Freitag, Oktober 11

Es gibt Stellen, die jetzt im Herbst erst so richtig lebendig werden –und zwar dort, wo eine der unbeliebtesten Pflanzenarten gerade ihren grossen Auftritt hat: der Efeu.

Schon im Vorübergehen nimmt man ein Summen wahr. Es ist nicht verhalten oder flüchtig. Vielmehr ist es ein stetiger, kräftiger Ton voller subtiler Variation. Bleibt man stehen, so hat man das Gefühl, sich plötzlich im Kraftfeld eines riesigen, unsichtbaren Lautsprechers zu befinden. Eine andere vernünftige Erklärung scheint es für das Geräusch nicht zu geben. Nur langsam nimmt man die unzähligen Insekten wahr. Sie sind es, die die Luft mit ihren Flügelschlägen weiträumig in Schwingungen versetzen. Der Effekt ist überwältigend.

Nur, was machen die Insekten hier? Ist das nicht ganz normaler Efeu, zwischen dessen Laub sie umherschwirren? Doch, es ist Efeu, aber er blüht. Selbst Menschen, die seit langem gärtnern, sind oft fest davon überzeugt, dass Efeu niemals blüht. Bei jungen Pflanzen ist das auch richtig. Doch ab einem Alter von acht bis zehn Jahren beginnt diese alltäglichste aller Kletterpflanzen Blüten herauszubilden. Diese sind so unscheinbar mit ihrer hellgrünen Färbung, dass man Mühe hat, sie zu entdecken.

Insekten haben offenbar keine Schwierigkeiten, den Nektar des Efeus zu finden. Dicht gedrängt, fliegen sie von Blüte zu Blüte. Und wer eine Weile aufmerksam zusieht, dem fällt auf, dass dort nicht nur Bienen, Hummeln und Wespen summen, sondern auch Marienkäfer, Schmetterlinge und Fliegen. Während die verschiedenen Insektenarten zu anderen Jahreszeiten unterschiedliche Nahrungsquellen aufsuchen, treffen sie sich nun alle hier auf dem Efeu wie zu einer letzten, grossen Party vor dem Winter.

Vermeintliche Problempflanze

Hedera helix, wie der Gemeine Efeu mit lateinischem Namen heisst, ist eine wichtige Wirtspflanze für Insekten aller Art, denn er stellt zu einer Zeit Nahrung bereit, zu der so gut wie nichts anderes mehr blüht. Die späte Energie ist überlebenswichtig für überwinternde Insekten und gibt den sterbenden eine Galgenmahlzeit. Überhaupt ist Efeu ein wertvoller Bestandteil des Ökosystems Garten. Im Frühjahr sind seine schwarzblauen Beeren eine der ersten Futterquellen für Vögel, und das ganze Jahr über bieten die immergrünen Blätter Schutz für eine Vielzahl von Wildtieren, von Spinnen über Eichhörnchen bis zu brütenden Vögeln.

Warum hat der Efeu dann einen so schlechten Ruf? Weil er im Extremfall Mauern zum Einsturz bringt. Die jungen Triebe des Efeus wachsen nicht nur zum Licht, also von der Wand weg, sondern auch in die entgegengesetzte Richtung, in die Wand hinein. Sie bohren sich, sofern vorhanden, in filigrane Risse und lockere Fugen. Problematisch ist dies, weil Efeu zu den verholzenden Pflanzen gehört; Äste werden stetig dicker, genau wie Baumstämme. Passiert das in der Mauer, ist irgendwann ihre Stabilität gefährdet.

Dieses Horrorszenario lässt sich jedoch effektiv vermeiden, wenn man Gemäuer pflegt und bereit ist, den Efeu regelmässig mit der Rosenschere in seine Schranken zu weisen. Dann hilft die vermeintliche Problempflanze sogar bei gärtnerischen Herausforderungen. Efeu wächst nämlich dort, wo es den meisten anderen Pflanzen zu dunkel und zu trocken ist. Als Bodendecker gedeiht er selbst im dichten Wurzelwerk unter Bäumen. Ausserdem ist Efeu ein Selbstklimmer – er hat die Fähigkeit, sich mit kleinen Haftwurzeln auch an komplett glatten Flächen festzuhalten. Das ist perfekt, um zum Beispiel hässliche Schuppen ohne grossen Aufwand zu verstecken. Und Efeu ist immergrün, eine Seltenheit unter unseren heimischen Pflanzenarten und daher für die naturnahe Gartengestaltung nicht uninteressant.

Es gibt also vielfältige Gründe für Efeu im eigenen Garten. Oft muss man ihn nicht einmal pflanzen. Vögel, die die Früchte des Efeus gefressen haben, verteilen dessen Samen. Es reicht daher, einige der spontan auftauchenden Sämlinge nicht auszuzupfen. Dann hat man eines Tages das Glück, in einer unscheinbaren Ecke des Gartens dem faszinierendsten Insektenkonzert des Herbstes lauschen zu dürfen.

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