Donnerstag, Mai 22

Österreichs neuer Star JJ wurde von der Politik eben noch gefeiert. Nun sorgt seine Forderung nach einem Ausschluss Israels vom ESC im nächsten Jahr für Empörung. Der junge Sänger bemüht sich um Schadensbegrenzung.

Nationale Erfolge werden in Österreich immer sogleich auch von der Politik beglückwünscht und gefeiert. Nach dem Sieg des Countertenors Johannes Pietsch alias JJ beim Eurovision Song Contest in Basel tief in der Nacht vom Samstag dauerte es nur Minuten, bis sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Wort meldete. «Was für ein Erfolg! Ganz Österreich freut sich!», schrieb er in seinem Posting auf X. Der Bundeskanzler Christian Stocker war allerdings noch etwas schneller gewesen. Auch er wählte den Kurznachrichtendienst für seine «herzlichsten Glückwünsche». JJ habe österreichische Musikgeschichte geschrieben.

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«Politik war beim ESC Nebensache»

Am Montag folgte ein Empfang im Bundeskanzleramt, bei dem die gesamte Regierungsspitze anwesend war. Die Politiker umwarben den 24-Jährigen, inklusive Selfies mit JJ und ESC-Trophäe. Kunst und Kultur gehörten zum Selbstverständnis Österreichs, erklärte der Bundeskanzler. Die Zeitung «Der Standard» kommentierte, JJ habe auf zurückhaltende, schüchterne Art gewonnen. Seine Queerness oder der Migrationshintergrund hätten nicht im Fokus gestanden. «Politik war Nebensache», befand der Leitartikler.

Drei Tage später hat sich das schlagartig geändert. Der Grund ist ein Interview des Opernsängers, das er der spanischen Zeitung «El País» gab und in dem er scharfe Kritik an den Veranstaltern des ESC übt. Es sei sehr enttäuschend, dass Israel teilnehmen dürfe, und er wünsche sich, dass der Wettbewerb nächstes Jahr in Wien ohne das Land stattfinde, sagte JJ. Israel sei ein Aggressor wie Russland und habe wie dieses den Krieg provoziert, erklärte er – eine verstörende Schuldumkehr, die als antisemitisch gewertet werden kann. Zudem zog er das Publikumsvoting, bei dem die israelische Künstlerin Yuval Raphael gewonnen hatte, in Zweifel. Das sei seltsam gewesen und er wünsche sich mehr Transparenz, so der Sänger.

In Österreich sorgen die Aussagen verbreitet für Empörung, das Massenblatt «Kronen-Zeitung» nennt sie einen Eklat. In den sozialen Netzwerken werfen einige dem Künstler nur Unbedarftheit und fehlendes Wissen vor, andere offenen Antisemitismus. Die Begeisterung über JJ dürfte sich jedenfalls abkühlen. Österreich hat sich seiner Geschichte und der Mitschuld am Holocaust zwar erst spät, aber konsequent gestellt. Die Politik betont dies regelmässig – soeben wieder bei den Feierlichkeiten am 8. Mai zur Befreiung vom NS-Regime vor achtzig Jahren.

Der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz prägte die Formulierung, dass die Unterstützung Israels Teil der österreichischen Staatsräson sei. Wie Deutschland, das diesen Begriff ebenfalls für sein Verhältnis zu Israel verwendet, positionierte sich Österreich vor allem in den vergangenen Jahren als besonders enger Verbündeter des Landes. Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 liess die Regierung die israelische Flagge auf dem Kanzleramt hissen. Als eines von nur zwei EU-Ländern lehnte Österreich im damaligen Herbst zwei Resolutionen der Uno-Generalversammlung ab, die eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen verlangten, aber die Hamas nicht verurteilten.

Starke Zunahme antisemitischer Vorfälle

Gleichzeitig hat seit dem Massaker aber auch in Österreich der Antisemitismus stark zugenommen. Die Israelitische Kultusgemeinde verzeichnete für 2024 insgesamt 1520 Vorfälle, nochmals gut 32 Prozent mehr als im Jahr zuvor, als schon ein Negativrekord festgestellt worden war. Es geht dabei vor allem um Beschimpfungen, Schmierereien, Online-Kommentare und Drohungen, aber auch um tätliche Angriffe.

JJ ist mittlerweile um Schadensbegrenzung bemüht. Es tue ihm leid, falls seine Worte missverstanden worden seien, liess er über seine Plattenfirma verlauten. Er kritisiere zwar die israelische Regierung, verurteile aber jede Form der Gewalt gegen Zivilisten – sei es gegen Israeli oder gegen Palästinenser. Er werde sich zu dem Thema auch nicht weiter äussern, erklärte der Künstler.

Auch der ORF, der den ESC im nächsten Jahr veranstalten wird, äusserte sich. JJ habe seine Privatmeinung wiedergegeben, und die Aussagen stünden in keinem Zusammenhang mit dem Sender. Über die Teilnahme und den Ausschluss von Ländern entscheide einzig die Europäische Rundfunkunion (EBU). Es ist davon auszugehen, dass Israel teilnehmen wird und Österreich wie die Schweiz letzte Woche einigen Aufwand wird betreiben müssen, um dessen Delegation zu schützen.

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