Sonntag, September 8

Der frisch gewählte Präsident Milei hat weiterhin die Unterstützung der Mehrheit im Land. Dabei hilft, dass er sich im Kongress kompromissbereit zeigt, um sein Wirtschaftsprogramm zu retten.

Er ist noch keine sechs Wochen im Amt, und schon haben die Gewerkschaften zum Streik gegen das Reformprogramm des libertären Präsidenten Javier Milei aufgerufen. Unter dem Motto «Die Heimat wird nicht verkauft» hat der Gewerkschaftsdachverband Confederación General del Trabajo (CGT) zu einem Generalstreik gegen die Reformen der Regierung aufgerufen, die gerade im Kongress verhandelt werden. «Das Gesetz ist unrechtmässig, illegal und verfassungswidrig», sagte Héctor Daer, der Generalsekretär der Gewerkschaft.

Doch die Proteste fielen deutlich schwächer aus als von den Organisatoren erwartet. Die Gewerkschaften sprachen von über einer halben Million Demonstranten, die sich vor dem Kongress versammelt hätten. Doch es dürften deutlich weniger gewesen sein. Die Polizei bezifferte die Demonstranten auf 130 000 Personen.

Es war der erste Streik seit fünf Jahren. Gegen die links-peronistische Regierung von Alberto Fernández hatten die Gewerkschaften nie zu Protesten aufgerufen, obwohl der Präsident passiv zusah, wie das Land mit wachsender Inflation und schwerer Rezession immer tiefer in die Krise rutschte.

Milei kann nun gestärkt mit dem Kongress verhandeln

Die schwächer als erwartet ausgefallenen Proteste dürften Mileis Position bei den Verhandlungen im Kongress über seine Reformen stärken. Milei hatte kurz nach seinem Amtsantritt am 11. Dezember letzten Jahres dem Abgeordnetenhaus zwei umfangreiche Reformpakete vorgelegt.

Mit einem Dekretpaket, das bereits seit einem Monat in Kraft ist, aber vom Kongress wieder gekippt werden könnte, will Milei vor allem die Wirtschaft privatisieren, öffnen und deregulieren. Ein Gericht hat davon bisher lediglich die Arbeitsgesetzreformen für ungültig erklärt. Mit einem umfangreichen Notstandsgesetz mit 664 Regelungen für eine Staatsreform will Milei auch die Gewaltenteilung verwässern und wesentlich mehr Macht an die Exekutive geben.

Bei diesem Gesetzespaket, das wegen seiner gewaltigen Dimensionen «Ley Ómnibus» genannt wird, hat Milei einen Tag vor dem Streik bereits einen wichtigen Verhandlungsfortschritt erzielt. Die vier Kommissionen, die das Gesetz verhandelt hatten, waren damit einverstanden, dass über das Reformpaket bereits am heutigen Donnerstag abgestimmt werden kann. Danach soll es in den Senat weitergeleitet werden.

Dabei zeigte sich Milei, der bisher von keinen seiner Maximalforderungen zurücktreten wollte, überraschend pragmatisch. 141 Gesetzesvorlagen des Pakets strich die Regierung, um die Abstimmung unter den Abgeordneten zu ermöglichen und vor allem um die Essenz der liberalen Wirtschaftsreformen zu retten.

So hatte die Regierung am Montag die Pläne zur Privatisierung des staatlichen Ölproduzenten YPF zurückgezogen. Auch bei anderen Staatskonzernen sollten nur Anteile verkauft werden, etwa bei der Atomstrom-Holding Nucleoeléctrica, der führenden Staatsbank Banco Nación und bei dem Satellitenunternehmen Arsat.

Milei liess weiter monatliche Rentenanpassungen an die Inflation zu, die er vorher gestrichen hatte. Der Notstand, der die Regierung massiv gegenüber der Legislative stärkt, sollte zudem maximal auf zwei Jahre beschränkt werden. Auch die Streichungen im Kulturfonds nahm Milei zurück, nachdem sich ausländische Künstler wie der spanische Regisseur Pedro Almodóvar dagegen ausgesprochen hatten. Die Regierung habe nicht nachgegeben, sondern Verbesserungsvorschläge akzeptiert, so rechtfertigte Milei seine Kompromissbereitschaft.

Milei kann nun Zugeständnisse machen

Mileis Taktik scheint also derzeit aufzugehen. Er hat die Legislative mit fast 1000 Gesetzesänderungen in einem ersten Schritt mit dem Pensum überlastet, um jetzt Verhandlungsmasse zu haben und nachgeben zu können.

Milei kann dabei auf die Stimmen der «dialogbereiten Opposition» hoffen. Die radikaleren Peronisten, die von der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner angeführt werden, sind dagegen nicht verhandlungsbereit. Ihre Fraktionsmitglieder haben sich auch dem gestrigen Streik angeschlossen.

Die ehemalige Regierungschefin und ihre loyalen Peronisten werden jedoch in der Bevölkerung als die für das Desaster Argentiniens Verantwortlichen gesehen. Sie sind entsprechend unbeliebt – wie auch die mit ihnen eng verbundenen Gewerkschaften.

Viele Wähler Mileis geben ihm recht, wenn er die als korrupt eingeschätzten Gewerkschaften als Teil der «Kaste», also eines der Grundübel des argentinischen Systems, bezeichnet. Es gebe zwei Argentinien, sagte er in einem Interview vor dem Streik. «Eines, das in der Rückständigkeit, in der Vergangenheit und in der Dekadenz bleiben will – und ein anderes, das für die Ideen der Freiheit gestimmt hat.»

Milei muss sich jedoch weiter beeilen und die Gesetzespakete so schnell wie möglich durch den Kongress bekommen: Er muss die immer noch anhaltende Unterstützung der Bevölkerung nutzen, um die Reformen umzusetzen. Denn die Stimmung kann schnell drehen, falls die explodierende Inflation oder die verringerten Sozialausgaben seine Popularität schrumpfen lassen.

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