Samstag, November 30

Die US-Notenbank kann die Zinsen noch nicht senken, die Finanzmärkte müssen sich abermals mit dem Begriff «higher for longer» anfreunden. Das treibt den Dollar in die Höhe – und sorgt für Stress im Finanzsystem.

«Das Haushaltsdefizit hält die Zinsen höher, als sie es sonst wären. Hohe Zinsen (…) ziehen Gelder aus der ganzen Welt an. Auch politische Erwägungen spielen eine Rolle: Eine starke Verteidigungsposition in einer Welt voller Konflikte zieht tendenziell ausländisches Kapital an.»
George Soros, ungar.-amerik. Investor und Philanthrop (*1930)

Als George Soros diese Zeilen verfasst, sieht er eine Welt voller kriegerischer Konflikte, überlagert von einem «kalten» Krieg zwischen zwei Supermächten. Er sieht einen amerikanischen Präsidenten, der Geld ausgibt wie ein betrunkener Matrose auf Landgang. Ein riesiges Haushaltsdefizit in den USA, ohne Aussicht auf Besserung. Steigende Zinsen, die Kapital aus der ganzen Welt nach Wallstreet strömen lassen. Er sieht einen steigenden Dollar im Umfeld eines lauter werdenden Rufes nach Protektionismus, um die heimische Produktion vor billigen Importen zu schützen.

Seine Worte könnten die Welt von heute beschreiben. Doch Soros schrieb sie im Mai 1984, während der Zeit von Präsident Ronald Reagan, in einem Kommentar für die «Financial Times». Der Hedge-Fund-Manager beschreibt darin, wie der Dollar von einer Dynamik, die er «Imperial Circle» nennt, in die Höhe getrieben wird – und dadurch weite Teile der Weltwirtschaft in Schwierigkeiten bringt.

Die Dynamik, die Soros 1984 beobachtete, weist zahlreiche Parallelen zur Gegenwart auf. Damals kam es ein gutes Jahr später, im September 1985, in New York zum Plaza-Abkommen, das den Dollar signifikant abwerten liess und das globale Währungsgefüge auf eine neue Basis stellte.

Dass der Dollar auch heute wieder zu einem Problem wird, zeigte diese Woche eine gemeinsame Verlautbarung der Finanzminister Japans, Südkoreas und der USA, die «ernste Besorgnis» zum Ausdruck bringt.

Das dieswöchige «Big Picture» widmet dem internationalen Währungsgefüge deshalb einen Schwerpunkt.

Die Themen

  1. Zinsen als Spielverderber
  2. A Giant Sucking Sound
  3. Der Dollar als Problem für China
  4. Ein neues Plaza-Abkommen?
  5. Die längere Frist – und was der Goldpreis sieht

1. Zinsen als Spielverderber

Die Rally an den Aktienmärkten ist vorbei. Genau am 1. April, mit dem Beginn des zweiten Quartals, hat an den Börsen eine Korrekturphase eingesetzt. Der S&P 500 hat in den drei Handelswochen 4,7% verloren. Der Dax in Deutschland hat 4,2% eingebüsst, der Swiss Market Index – einer der wenigen Indizes, die es Ende März nicht auf ein Allzeithoch geschafft hatten – notiert 4,3% tiefer als Ende März. Der Nikkei 225, der zu einem der Lieblinge der professionellen Fondsmanager avanciert war, hat seit seinem Höchststand vom 22. März 9,4% verloren.

Der Hauptgrund für die Abkühlung an den Börsen lässt sich mit drei Buchstaben umschreiben: HFL. Higher for longer.

Der Arbeitsmarkt in den USA zeigt sich weiterhin robust, der Rückgang der Inflation stockt auf ungemütlich hohem Niveau. Fed-Chef Jerome Powell musste diese Woche in einem öffentlichen Auftritt einräumen, dass es zu früh sei, an Zinssenkungen zu denken. Die Terminmärkte haben umgehend ihre Erwartungen angepasst und rechnen mittlerweile nur noch mit einer Zinssenkung im laufenden Jahr – und das nicht vor September (gelbe Linke in der Grafik). Zu Beginn des Jahres (grün) hatten sie noch sechs bis sieben Zinssenkungen erwartet.

Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes ist auf über 4,6% gestiegen – das ist das höchste Niveau seit November und entspricht einem Anstieg von gut 85 Basispunkten seit Anfang Jahr.

Belastend für den amerikanischen Aktienmarkt – und damit auch für die Börsen im Rest der Welt – wirkt zudem ein «Liquiditäts-Luftloch»: Am 15. April mussten Privatpersonen und Unternehmen in den USA ihre Steuerschulden begleichen, was kurzfristig zu einem Liquiditätsentzug an den Märkten führt.

Ebenfalls zu einem Stressfaktor für den globalen Liquiditätspool wird der Dollar, der sich gemessen am Dollar-Index (DXY) auf handelsgewichteter Basis seit Anfang Jahr um fast 5% verteuert hat.

Was steckt dahinter?

2. A Giant Sucking Sound

Die US-Wirtschaft hält sich robust, das Fed kann die Zinsen noch nicht senken. Weil zudem das amerikanische Schatzamt ein enorm grosses Volumen an Staatsanleihen am Markt platziert, ist das kurz- bis mittelfristige Zinsniveau im Dollar, gemessen an der Rendite zweijähriger Treasury Notes, auf gegen 5% gestiegen.

Anders sieht die Lage in anderen Regionen der Welt aus. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich nach dem letzten Zinsentscheid vom 11. April zwar alle Optionen offen gelassen, aber die Terminmärkte gehen nach wie vor davon aus, dass die Europäische Zentralbank an der Sitzung vom 6. Juni die Zinsen erstmals senken wird – nach gegenwärtigem Stand der Erwartungen also mehr als drei Monate vor dem Fed. Die Schweizerische Nationalbank ist bereits im März mit einer Zinssenkung vorgeprescht, und auch die Bank of England dürfte nicht mehr allzu lange warten.

Argumente für eine Zinssenkung in Europa sind durchaus gegeben: Das Wachstum in der Eurozone stagniert, im vierten Quartal 2023 betrug es real nur noch 0,1%, verglichen mit 3,1% in den USA. Deutschlands Wirtschaftsleistung ist 2023 real um 0,3% geschrumpft. Im Gegensatz zu den USA hat sich überdies die Inflation in Europa etwas rascher zurückgebildet als erwartet. Die Konsumentenpreise in der Eurozone haben sich im Jahresvergleich im März noch um 2,4% verteuert, die Kernrate der Inflation (ohne Energie und Nahrungsmittel, blaue Kurve in der Grafik) liegt auf 2,9%. Das ist zwar immer noch über dem Zielwert von 2%, aber die Richtung stimmt.

Weil nun aber die wirtschaftlichen Aussichten und die Erwartungen an die Geldpolitik zwischen den USA und Europa derart divergieren, hat sich zwischen der Rendite zweijähriger Staatsanleihen der USA und Deutschland eine Lücke von fast zwei Prozentpunkten gebildet, fast fünfzig Basispunkte mehr als zu Beginn des Jahres.

Markant zugenommen hat seit Anfang 2024 auch die Renditedifferenz zwischen japanischen und amerikanischen Staatsanleihen. Zwar hat die Bank of Japan (BoJ) im März die Leitzinsen marginal erhöht, aber sie betreibt immer noch eine überaus expansive Geldpolitik und kauft in erheblichem Ausmass japanische Staatsanleihen, um den Renditeanstieg zu bremsen.

Diese Renditeunterschiede machen US-Anleihen für global agierende Investoren attraktiv und «saugen» Kapital nach Amerika. Das lässt den Dollar steigen, was die Investition wiederum noch attraktiver macht, noch mehr Kapital anlockt und zu einer sich selbst verstärkenden Dynamik – den «Imperial Circle» von Soros – führt.

«Man wird dafür bezahlt, auf den Dollar zu setzen», schreibt der Währungsexperte Marc Chandler, Chefstratege von Bannockburn Global Forex, in seinem wöchentlichen Marktbericht.

Für den Rest der Welt ist das ein Problem. Ein erstarkender Dollar entzieht dem Weltfinanzsystem Liquidität und setzte alle Akteure, die sich in Dollar verschuldet haben, ihren Cashflow aber in einer anderen Währung erwirtschaften, unter Druck. Der New Yorker Marktbeobachter Larry McDonald nennt den erstarkenden Dollar eine «Abrissbirne» («wrecking ball»), der grossen Schaden im Weltfinanzsystem anrichten kann.

Die Fluchtbewegungen von Kapital können überaus heftig ausfallen; der mexikanische Peso, zuvor eine der stärksten Währungen seit Beginn des Jahres, hat sich innerhalb von zwei Wochen um 6% zum Dollar abgewertet.

3. Der Dollar als Problem für China

Besonders knifflig ist die Ausgangslage für Peking. Die People’s Bank of China hält die heimische Währung, den Yuan, in einem engen Band zum Dollar und hat ihn seit Beginn des Jahres bislang bloss um weniger als 2% auf aktuell 7.24 Yuan/$ abwerten lassen.

Weil aber andere Währungen wie der japanische Yen und der koreanische Won deutlich schwächer sind, hat sich der Yuan gegenüber diesen Konkurrenten aufgewertet. Der Yuan ist im Vergleich zum Yen so stark wie seit dreissig Jahren nicht mehr.

Das stellte eine Belastung für die Exporteure in China dar. Und weil der Export der letzte verbleibende Wachstumsmotor der chinesischen Wirtschaft ist – die Parteiführung unter Generalsekretär Xi Jinping sieht weiterhin davon ab, den inländischen Konsum zu stimulieren –, leidet Chinas gesamte Konjunktur darunter.

Das am Dienstag publizierte Realwachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) im ersten Quartal von 5,3% sieht in diesem Kontext nur auf den ersten Blick besser aus als erwartet. Weil in der Volksrepublik Deflation herrscht, belief sich das nominale Wirtschaftswachstum im ersten Quartal bloss auf 4,2%. Eine derart ausgeprägte Phase anhaltender Deflation verzeichnete China letztmals im Nachgang der Asienkrise 1998/99.

Die PBoC ist mit dem klassischen geldpolitischen Trilemma konfrontiert: Sie kann nicht gleichzeitig eine autonome Geldpolitik betreiben, den Wechselkurs des Yuan fixieren und einen offenen Kapitalverkehr gewährleisten.

Zwar sind Chinas Grenzen für Kapitalflüsse nicht völlig offen, aber die PBoC ist – zumindest bis anhin – sehr darauf bedacht, den Yuan zum Dollar einigermassen stabil zu halten, um keine Kapitalflucht aus dem Land auszulösen. Das bedeutet aber im Gegenzug, dass die PBoC einen Teil ihrer geldpolitischen Autonomie abgibt und gegenwärtig die harte Geldpolitik der US-Notenbank übernehmen muss.

Simpel gesagt: Im Interesse der heimischen Konjunktur und zur Bekämpfung der deflationären Stagnation sollte die PBoC eine deutlich lockerere Geldpolitik verfolgen, im Idealfall kombiniert mit einer expansiven Fiskalpolitik der Regierung. Doch solange das Fed die Zinsen nicht senkt, sind der PBoC die Hände gebunden, weil eine unilaterale Lockerung Pekings sofort den Abwertungsdruck auf den Yuan erhöhen würde.

Das «Higher for longer»-Regime des Fed strahlt in den gesamten Rest der Welt aus.

4. Ein neues Plaza-Abkommen?

Im September 1985 trafen sich die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der USA, Japans, Deutschlands, Grossbritanniens und Frankreichs im Plaza Hotel in New York und beschlossen gemeinsame Devisenmarktinterventionen, um den Dollar abwerten zu lassen.

Von einem derart koordinierten Vorgehen ist das Weltfinanzsystem heute freilich weit entfernt. Trotzdem liess das gemeinsame Statement der Finanzminister der USA, Japan und Südkorea diese Woche aufhorchen. Sollte der Dollar im Verlauf der kommenden Monate weiter erstarken, rücken konzertierte Aktionen zur Schwächung des Dollars in den Bereich des Möglichen.

5. Die lange Frist – und was der Goldpreis sieht

In der kurzen Frist sprechen viele Argumente – robuste Wirtschaft, Geldpolitik des Fed, Zinsdifferenz, Kapitalflüsse – für einen weiterhin starken Dollar.

Sonderbar mutet in diesem Kontext allerdings der Goldpreis an, der trotz Aufwertung des Greenback auf 2400 $ je Unze gestiegen ist. Ein Anstieg des Goldpreises bei gleichzeitiger Aufwertung des Dollars ist aussergewöhnlich.

Ein wichtiger Treiber des Goldpreises sind die Käufe von Zentralbanken in Asien, allen voran der PBoC, wie Ronald-Peter Stöferle vom Liechtensteiner Vermögensverwalter Incrementum in diesem Interview ausführt.

Eine weiterführende These ist, dass der Goldpreis bereits die unhaltbare Finanzlage der USA und damit die nächste Phase im Dollar-Zyklus – diese weist nach unten – zu signalisieren beginnt.

Die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten auf Bundesebene liegt bereits jetzt auf dem Niveau von 1946, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs…

…und gemäss den Projektionen des überparteilichen Congressional Budget Office wird sich das jährliche Budgetdefizit in den nächsten zehn Jahren nie unter 5% des BIP bewegen.

Bereits heute gibt der amerikanische Staat mehr als 800 Mrd. $ pro Jahr für den Zinsdienst aus – das entspricht der Summe des gesamten Verteidigungsbudgets. 17% der Einnahmen des Staates müssen derzeit für den Zinsdienst aufgewendet werden – ein Wert, der letztmals 1996 erreicht wurde. Tendenz rasch steigend.

Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. «If something cannot go on forever, it will stop», sagte Herbert Stein, Wirtschaftsberater der Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford in den Siebzigerjahren.

Doch weil die politische Realität in den USA – egal, ob der nächste Präsident Joe Biden oder Donald Trump heisst – signifikante Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen so gut wie unmöglich erscheinen lässt, bleibt mittelfristig nur ein Weg, um die Finanzlage der USA in einigermassen geordneten Bahnen zu halten: Das Fed wird dafür sorgen müssen, dass der Treasury-Markt reibungslos funktioniert und die Zinslast des Staates sinkt.

Und das wird erreicht, indem das Fed dereinst beginnen wird, wieder Staatsanleihen zu kaufen.

In diesem Zusammenhang liess eine Rede von Fed-Gouverneur Christopher Waller von Anfang März aufhorchen, in der er sagte, das Fed sollte sein Anlageportfolio in künftigen Phasen von Bilanzerweiterungen (Quantitative Easing) nicht mehr auf lang-, sondern auf kurzfristige Treasury-Papiere ausrichten. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung einer direkten Monetisierung der US-Staatsfinanzen durch die Notenbank.

Gut möglich also, dass der Dollar zwar in der kurzen Frist stark bleibt, dereinst aber – sobald klar wird, dass sich das Fed der fiskalischen Dominanz unterordnen muss – heftig nach unten drehen wird.

Kommt es dazu, dann hat der Höhenflug des Goldpreises gerade erst begonnen.

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