Dienstag, November 26

Dass die Schweizer Wirtschaft erfolgreicher ist als die deutsche, liegt auch am Franken: Eine starke unabhängige Währung verhilft zu mehr Wohlstand. Diesen Trumpf haben die Deutschen leichtfertig verspielt.

Am 15. Januar 2015 erlebte die Schweiz einen traumatischen Tag – den Franken-Schock. Exakt um 10 Uhr 30 entkoppelte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Franken vom Euro. Über Jahre hatte sie einen fixen Euro-Kurs von 1.20 Franken garantiert. Das galt plötzlich nicht mehr: Stattdessen sollte der Markt das Kommando übernehmen.

Der Beschluss löste an den globalen Finanzmärkten eine Schockwelle aus. Die Schweizer Börse krachte auf einen Schlag um 14 Prozent in die Tiefe. Gleichzeitig wertete sich der Franken enorm auf – was die SNB zuvor mit aller Kraft hatte verhindern wollen. Anstatt 1.20 kostete der Euro nun weniger als 1 Franken.

«Job-Killer der Nation» nannte die Boulevardzeitung «Blick» den SNB-Präsidenten Thomas Jordan. Und illustrierte ihn als Monster Godzilla, das eine ganze Stadt verwüstet. Die Gewerkschaftszeitung «Work» zeigte ihn derweil vor einer brennenden Fabrikhalle unter dem Titel: «Jordan, der Zerstörer». Die desaströse Politik der Nationalbank führe die Schweiz in den Selbstmord, kritisierte das Blatt.

Die Abnabelung vom Euro war schmerzvoll. Trotzdem kann man zehn Jahre später festhalten: Der Entscheid hat sich gelohnt. Kaum jemand hierzulande wünscht sich noch einen fixen Wechselkurs. Nicht einmal die Gewerkschaften sprechen davon. Zu viele Vorteile hat die eigene Währung, welche eine unabhängige Geldpolitik ermöglicht.

Der starke Franken macht die Schweiz reicher

Die zweite wichtige Lektion lautet: Von einer starken Währung, wie es der Franken ist, profitieren das Land und seine Bevölkerung. Mustergültig zeigt sich das am Kontrast zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg in der Schweiz und der tiefen Krise in Deutschland. Denn diese hängt wesentlich mit der Abschaffung der D-Mark und der Einführung des Euro zusammen.

Gewiss, man kann die jüngste Rezession auch mit unglücklichen äusseren Umständen erklären, wie das die gestürzte Ampelkoalition tat. Als Sündenböcke bemühte sie primär die hohen Energiepreise und die Dumping-Strategie der Chinesen in der Industrie, etwa bei den Elektroautos.

Damit erhielt sie einen Vorwand, um bedrohte Firmen aus dem Schiffsbau oder der Stahlproduktion mit Milliardengeldern künstlich am Leben zu erhalten. Ein beliebtes Instrument aus dieser Trickkiste sind ebenso die Abwrackprämien für alte Benzinautos. Laut einem Plan der SPD soll 6000 Euro erhalten, wer seinen Verbrenner durch ein E-Auto ersetzt. Schon die Regierung Merkel verpulverte auf diesem Weg Milliarden – ohne nachhaltigen Nutzen für die Hersteller.

Deutsche Industrie stagniert schon länger

Mit Strukturerhaltung aber wird die deutsche Wirtschaft nicht aus der Misere herausfinden. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erodiert schon deutlich länger: Aktuell liegt die Industrieproduktion um 5 Prozent tiefer als noch im Jahr 2011. Diese Entwicklung ist sogar schlechter als in der Euro-Zone, welche das Niveau immerhin halten konnte. In der Schweiz dagegen ist der industrielle Output in der gleichen Periode um 40 Prozent gestiegen. Notabene schaffte die Wirtschaft diesen Effort, obwohl der Franken zum Euro um 25 Prozent zulegte.

Statt die Schuld auf die Energiepreise und China zu schieben, sollte sich Deutschland fragen, warum seine Wirtschaft dermassen verletzlich geworden ist. Hier lohnt sich ein Blick zurück auf den folgenschweren Entscheid, die Deutsche Mark aufzugeben. Traditionell gehörte diese zu den härtesten Währungen der Welt. Im Vergleich zur italienischen Lira etwa verdoppelte sich ihr Wert alle zehn Jahre. Selbst mit dem Schweizerfranken konnte die D-Mark mithalten.

«Der Name Deutsche Mark ist ebenso untrennbar mit Wiederaufbau und Wohlstand wie mit dem hohen Grad gesellschaftlicher Stabilität dieses Landes verbunden», so lobte der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer kurz vor der Abschaffung der eigenen Währung. Diesen Trumpf hat Deutschland leichtfertig aus der Hand gegeben und ist ab 1999 ins Lager der Weichwährungsländer gewechselt. So hat sich der nominale Euro-Kurs zum Franken seit der Einführung beinahe halbiert, er sank von 1.60 auf 0.94.

Warner gab es viele, etwa den früheren SNB-Präsidenten Thomas Jordan. Doch ihre Einwände wurden schlicht ignoriert. Lieber gab man sich der Illusion hin, die «One size fits all»-Strategie der Einheitswährung werde Europa voranbringen. Anfängliche Erfolge stellten sich schon bald als trügerisch heraus: Zwar profitierten die südeuropäischen Länder plötzlich vom deutschen Stabilitätsanker. Weil die Zinsen sanken, konnten sich Bürger und Staaten günstiger verschulden. Worauf in Spanien eine gigantische Immobilienblase entstand, während Griechenland auf den Staatsbankrott zusteuerte.

Der schwache Euro wirkte als Doping

Der Crash fiel heftig aus: Südeuropa musste sich einer Rosskur unterziehen. Derweil sprang Deutschland mit grosszügigen Krediten in die Bresche. Und zog trotzdem den Hass der Südländer auf sich. Denn die Deutschen konnten – vermeintlich – sämtliche Früchte der Einheitswährung für sich einheimsen. Der billige Euro wirkte für die Exportfirmen wie ein gigantisches Subventionsprogramm: Dank dem Übertritt von einer Hart- zu einer Weichwährung explodierten die Ausfuhren der deutschen Industrie. Der Exportüberschuss kletterte in nur sieben Jahren von 60 auf 200 Milliarden Euro.

«Wir sind Exportweltmeister», jubelte Deutschland. In Wahrheit jedoch wirkten die künstlich aufgeblähten Überschüsse wie ein süsses Gift. Das Strohfeuer überdeckte zudem, dass die Produktivitätsfortschritte schon damals stagnierten. Derweil durchlief die Schweizer Wirtschaft mit ihrem harten Franken ein beständiges Fitnessprogramm. Um zu überleben, mussten sich die Firmen auf Geschäfte mit einer hohen Wertschöpfung fokussieren – in der Pharma oder Medizinaltechnik etwa gehören sie heute zur Weltspitze.

Martin Hirzel, der Präsident des grössten Schweizer Industrieverbands, Swissmem, hat es kürzlich treffend formuliert: «Der starke Franken ist kurzfristig unser härtester Feind und langfristig unser grösster Freund.» Selbst den Franken-Schock von 2015 hat die Schweiz ohne Rezession überstanden – entgegen den anfänglichen Untergangsszenarien.

Die deutsche Wirtschaft hingegen, verwöhnt durch das Export-Dumping mit dem günstigen Euro, entging diesem Anpassungsdruck. Nun aber erweist sich die übermässige Abhängigkeit von der Schwerindustrie und der Massenproduktion als Bumerang. Die rückständige Struktur zeigt sich etwa darin, dass energieintensive Branchen wie die Chemie, Metallverarbeitung und Papierherstellung 80 Prozent des industriellen Energiebedarfs beanspruchen, jedoch nur mit 16 Prozent zur Wertschöpfung beitragen.

Der Reflex ist stets derselbe: Sobald eine Wirtschaft stagniert, greifen die Staaten und Notenbanken zum Rezept der schwachen Währung. Damit allerdings werden die Probleme nicht gelöst, sondern höchstens kaschiert. Schlimmer noch: Die Leidtragenden sind die Konsumenten, sie verlieren an Kaufkraft. Weil dies aber schleichend erfolgt, lehnt sich die Bevölkerung selten dagegen auf.

Die Konsumenten zahlen einen hohen Preis

Der jüngste Inflationsschub hat indes eindrücklich vor Augen geführt, wie eine Weichwährung den Wohlstand untergräbt. Seit Ende 2020 summiert sich die Teuerung in Deutschland auf schmerzhafte 19 Prozent. In der Schweiz sind die Preise derweil um lediglich 7 Prozent gestiegen. Denn die SNB liess den Franken bewusst aufwerten, um die importierte Inflation zu dämpfen. Auf diese Weise musste sie den Leitzins weniger stark erhöhen, um die Teuerung in den Griff zu bekommen: Die Spitze des Leitsatzes lag in der Schweiz bei 1,75 Prozent, gegenüber 4,5 Prozent in der Euro-Zone.

Die deutschen Verbraucher zahlen somit einen hohen Preis für die Abschaffung der D-Mark. Wenn dieser Verzicht wenigstens die Industrie gestärkt hätte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der schwache Euro ist mitverantwortlich dafür, dass die Unternehmen nötige Strukturbereinigungen verschlafen haben.

Eigentlich wäre zu erwarten, dass die schädliche Wirkung des Euro zu heftigen Debatten in der deutschen Öffentlichkeit führen würde. Weit gefehlt: Was dem Land durch die Aufgabe einer unabhängigen Währung entgeht, ist kaum noch ein Thema. Man begegnet der Einheitswährung zunehmend mit Fatalismus.

Stattdessen müsste Deutschland darauf hinarbeiten, dass der Euro nicht noch mehr zu einer Weichwährung verkommt. Im Gegensatz jedoch zu früher fehlen die Fürsprecher einer stabilitätsorientierten Geldpolitik vom Schlage eines Jens Weidmann. Der einstige Präsident der Bundesbank hielt jenen, welche über die zu starke Währung klagten, jeweils den Werbespruch einer bekannten Hustenpastille entgegen: «Sind sie zu stark, bist du zu schwach.»

Recht hat er: Der starke Franken ist nichts anderes als ein Gütesiegel für die Fitness der Schweizer Wirtschaft – auch wenn er den Exporteuren zuweilen schlaflose Nächte bereitet. Umgekehrt bleibt für Deutschland zu hoffen, dass die lange Tradition der harten D-Mark im Euro nicht gänzlich vergessengeht.

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