Sonntag, September 29

Beim 3:1 gegen Ungarn baden Schweizer Spieler, der Trainer und das Publikum in positiven Emotionen. Der Sieg zum EM-Start ist ein Versprechen, das darauf wartet, dass es die Mannschaft einlöst – im fast gesicherten Achtelfinal.

Kündigte sich da gerade etwas an? Diesen Eindruck musste gewinnen, wer am Samstagnachmittag im Kölner Rhein-Energie-Stadion einen Blick auf den Pegelmesser der Schweizer Emotionen richtete. Auf dem Platz war schon früh ein erster Ausschlag nach oben zu konstatieren, als Kwadwo Duah wundersam dem Zauberkasten von Murat Yakin entschlüpfte und im zweiten Länderspiel das 1:0 schoss. Die zweite Gefühlsaufwallung kurz vor der Pause war schon heftiger.

Das war etwa daran zu erkennen, dass die Emotionen den Schweizer Trainer dazu verleiteten, die Begrenzung seiner Coaching-Zone zu missachten. Dicht vor ihm türmten sich seine Spieler zum unordentlichen Jubelhaufen, nach dem sehr ordentlich herausgespielten Treffer von Michel Aebischer zum 2:0. Yakin konnte nicht mehr anders, als seinen Arbeitsplatz zu verlassen, um anerkennend auf Schulter oder Hinterkopf des einen oder anderen Spielers zu klopfen. Die Indizienlage war schon zu diesem Zeitpunkt ziemlich eindeutig: Doch, es kündigte sich etwas an.

Der Nachmittag in Köln gipfelte im blitzsauberen 3:1 kurz vor Schluss. Das Goal von Breel Embolo bildete den emotionalen Kulminationspunkt, es folgten ausgelassene Jubelfeierlichkeiten auf Rasen und Tribüne. Auch Yakin, der sich mit seinen taktischen Winkelzügen zum heimlichen Sieger des Nachmittags gemacht hatte, fand sich ein bei den Danksagungen der Mannschaft vor dem Publikum. Die grandiose Stimmung sei «schon anders gewesen als in den halbleeren Kleinstadien in der Qualifikation», sagte der Coach später.

Ein ungewohnt emotionaler Trainer

Die TV-Bilder übermittelten der Welt einen Murat Yakin, der an diesem Nachmittag nicht unbedingt dem entsprach, was man von ihm gewohnt war. Statt wie üblich cool und locker die eine oder andere Anweisung zu erteilen, war es schon fast eine Mischung aus verrücktem Professor und feurigem Kobold, der da im Coaching-Geviert fuchtelte und fieberte. Der Schiedsrichter Slavko Vincic musste gar Einhalt gebieten mit einer gelben Karte, der ersten für Yakin als Nationaltrainer. Ein Pulszähler oder Emotionenmesser hätte wohl auch bei Yakin erhöhte Ausschläge gezeigt.

Gefühlt zwei Drittel der Plätze im Stadion des 1. FC Köln waren vom Schweizer Anhang besetzt. Er trug wesentlich dazu bei, in Kombination mit den für ihre Grimmigkeit bekannten Fans der Ungarn, eine Fussballfestatmosphäre entstehen zu lassen, die jedem Marketingexperten für Sportemotionen ein Leuchten ins Gesicht gezaubert hätte. Friedlich, fröhlich, ausgelassen. Und mit schönen Begebenheiten wie den zwei Schweizern aus dem gleichen Dorf, die sich auf Mundart begrüssten: Bist du auch wieder hier?

«Wieder hier»: Köln hat für die etwas älteren Freunde und Freundinnen der Schweizer Nationalmannschaft ja durchaus historische Bedeutung. Bis am letzten Samstag war Köln während achtzehn langer Jahre ein Unort wie für die alten Eidgenossen das lombardische Marignano: Stichwort «WM-Achtelfinal 2006 gegen die Ukraine». Nun hat sich der Unort für den Schweizer Fussball in einen Ort der Freude verwandelt; die peinliche Schmach mit keinem einzigen Schweizer Treffer im Penaltyschiessen 2006 ist spätestens ab jetzt getilgt.

Aber was soll die trübe Vergangenheit, wenn die schöne Gegenwart viel verheisst für die nahe Zukunft?

Die feiernden Schweizer Anhänger begannen sich wieder in die Kölner Innenstadt zu verstreuen, in den Trambahnen, begleitet von freundlichen Ansagen auf Schweizerdeutsch. Im Stadionbauch wurden die letzten Interviews geführt. Die Schweizer richteten den Blick bereits wieder nach vorne, die Emotionen des Nachmittags auf professionelle Temperatur gekühlt. «Die Vergangenheit interessiert mich herzlich wenig», sagte der Captain Granit Xhaka, «wichtig ist nur, dass wir gut ins Turnier gestartet sind.»

«Wir müssen sehr bereit sein», mahnt der Captain

Die drei gewonnenen Punkte kündigen Xhaka und seine Mannschaft schon fast sicher als Achtelfinalteilnehmer an, Medien und Experten erkennen die Schweiz nach dem 3:1 als Deutschlands Widersacher im Kampf um den Gruppensieg. Bevor die Schweizer am nächsten Sonntag in Frankfurt auf die furios gestarteten Deutschen treffen, haben sie am Mittwoch abermals in Köln die Aufgabe gegen die angeschlagene Auswahl aus Schottland zu lösen. «Wir müssen sehr bereit sein», sagte Xhaka. Auch in einer verbrauchten Floskel kann sich manchmal etwas ankündigen.

Der magistrale Anführer der Schweizer hat in der Meister-Saison mit Leverkusen gelernt, was es bedeutet, «Spiel für Spiel» zu nehmen. Und er hat gerade erlebt, wohin das führen kann. Die Schweizer haben sich mit dem 3:1 erst von der Ungewissheit befreit, ob die schlechten Resultate mit den rumpelnden Nebengeräuschen in den vergangenen Monaten überwunden sind. Danach sah es zwar aus an diesem Nachmittag in Köln, als der Pegelmesser für Emotionen in die Höhe schoss. Aber was Yakin und seine Mannschaft aus diesem Nachmittag gemacht haben, ist vorerst ein Versprechen, das darauf wartet, eingelöst zu werden.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, ein Märchen kann für die Schweizer erst ab dem Achtelfinal beginnen. So weit ist es noch lange nicht. Aber der Sommer soll ja noch kommen, obwohl am Samstag in Köln erst eine Schwalbe gesichtet wurde.

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