Donnerstag, Oktober 3

Ende der 1990er Jahre gab es in Deutschland noch fünf Grossbanken. Vier dieser Institute könnten bald in den Händen der italienischen Unicredit sein. Wie ist es dazu gekommen, und welche Rolle spielte die Politik dabei? Ein Gespräch mit dem Bankenexperten Stephan Paul.

Herr Paul, bald könnte es mit der Deutschen Bank nur noch eine unabhängige private Grossbank geben. Wie konnte es so weit kommen?

Die Bankenkonsolidierung ist vorangekommen. Vor knapp 30 Jahren gab es die drei Frankfurter Grossbanken Deutsche Bank, Dresdner und Commerzbank sowie die bayrischen Institute Vereinsbank und Hypotheken- und Wechsel-Bank. Bei den Privatbanken war das nicht immer eine freiwillige Konsolidierung, sondern ging auch mit Krisen einher. Noch stärker fortgeschritten ist die Bankenkonsolidierung aber im Sparkassensektor und bei den Genossenschaftsbanken. Dort hat es ein massives Filialsterben gegeben, auch durch die zunehmende Digitalisierung.

1998 haben die beiden Traditionshäuser Bayerische Vereinsbank und Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank (Hypo-Bank) fusioniert. Es hiess damals, die Deutsche Bank hätte Interesse an der starken Vereinsbank, doch die Landespolitik habe eine bayrische Fusion mit der als schwächer geltenden Hypo-Bank präferiert.

So erzählt man es heute, offiziell wurde das nie bestätigt. Angesichts des bayrischen Selbstbewusstseins kann man sich das aber ganz gut vorstellen. Wenn die Politik jedoch Dinge forciert, bleiben oft andere Faktoren auf der Strecke, etwa die Risikostreuung. Das hat sich auch bei der bayrischen Fusion gezeigt, denn viele Immobilien-Engagements der Hypo-Bank, überwiegend in Ostdeutschland, waren nicht werthaltig. Die fusionierte Bank mit dem Namen HypoVereinsbank hat deshalb nicht die erhoffte Schlagkraft entwickelt.

Die HypoVereinsbank wurde 2005 schliesslich von der Unicredit übernommen. Offenbar zeigten bayrische Politiker dabei weniger Gegenwehr oder hatten weniger Einfluss darauf, dies zu verhindern.

Ich vermute eher Letzteres. Mich erstaunen immer wieder die dezidierten Stellungnahmen von Politikern, damals wie heute. Man denke an die einst grösste Landesbank, die WestLB, die sehr stark von der Politik geprägt war. Auch jetzt, wo die Commerzbank möglicherweise von der Unicredit übernommen wird, gibt es sie wieder – bis hinauf zum Bundeskanzler.

Die Commerzbank ist selbst durch eine Übernahme gewachsen. Mitte 2008, kurz vor dem vollen Ausbruch der Finanzkrise, hatte sie die Übernahme der Dresdner Bank angekündigt, die damals zur Allianz gehörte. Auch das soll politisch orchestriert gewesen sein.

Ja, die Politik hat sich in jener Zeit nationale Bankenchampions gewünscht und daher eine Konsolidierung auf dem deutschen Markt forciert. Auch damals hatte die Politik den Impuls, aus der Perspektive des Inlandsgeschäfts heraus, eine Konsolidierung herbeizuführen. Man hat aber Risiken an anderer Stelle übersehen oder nicht mit dem nötigen Ernst geprüft.

Welche Risiken meinen Sie?

Die deutschen Banken waren zuvor stark ins Investment Banking eingestiegen, im Rückblick muss man sagen, mit verheerenden Folgen. Die Deutsche Bank war Vorreiter und hatte dabei zunächst die bessere Position. Die Dresdner Bank und die Commerzbank folgten später und haben dann wohl schlechtere Risiken genommen. Sie hatten auch Schwierigkeiten, gutes Personal für den Bereich zu finden. In der Finanzkrise sind schliesslich die grossen Risiken in der Bilanz der Dresdner Bank sichtbar geworden, die dann aber schon bei der Commerzbank gelandet waren. In der Folge hat Deutschland die Commerzbank teilverstaatlicht, worunter das Institut bis heute leidet.

Welche Rolle hat die Dreiteilung des Bankenmarktes in Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsinstitute bei der Entwicklung gespielt?

In Deutschland sind die drei Sektoren besonders stark voneinander abgegrenzt. Das hat eine stärkere und schnellere Konsolidierung verhindert. Zudem haben Sparkassen und Genossenschaftsbanken in vielen Fällen eine Marktstellung, die es ihnen ermöglicht, entweder eigenständig zu bleiben oder das Überleben durch eine Fusion innerhalb ihres Sektors zu sichern.

Ist die Dreiteilung auch der Grund für die schwachen Margen und die hohe Wettbewerbsintensität im deutschen Bankensektor?

Das ist sicherlich ein Grund. Aus Sicht der Kunden ist es aber angenehm, dass die Preise für Bankdienstleistungen hierzulande nicht so hoch sind wie beispielsweise in Grossbritannien.

Sie haben bereits die WestLB angesprochen. Etliche Dachinstitute der Sparkassen haben sich in den vergangenen Jahren nicht mit Ruhm bekleckert. Es hat auch kaum eine Konsolidierung gegeben, vor allem im Vergleich mit dem Genossenschaftssektor, wo es inzwischen mit der DZ Bank ein einziges Spitzeninstitut gibt.

Bei den Landesbanken ist die politische Komponente noch stärker ausgeprägt als bei den Genossenschaften. Es hat dort auch deshalb so wenige Fusionen gegeben, weil sich Landespolitiker ihren Einfluss sichern wollten. Bei der damaligen WestLB hat man das besonders gut gesehen, weil die Landesregierung sehr spezifische Projekte fast nach Gutsherrenart durchgesetzt hat. Inzwischen sage ich das jedoch mit einer gewissen Vorsicht, denn es gab Veränderungen. Heutzutage ist der Einfluss aufgrund der öffentlichen Beobachtung und der Kontrollstrukturen zum Glück weniger ausgeprägt.

Welche Lehren sollte man aus der Entwicklung für den Bankenmarkt ziehen?

Wettbewerb ist ein wichtiger Faktor. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass der Wettbewerb stark durch Fintechs getrieben wurde. Sie haben viel Schwung in die Branche gebracht. So hat beispielsweise Paypal den Zahlungsverkehr sehr stark beeinflusst. Auch in anderen Bereichen hat es Veränderungen gegeben, Stichwort Kreditplattformen. Zudem muss man schauen, wie sich Big Techs wie Apple und Amazon künftig verhalten. Sie haben schon vorsichtig damit angefangen, in den Finanzdienstleistungsmarkt vorzustossen. Hier sehe ich eine grosse mögliche Veränderungskomponente.

Warum sind Big Techs noch so vorsichtig, scheuen sie den stark regulierten Bankenmarkt?

Diese Konzerne haben genug Geld, um Tausende Leute einzustellen, die sich mit der Regulierung auseinandersetzen. Ich denke, tatsächlich sind ihnen die Gewinne im Bankensektor zu niedrig. In ihrem Kerngeschäft erzielen sie deutlich höhere Margen, warum sollten sie dann ins Banking einsteigen? Dazu kommt die Fragmentierung des europäischen Bankenmarktes, die das Erzielen von Skaleneffekten erschwert. Solange es die angestrebte Bankenunion noch nicht wirklich gibt, ist es schwierig, eine homogene Produktpalette für die gesamte EU anzubieten. Das senkt den Anreiz, in den Markt einzusteigen.

Mit der Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit könnte Schwung in die Bankenunion kommen. Sollte Berlin auch deshalb die Fusion ermöglichen?

Die Politik sollte es den Managements der Banken überlassen, einen oder mehrere Pläne für die Zukunft vorzulegen, wie auch immer die aussehen. Danach können sich die Eigentümer, also die Aktionäre, für einen Weg entscheiden. Die nationale Brille sollte die geringste Rolle spielen. Auch ein gemeinsames Institut unter italienischer Führung hat Interesse an einem grossen Geschäft mit dem deutschen Mittelstand. Warum sollte man das reduzieren?

Unicredit hat einen enormen Bestand an italienischen Staatsanleihen im Portfolio. Dies wird von Kritikern als Argument gegen eine Fusion genannt, weil Italiens Bonität nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Eine Pleite des Landes könnte den italienischen Bankensektor mitreissen, wovon nach einer Übernahme auch die Commerzbank betroffen wäre.

Es ist ein grosses Manko, dass Staatsanleihen in der EU und anderen Regionen der Welt nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden müssen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auch Staatsanleihen keine risikolosen Anlagen sind. Der enorme Bestand an italienischen Staatsanleihen bei der Unicredit ist eine Gefahr; deshalb den Commerzbank-Kauf zu untersagen, ginge aber zu weit. Idealerweise würden die Aktionäre darauf drängen, dass Unicredit ihren Bestand an Government-Bonds reduziert.

Zur Person

PD

Stephan Paul – Ruhr-Universität Bochum

Der Wissenschafter hat seit dem Jahr 2000 den Lehrstuhl für Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum inne. Er ist zudem seit 2004 Mitherausgeber der Fachzeitschrift «Bank-Archiv» und engagiert sich für die Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft, seit 2024 als Präsidiumsmitglied. Mit einer Kollegin und einem Kollegen hat er im Jahr 2020 das Jubiläumsbuch «150 Jahre Commerzbank» veröffentlicht.

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