Sonntag, September 8

Die vom Amerikaner Joe Mansueto finanzierten Tessiner sind hinter YB zur festen Grösse geworden. Davon zeugt ihr dritter Cup-Final in Folge. Trotz verheissungsvoller Zukunft kämpfen sie im Alltag um Support.

Während der Fussballer Mattia Bottani auf der Tribüne des Cornaredo-Stadions den Medien erklärt, weshalb der FC Lugano noch besser geworden ist, stört Lärm. Einerseits werden im Cornaredo nach Saisonschluss Arbeiten verrichtet, andererseits brummt eine Maschine einen Steinwurf entfernt, wo das Fundament der neuen Arena zu sehen ist. Vier Kräne ragen gegen den Himmel. Bottani spricht. Gleichzeitig verschmelzen Gegenwart und Zukunft.

Der FC Lugano ist im Steigerungslauf. Vierter 2022, dann Dritter und nun Zweiter in der Meisterschaft, Cup-Sieg 2022 und jetzt wieder Cup-Final, wie schon im Vorjahr, der dritte in Serie, am Sonntagnachmittag in Bern gegen den Servette FC. Lugano ist hinter YB zur Nummer 2 geworden – und dies im Provisorium Cornaredo, das aus der Zeit gefallen scheint. Alte Tribüne, enge Kabinengänge, ein kleines Restaurant, ein winziges Medienzimmer und ein Mini-Fan-Shop.

Der Amerikaner bezahlt auch das Fitness-Provisorium

«Wären wir an der Börse, wären wir keine schlechte Aktie», sagt Luganos Sportchef Carlos Da Silva. Er zeigt zur Seite hin, wo ein Fitnesszentrum errichtet worden ist. Ein Provisorium, in zwei Jahren wird es wieder abgerissen. Das sei ein Baustein des modernen Fussballs, sagt Da Silva. Möglich gemacht «dank Chicago».

Chicago ist das Schlüsselwort. Oder Joe Mansueto der Zaubername, an dem ausserordentlich viel hängt. Der amerikanische Milliardär ist 2021 in Lugano eingestiegen und lässt seither die Millionen purzeln. Er bezahlt die Fitnessräume und steuert 16 Millionen Franken zum neuen Stadion bei. In den von der Swiss Football League veröffentlichten Finanzzahlen der Klubs sind unter dem Posten «sonstige betriebliche Erträge» in den letzten zwei Jahren summiert 40 Millionen vermerkt. Grösstenteils steht dafür Mansueto gerade.

Was tut er da? Die banale Antwort: Er hat Lust, einen Schweizer Klub zu finanzieren. Und tut dies grundsolid. Gleiches macht er beim Chicago Fire FC, dem Team in den USA, das in der Major League Soccer kriselt und auf den zweitletzten Platz abgerutscht ist. Der FC Lugano ist sogar vom in der Schweiz systemimmanenten Druck entlastet, Spieler verkaufen zu müssen. Er ist weich gebettet und lässt in Luzern und St. Gallen, wo keine grosse Geldquelle hilft, fragende Gesichter zurück.

Im Gegensatz zu den Chinesen und Amerikanern im Grasshopper-Club hat Mansueto auf der Baustelle im Tessin schnell etwas auf die Schiene gebracht und schwebt mit seinem Projekt nicht irgendwo im luftleeren Raum. Dazu verholfen haben ihm mitunter die Vernetzung und das Wissen des in Chicago tätigen Georg Heitz, der als Sportchef zusammen mit dem Präsidenten Bernhard Heusler bis 2017 die erfolgreiche Ära des FC Basel geprägt hat.

Carlos Da Silva hinterlässt als Sportdirektor in Lugano Spuren, aber ohne Heitz würde der Nationalspieler Renato Steffen nicht in Lugano Fussball spielen. Steffen ist eine teure frühere Bundesliga-Nummer, die man sich ohne Mansueto nicht leisten könnte. Gut möglich, dass der 32-Jährige 2022 nicht nur mit Geld, sondern auch mit einem möglichen Wechsel nach Chicago angelockt wurde.

Shaqiri hat schon in Lugano trainiert

Bis jetzt bleibt der Austausch von Spielern zwischen Lugano und Chicago überschaubar. Ousmane Doumbia weilte ein halbes Jahr in Chicago, derzeit sind Maren Haile-Selassie und Allan Arigoni dort. Xherdan Shaqiri hat temporär schon den anderen Weg genommen und vor Einsätzen mit der Nationalmannschaft in Lugano trainiert. «Es sind zwei Welten, die nicht einfach zu vereinen sind», sagt Carlos Da Silva, «jeder Spieler entscheidet mit, keiner muss gehen, niemand wird hin- und hergeschoben.»

Im Unterschied zu GC ist Lugano keine ausser Rand und Band geratene, keine ferngesteuerte Spielerbörse. Der Sportchef bleibt derselbe. Der CEO Martin Blaser ebenfalls. Wie der Trainer Mattia Croci-Torti, der Einheimische, der in die vermögende Familie des Kaffee-Imperiums Chicco d’Oro eingeheiratet hat, der an der Seitenlinie berühmt ist für seine Dächlikappe auf dem Kopf und den ihm fremden Gast in Lugano wie einen Kumpel begrüsst.

Croci-Torti witzelt mit Da Silva darüber, als seine Vertragsdauer bis 2025 zum Thema wird. Wird er noch lange im FC Lugano arbeiten? «Natürlich», entgegnet er salopp. Man muss das alles nicht so ernst nehmen. Croci-Torti steht nicht für Glitzer, sondern für Erdung. Er sagt, dass sein Team die Gabe habe, in schwierigen Spielphasen ruhig zu bleiben, auch damit begründet er den dritten Cup-Final in Folge. Eindrücklich führte dies sein Team 2022 vor, als es im Final den emotional übersteuerten FC St. Gallen zerlegte und 4:1 gewann.

Lugano hat YB ein bisschen Angst gemacht

Gleichzeitig weist er auf das Spielglück hin, das Lugano hold ist. Vor allem im Cup. Aber damit allein lässt sich nicht begründen, dass die Tessiner im Schweizer Fussball Boden unter den Füssen haben. Es läuft gut auf der Baustelle. Dennoch reicht das nicht, um dem Serienmeister YB mehr als nur ein bisschen Angst einzuflössen. Die Gründe dafür sind auch – aber nicht nur – auf die Baustelle zurückzuführen.

Da das Cornaredo längst nicht mehr zeitgemäss ist, sind die Tessiner in den letzten Jahren für ihre zahlreichen Europacup-Spiele nach Luzern, Genf oder Zürich gefahren. Fortan werden sie in Thun Gastrecht geniessen. Dadurch werden selbst Heim- zu Auswärtsspielen, zumal für einen Klub, der für jeden nationalen Match bei der Konkurrenz den Gotthard durchqueren muss. Das erschwert die Logistik und bedeutet während intensiver Europacup-Wochen wie im letzten Herbst (Conference League), dass Lugano ständig auf Reisen ist.

3400 kommen im Schnitt ins Stadion

Der Tessiner Fussballboden ist pickelhart. Während YB in der Region Bern zum Massenphänomen geworden ist, steigert der FC Lugano den Publikumsschnitt in dieser Saison leicht auf 3400. Noch folgt dem Mansueto-Projekt fast niemand. Das ist bitter für die Verantwortlichen. Naher italienischer Fussball in Como, Mailand und Turin als unmittelbare internationale Konkurrenz, Schweizer Eishockey in Lugano und Ambri als nationale.

Immerhin sind zwei Dinge gesichert: Im Cup-Final unterstützen den FC Lugano über 10 000 Personen in Bern, die Frage ist bloss: Woher kommen die? Und jedes neue Stadion bedeutet einen Publikumsanstieg. Es ist ein schwacher Trost für eine bis jetzt erfolgreiche Expedition, die grosszügig aus den USA, nicht aber vom Volk getragen wird.

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