reserve Bank of New York für den Zeitraum von 2015 bis 2021. In dieser Zeit sank der Dollaranteil an den Devisenreserven um 7 Prozentpunkte. Die Studie zeigt aber, dass der Rückgang vor allem auf das Verhalten einiger weniger Länder zurückzuführen ist und nicht auf die breit abgestützte Bemühung vieler Zentralbanken, mit stärkerer Diversifizierung vom Dollar wegzukommen. Vielmehr haben 31 der 55 untersuchten Länder ihre Dollarbestände anteilmässig weiter ausgebaut.

Die subversive Rolle der SNB

Wie lässt sich aber der Rückgang des weltweiten Dollaranteils um 7 Prozentpunkte erklären? Eine wichtige Rolle spielt die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie ist gemäss der New Yorker Studie für knapp 1,8 Prozentpunkte des Rückgangs verantwortlich. Denn die SNB hat ihre Devisenreserven zwischen 2015 und 2021 massiv erhöht, von 507 auf 970 Milliarden Franken. Dabei hat sie vor allem Euro-Reserven angehäuft, um die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro abzufedern. Das reduzierte das relative Gewicht des Dollars.

Mit den Devisenkäufen wollte die SNB dem Aufwertungsdruck des Frankens entgegenwirken. Damit sollte die Exportwirtschaft vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden. Zudem sollte verhindert werden, dass der starke Franken über eine Verbilligung der Importpreise zu einer Deflation führt. Die Ökonomen der Federal Reserve betonen deshalb, dass die starke Euro-Akkumulation in der Schweiz damals grösstenteils auf die Geldpolitik zurückzuführen gewesen sei «und nicht auf eine abnehmende Präferenz für Dollaranlagen».

Ganz anders war die Interessenlage in Russland. Auch dort stiegen die Devisenreserven zwischen 2015 und 2021 stark an, und zwar um rund 150 Milliarden Dollar. Moskau wollte jedoch sehr wohl die Abhängigkeit von den USA verringern und reduzierte deshalb bewusst den Dollaranteil um 29 Prozentpunkte. Dieser Effekt trug weitere 1,8 Prozentpunkte zum Rückgang des Dollaranteils an den Devisenreserven um 7 Prozentpunkte bei. Eine ähnlich politisch motivierte Abkehr von der Dollarwelt strebten in jenen Jahren auch Länder wie China, Indien und die Türkei an.

«Welche De-Dollarisierung?»

Der damalige Rückgang des Dollaranteils ist somit vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: erstens auf die starke Zunahme der von der Schweiz aus geldpolitischen Motiven gehaltenen Devisenreserven und zweitens auf die geopolitisch motivierte Abkehr vom Dollar in einer kleinen Ländergruppe, zu der neben Russland auch China, Indien und die Türkei gehören. Das Phänomen ist somit geografisch eng begrenzt. Von einer umfassenden Abkehr vom Dollar kann keine Rede sein, auch nicht in den letzten paar Jahren.

Diese Einschätzung wird bestätigt durch das Official Monetary and Financial Institutions Forum (Omfif). Die unabhängige Denkfabrik hat 73 Zentralbanken, die zusammen 5,4 Billionen Dollar an Devisenreserven verwalten, befragt. Die im Juni veröffentlichte Umfrage zeigt: In den nächsten 12 bis 24 Monaten wollen 29 Prozent der Zentralbanken ihre Dollaranlagen aufstocken. Dieser Anteil ist deutlich höher als noch im Vorjahr und stellt eine grössere Zusatznachfrage dar als für jede andere Währung. An zweiter Stelle folgt der Euro mit 16 Prozent.

«Welche De-Dollarisierung?», heisst es deshalb bei Omfif. Denn von einer Distanzierung gegenüber dem Dollar ist nichts zu erkennen. Allerdings scheint die Zuneigung zum Yuan abgekühlt zu sein. Seit die chinesische Währung im Oktober 2016 in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommen wurde, blieb ihr Gewicht an den Devisenreserven weit hinter den Erwartungen zurück. Den höchsten Anteil erreichte der Yuan Ende 2021 mit 2,8 Prozent, seitdem ist die Quote kontinuierlich auf knapp 2,2 Prozent gesunken.

Euro, Yuan und Gold sind keine Konkurrenz

Spätestens seit dem zunehmend autoritären Auftreten der Pekinger Führung lässt sich die grösste Schwäche des Yuan – eine Währung mit zu viel Staat – nicht länger verbergen. Solange dies so bleibt und das Regime auf rigide Kapitalverkehrskontrollen setzt, bleibt Chinas Plan für eine Internationalisierung des Yuan ein frommer Wunsch. Auch der Euro ist keine ernsthafte Konkurrenz für den Dollar. Denn spätestens seit der Euro-Krise ist auch bei der europäischen Einheitswährung die grösste Schwäche – eine Währung ohne Staat – für jedermann ersichtlich.

Eine radikale Alternative zum Dollar wäre Gold. Wer seine Reserven statt in Devisen in Edelmetallen anlegt, kann sie im eigenen Land lagern und ist nicht dem Risiko ausgesetzt, dass das Vermögen wegen Sanktionen plötzlich eingefroren wird. Analysen des IWF zeigen, dass Sanktionen in der Vergangenheit tatsächlich zu solchen Umschichtungen führten. Doch Gold hat gegenüber Devisen verschiedene Nachteile: Es ist teuer zu transportieren, zu lagern und zu versichern. Ausserdem eignet es sich eher schlecht als Zahlungsmittel und wirft keine Zinsen ab.

Die Zentralbanken haben zwar seit der Finanzkrise ihre Goldbestände erhöht, was durch den Krieg in der Ukraine und die gestiegene Inflation noch verstärkt wurde. Die globale Bedeutung ist jedoch begrenzt. Gold macht nur rund 10 Prozent der Zentralbankreserven aus. Zudem zeigen Daten des IWF, dass wenige Länder den Grossteil der Umschichtungen erklären. Mehr als die Hälfte des seit 2009 gemeldeten Goldzuwachses entfällt auf China und Russland, ein weiteres Viertel auf die Schwellenländer Türkei, Indien, Kasachstan, Usbekistan und Thailand.

Jeder nutzt ihn, weil ihn die anderen auch nutzen

Gegen den Dollar scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Seine Vorteile als Reservewährung liegen auf der Hand. Hinter dem Dollar steht nicht nur die grösste Militär- und Wirtschaftsmacht, die für ein Viertel des globalen Bruttoinlandprodukts verantwortlich ist. Hinzu kommt, dass der amerikanische Finanzmarkt der liquideste und offenste ist. Entsprechend einfach ist es, in Dollar zu investieren. Letztlich sind es aber vor allem die Netzwerkeffekte, die für die Währung sprechen. Es ist wie bei Whatsapp: Jeder nutzt den Dollar, weil die anderen ihn auch nutzen.

Achtzig Jahre nachdem 1944 im amerikanischen Bretton Woods die Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit mit dem Dollar als Leitwährung fixiert wurde, ist die Nachfrage nach der amerikanischen Währung ungebrochen hoch. Das verschafft den USA grosse Privilegien: Die Amerikaner sind weitgehend vor Wechselkursrisiken geschützt; der Gewinn aus der Geldschöpfung (Seigniorage) steigt; und der hohe Bedarf an Dollar führt zu niedrigen Zinsen und stützt den Dollar, was der Kaufkraft zugutekommt – sei es im Inland oder bei Ferien im Ausland.

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