Sonntag, November 24

In seinem neuen Buch ortet der Publizist eine «Meinungsplage» in den Medien – und hat zu allem eine Meinung.

Wenn Roger de Weck über Politik und Medien herzieht, ist ihm Aufmerksamkeit gewiss. In den Tamedia-Zeitungen lässt er sich über «Rechtsautoritäre» aus, die gegen unabhängige Medien seien. Auf SRF prangert er die «Erregungsökonomie» der Medien an – und gibt auf Einladung des SRF-Journalisten schon einmal eine Abstimmungsempfehlung gegen die sogenannte Halbierungsinitiative ab: In einer Zeit, «wo es so viel Desinformation gibt», müsse eine Reduktion der SRG-Gebühren unbedingt abgelehnt werden.

Glaubt man dem Publizisten de Weck, ist der «wunderbare Beruf» des Journalisten gefährdet. Die Medien vergleicht er mit der Textilindustrie im 19. Jahrhundert: Seit Jahren gehe es abwärts. Nun brauche es einen Befreiungsschlag. Das schreibt er in seinem neuen Buch «Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen».

Ein Meinungsmacher prangert die «Meinungsplage» an

Die privaten Medienhäuser, so de Wecks These, würden den Journalismus aufgrund wegbrechender Werbe- und Abo-Einnahmen zunehmend verraten. Sie jagten Klicks hinterher, statt fundierte Informationen zu liefern, pauschalisierten und polemisierten lieber, als zu differenzieren. Sie hielten Meinungen für wichtiger als Fakten, was eine wahre «Meinungsplage» ausgelöst habe. Deshalb müsse der Journalismus von den Medienhäusern befreit werden: namentlich durch den Staat, der «kritischen» und «unabhängigen» Journalismus künftig finanzieren soll wie Schulen und Strassen.

Roger de Weck ist kürzlich 71 geworden, er schreibt als Repräsentant einer Branche, in der er es vom Volontär bei der «Tribune de Genève» zu höchsten Ämtern gebracht hat. Er war Chefredaktor der deutschen «Zeit» und des «Tages-Anzeigers», von 2012 bis 2017 führte er die SRG als Generaldirektor. Bis heute ist er bestens vernetzt in der Medienwelt. Bei der «Republik» war er kurze Zeit Verwaltungsrat, als Mitglied des Zukunftsrates nimmt er darauf Einfluss, wie sich ARD, ZDF und Deutschlandfunk entwickeln sollen.

Wer in de Wecks Buch eine selbstkritische Analyse des Medienbetriebs erwartet, wird allerdings enttäuscht. Lohnend ist die Lektüre dennoch. Der ehemalige SRG-Chef ist ein eleganter Schreiber, und er verkörpert einen Typ Medienmacher, der überzeugt ist, die gegenwärtige Krise des Journalismus habe nichts mit Überheblichkeit in den eigenen Reihen zu tun.

Vieles von dem, was er in seinem Buch anspricht, ist tatsächlich ein Problem. Etwa der Kampf von autoritären Rechtspopulisten wie Viktor Orban, Björn Höcke und Donald Trump gegen freie Medien und faktenbasierte Diskussionen. Oder die Geringschätzung des Journalismus durch Unternehmen wie die TX-Gruppe, die trotz Millionengewinnen ihre Zeitungsredaktionen ausdünnt.

Doch in einem mehr ideologischen als journalistischen Furor macht de Weck genau das, was er anderen vorwirft: Er pauschalisiert und polemisiert, wirft mit Meinungen um sich und verfährt nach dem Motto «Wahr ist, was meiner Argumentation dient». Das überrascht nicht, denn er hat eine politische Mission. Als internationalistischer und etatistischer Linker wollte er die SRG auf Anti-SVP-Kurs trimmen. Heute klagt er über «Grünen-Hass», und in seinen Büchern wittert er überall Rechtsrutsch, Reaktionäre und «rechte» Kräfte. Sie sind angeblich schuld daran, wenn Journalismus einen schlechten Ruf hat.

Der öffentlichrechtliche Rundfunk macht fast alles richtig

Was rechts ist, definiert de Weck nicht genau. Er lässt aber wenig Zweifel offen, dass er Liberale dazuzählt, die seine Begeisterung für Staatsinterventionen nicht teilen. All diese Rechten, so unterstellt er, hätten ein Problem mit gutem Journalismus. O-Ton: «In rechter Lesart ist der Journalismus undemokratisch.» Die Realität ist etwas komplizierter, zumal es in der Politik eine parteiübergreifende Tendenz gibt, Journalismus danach zu beurteilen, ob er den eigenen Zielen nützt. Auch Grüne entlarven sich oft schnell als falsche Freunde von unabhängigen Medien, wenn sie kritisiert werden.

So gesehen tickt Roger de Weck ähnlich wie ein Politiker: Was ihm weltanschaulich missfällt, ist Populismus und Hass. Was seine Meinung bestätigt, ist kritisch und demokratisch. Allen voran der öffentlichrechtliche Rundfunk, der seiner Ansicht nach publizistisch fast alles richtig macht und deshalb keinesfalls weniger mächtig sein soll. Egal ob in der Schweiz, Grossbritannien oder in Deutschland, wo ARD, ZDF und Konsorten zehn Milliarden Euro im Jahr beanspruchen.

Die Frage, inwiefern diese Sender zu der von ihm diagnostizierten «Meinungsplage» beitragen, sucht man in de Wecks Buch vergeblich. Er beschäftigt sich auch nicht mit jenen Journalisten des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die Impfgegner als Blinddärme oder Feministinnen als Scheisshaufen beschimpfen. Oder mit gebührenfinanzierten «Faktencheckern», die vor nicht allzu langer Zeit beweisen wollten, wie klug die Russlandpolitik der deutschen Regierung und wie dringlich die Corona-Massnahmen seien.

Was nicht passt, wird weggelassen

Vielmehr kanzelt er Kritik an Faktenchecks pauschal als Masche von «rechtspopulistischen Gesinnungsjournalisten» ab. Ähnlich klar ist seine Meinung zu jenen, welche die Macht der SRG infrage stellen: «Feinde der offenen Gesellschaft», so erklärte er kürzlich den Tamedia-Zeitungen, würden das gebührenfinanzierte Medienhaus «bekämpfen». Derselbe Autor klagt über mangelnde Nuancierungen und plädiert dafür, allein die Fakten sprechen zu lassen.

Während der öffentlichrechtliche Rundfunk in de Wecks Weltbild eine Art Krönung des Journalismus darstellt, misstraut er den privaten Medien. Sie sind seiner Ansicht nach politisch beeinflussbar, im Gegensatz zum angeblich ideologiebefreiten öffentlichrechtlichen Rundfunk. Von «Rechten», versteht sich.

Rechts ist für de Weck auch in der Medienwelt vieles, von der linken «Süddeutschen Zeitung» (steht «rechts der Mitte») bis zur NZZ, die, wie de Weck zu wissen glaubt, von jeglichem Linksliberalismus «gesäubert» wurde. Den französischen Medienmarkt sieht er beherrscht von Milliardären, die rechte Meinungen fördern. Allerdings verschweigt er zwei wichtige Tatsachen. Die grösste Zeitung, «Le Monde», ist trotz schwerreichen Besitzern links. Und die drittgrösste Zeitung, «Médiapart», betreibt Stimmungsmache für die antisemitische Linkspartei La France insoumise.

Als Beleg dafür, dass die privaten Medien aufgrund von Geldsorgen und Klickgier immer mehr nach rechts driften, nennt de Weck die Ausländerkriminalität. Sie werde übertrieben, und die meisten Medien würden unterschlagen, dass sie viel mehr soziale als kulturelle Ursachen habe. Wie sich de Weck die teilweise massive Übervertretung bestimmter Herkunftsländer bei Sexual- und Gewaltdelikten erklärt, bleibt offen.

Plädoyer für eine gelenkte Debatte

Wer den Journalismus schützen will, müsste sich nicht nur mit autoritären Rechten, sondern auch mit linken Aktivisten und Islamisten auseinandersetzen. Denn diese führen ebenfalls einen Kulturkampf gegen freie Medien, manche gar mit staatlicher Hilfe. Die EU etwa hat einen «Islamophobie-Report» unterstützt, in dem Journalisten wegen Recherchen in islamistischen Milieus als Rassisten an den Pranger gestellt werden. Und die vom deutschen Staat alimentierten «Neuen deutschen Medienmacher*innen» versuchen, («Spiegel»-)Berichte über Clan-Kriminalität mit Rassismusvorwürfen zu diskreditieren.

Allein, davon liest man bei Roger de Weck fast nichts, abgesehen von der Feststellung, es gebe auch «identitätspolitische Antiaufklärer» (die, man ahnt es, bloss auf Diskriminierung und rechte Provokationen reagierten). Wie autoritär sich diese gebärden, führt er nicht aus. Dabei kommt das Wort «autoritär» in de Wecks Buch über vierzig Mal vor. Ein Fall von Projektion?

In der neuen idealen Medienwelt, die er in seinem neuen Buch skizziert, wird jedenfalls von berufener Seite darüber gewacht, dass der Journalismus «demokratiefreundlich» bleibt (was damit gemeint ist, dürfte klar sein). Man könnte, so schreibt de Weck, jährliche «Gipfeltreffen» einberufen. Zudem lobt er die EU, weil diese die sozialen Netzwerke mit schwammig formulierten Vorgaben regulieren will. Unter anderem sollen «nachteilige Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte» verhindert werden – was immer das heissen mag.

Selbstverständlich kann man über die staatliche Förderung von Medien diskutieren. Sofern der Journalismus seine zum Teil selbst verschuldete Imagekrise überwinden soll, braucht er jedoch glaubwürdigere Anwälte als Roger de Weck.

Roger de Weck: Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen. Suhrkamp-Verlag, Berlin. 224 S., Fr. 24.50.

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