Donnerstag, Oktober 31

Riva verbrachte einen Teil seiner Kindheit in einem Heim und malochte mit 14 am Fliessband einer Automobilfabrik. Als er als Stürmer auf Sardinien Karriere machte, widerstand er allen fürstlichen Versuchungen. Nun hat den starken Raucher ein Herzinfarkt dahingerafft.

Italiens Fussball sterben die Heldenstürmer weg: Maradona, der argentinische Stern über Neapel. Paolo Rossi, der Weltmeister von 1982. Gianluca Vialli, der atypisch aus reichem Haus kam. Und jetzt Luigi Riva. Sein Leben war ein Armeleutemärchen.

Riva, für alle «Gigi», hat für Italiens Nationalmannschaft mehr Tore geschossen als alle anderen vaterländischen Torjäger, 35 an der Zahl. Und jetzt, da er tot ist, von einem Herzinfarkt dahingerafft, staunt das Land nochmals ergriffen über Charakter und Tugenden dieses unbeugsamen Mannes, der sein Leben lang einem Klub am Rande der Fussballwelt treu geblieben war; sein Herz hatte er an die auf Sardinien beheimatete US Cagliari verschenkt. «Rombo di Tuono», nannte ihn Italiens Fussballpoet Gianni Brera, Donnerschlag und Donnergrollen.

Gigi Riva war der Garant eines Wunders im Calcio, welcher vom Geld der grossen Klubs in Mailand und Turin beherrscht wird und nur selten Aussenseitern wie jüngst Napoli eine Chance lässt.

Der Inter-Besitzer Moratti machte einen Rückzieher, weil er einen Aufstand in seiner sardischen Raffinerie befürchtete

Riva war bei der US Cagliari Kopf und Speerspitze eines subversiven, simplen Systems, das in den Jahren 1969 und 1970 die damaligen Top-Klubs aushebelte. Es bestand, etwas vereinfacht, aus dem damals fast unüberwindlichen Torhüter Enrico Albertosi, dem unwiderstehlichen Goalgetter Riva und dem Trainer Manlio Scopigno, der die Mannschaft zwischen diesen beiden Polen austarierte. Ein zweiter Platz und dann der Scudetto, der Meistertitel, versetzten Italien in Bewunderung und ins Grübeln.

Doch rasch zerfiel die Mannschaft. Albertosi machte bei der AC Milan Karriere und liess sich in einen Bestechungsskandal hineinziehen. Riva widerstand allen fürstlichen Versuchungen von Inter, Milan und Juventus und blieb auf der «vergessenen Insel». Die Verhandlungen mit dem Inter-Besitzer und Erdöl-Mogul Angelo Moratti schienen laut den Medien erfolgversprechend. Aber Moratti machte einen Rückzieher, weil er einen Aufstand der Arbeiter in seiner sardischen Raffinerie befürchtete.

Tatsächlich gefiel dem menschenscheuen Riva das unaufgeregte Leben auf der kargen Insel, wo die Leute ihr Auto vor dem Haus nicht abzuschliessen brauchten. Er misstraute dem Starkult.

Zur Welt gekommen ist Riva im kleinen Ort Leggiuno in der Provinz Varese am Lago Maggiore, nur wenige Kilometer von der Grenze zur Schweiz entfernt. Seinen Vater, einen Eisenbahnarbeiter, verlor er als Siebenjähriger durch einen Arbeitsunfall. Seine arbeitende Mutter war mit den vier Kindern überfordert, gab Gigi in ein Heim und später seiner älteren Schwester Fausta zur Erziehung.

Mit 14 Jahren malochte Gigi Schicht am Fliessband in einer Automobilfabrik und flüchtete, wenn es die Arbeit zuliess, zum Feierabendfussball in Laveno-Mombello. Mit 17 erhielt er einen Vertrag beim Serie-C-Klub Legnano, arbeitete aber weiter im Werk. Er fiel Talentspähern von Internazionale Mailand auf, doch beim Probetraining des damals weltweit bewunderten «Magiers» und Catenaccio-Propheten Helenio Herrera fiel er durch. Zu schmächtig, zu schüchtern, hiess es.

Das bessere Auge hatte später Andrea Arrica, ein Funktionär der US Cagliari, der den 19-jährigen Riva für umgerechnet 20 000 Franken Ablöse auf die Insel lotste. Mit Riva gelang Cagliari unmittelbar der Aufstieg in die Serie A. So begann eine Legende.

Weil Riva in der Provinz lebte, sich gewissermassen versteckte und den Medien entzog, blieb ihm der Weltruhm, den andere Italiener erfuhren, wie etwa Gianni Rivera und Sandro Mazzola, danach Roberto Baggio oder Andrea Pirlo, versagt. In Italien jedoch war Riva klubübergreifend populär, vergleichbar etwa dem gipfelstürmerischen, tragisch untergegangenen Radrennfahrer Marco Pantani.

Riva war eine ideale Identifikationsfigur. Der arme Süden, der sich auflehnte gegen den reichen Norden, der Spieler ausgestattet mit dieser linken Keule, dem «Donnerschlag», der die Tornetze aufbauschte. Den rechten Fuss benutze Riva nur beim Einsteigen ins Tram, wie sein Freund und Nationalmannschaftskollege Mazzola frotzelte.

Riva sah auch unverschämt gut aus als Gladiator in der Fussballarena, gross, athletisch, mit einem Gesicht wie Vittorio Gassman, der Filmstar jener Zeit. Der Regisseur Zeffirelli wollte Riva unbedingt auf die Leinwand bringen – dieser lachte nur darüber.

2006 beim Gewinn des WM-Titels in Berlin war er psychologischer Unterstützer des Trainers Marcello Lippi

Er war letztlich ein Unvollendeter. Rivas Karriere wurde unterbrochen durch schwere Unfälle. Beim Länderspiel gegen Portugal 1967 brach ihm ein Gegner das linke Wadenbein, und der Heilungsprozess zog sich über Monate hin. Drei Jahre später passierte ihm das gleiche Unglück mit dem rechten Bein, und Riva begann mit seinen Einsätzen zu haushalten. Doch sein Stil blieb spektakulär, akrobatisch, wie bei seinem Tor zum 2:0-Sieg Italiens 1973 gegen die Schweiz in Rom.

Mit der Nationalmannschaft wurde Riva 1968 Europameister; im Final gegen Jugoslawien erzielte er das 1:0. Er traf auch zwei Jahre später im denkwürdigen WM-Halbfinal gegen Deutschland, diesem Jahrhundertspiel, ehe Brasilien im Final zu stark war für die ausgelaugten Italiener. In der Serie A brachte es Riva dreimal zum Torschützenkönig. Für die US Cagliari ist es bei dem einen Meistertitel geblieben.

Nach seinem Rücktritt als Spieler mit erst 31 Jahren übernahm Riva für kurze Zeit das Präsidium seines Klubs. Dann war er über fast zwei Jahrzehnte hinweg, gegen aussen fast unsichtbar, ständiger Assistent der Nationaltrainer, er war dabei für das menschliche Klima in der Mannschaft besorgt. So 1994 in den USA, nachdem Italien das Endspiel unter Arrigo Sacchi gegen Brasilien verloren hatte wegen des verschossenen Elfmeters von Baggio. Und wieder 2006 beim Gewinn des WM-Titels in Berlin als psychologischer Unterstützer des Trainers Marcello Lippi.

Riva war, leider, ein starker Raucher. Er hatte Herzprobleme, aber eine Operation lehnte er ab, als er bereits im Spital lag. Nun ist er mit 79 Jahren verstorben.

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