Donnerstag, April 24

Die EU hat der Türkei mehr als sechs Milliarden Euro für die Betreuung syrischer Flüchtlinge gezahlt. Der Rechnungshof der EU hat die Verwendung der Gelder nun zum zweiten Mal überprüft und kommt zu kritischen Ergebnissen.

Das sogenannte Flüchtlingsabkommen mit der Türkei gilt in Brüssel gemeinhin als Erfolgsgeschichte. Die milliardenschwere Vereinbarung zwischen der EU und der türkischen Regierung soll die irreguläre Migration nach Europa unterbinden – und das ist ihr zum Teil auch gelungen. Regelmässig loben europäische Politiker die Anstrengungen Ankaras, nicht nur Fluchtrouten zu überwachen, sondern auch für die Millionen von Flüchtlingen und Migranten zu sorgen, die in der Türkei vorläufig Schutz geniessen.

Lob von Steinmeier

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tat dies auch, als er am Dienstag im Rahmen eines Staatsbesuchs in die Türkei in die Grenzregion Gaziantep reiste. Er schaue mit «grossem Respekt» auf das, was bei der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und Erdbebenopfern aus Syrien geleistet werde, sagte Steinmeier beim Besuch einer Grundschule. Was der Bundespräsident vielleicht nicht wusste: Just zum selben Zeitpunkt hatte im 3000 Kilometer entfernten Luxemburg der Europäische Rechnungshof das Türkei-EU-Abkommen schwer in die Mangel genommen.

Die unabhängigen Prüfer stellten fest, dass die Hilfsmittel, die Brüssel zahlt, um seinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen, «nicht nachhaltig» eingesetzt würden. Die Rede ist von sechs Milliarden Euro, die die EU der Türkei ab 2016 zur Verfügung gestellt hat. Dieses Geld ist vorgesehen, um die Lebensbedingungen der Flüchtlinge zu verbessern. Vor allem soll es in den Bau von Schulen und Ausbildungsprojekten fliessen, was Sinn macht, wenn die Syrer vor Ort in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. 2021 wurde angekündigt, die Mittel um weitere drei Milliarden Euro aufzustocken.

Der Rechnungshof zieht die Hilfsgelder für die Türkei denn auch nicht grundsätzlich in Zweifel. «Die EU-Flüchtlingsfazilität hat in einem schwierigen politischen Kontext wichtige Unterstützung für Flüchtlinge und Aufnahmegemeinschaften geleistet», stellte die Dänin Bettina Jakobsen klar, die für die Prüfung zuständig war. «Es könnte jedoch ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis und eine grössere Wirkung erzielt werden», sagte sie. Zudem sei alles andere als sicher, was mit den Projekten in der Türkei geschehen werde, wenn die EU-Hilfe auslaufe.

Beispiele, was vor Ort alles schiefläuft, finden sich in dem Prüfbericht viele. So finanziert die EU zum Beispiel den Bau mehrerer Schulen im Grenzgebiet, die offenbar von niemandem instand gehalten werden. Die Schulen seien mit Heizungen, zentralen Lüftungs- und Klimaanlagen ausgestattet. Doch funktionierten die Anlagen nirgendwo, weil es keine ausgebildeten Techniker für die Systeme gebe. Syrische Flüchtlinge, heisst es weiter, seien zwar mit Ausbildungsmassnahmen unterstützt worden. Doch habe niemand weiterverfolgt, wie es ihnen später als Arbeitnehmer oder Unternehmer ergangen sei.

Schert sich die EU überhaupt um die Nachhaltigkeit ihrer Hilfen, oder freut sich Brüssel in erster Linie darüber, dass die Migrationsströme auf der südöstlichen Mittelmeerroute im Lot sind, und legt sich deswegen nicht unnötig mit der Türkei an? «Wir haben gesehen, dass die Kommission nicht systematisch geprüft hat, ob die Projektkosten vernünftig waren», kritisierte Jakobsen vorsichtig. Das geht zum Teil auch auf die schlechte Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden zurück. Das Bildungsministerium etwa soll trotz mehrfachen Anfragen keine Daten vorgelegt haben, wie viele syrische Flüchtlingskinder im Vergleich zu den türkischen Kindern einen Schulabschluss schaffen.

Was passiert mit den Projekten, sobald die Zahlungen aus Brüssel auslaufen? Bisher sei die Nachhaltigkeit nur für Infrastrukturprojekte zugesagt worden, also für Schulen oder Spitäler, die mit finanzieller Unterstützung der EU gebaut werden, berichtete Jakobsen.

Ankara will sich nicht in die Karten sehen lassen

Schon 2018, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens, hatte der Rechnungshof die Effektivität der Hilfsgelder unter die Lupe genommen und der Kommission damals dringend geraten, die Betreuung der Syrer zu straffen und besser zu kontrollieren. Ein Grundproblem war allerdings schon damals, dass sich die Türkei von der EU nicht in die Karte gucken lassen wollte. Die Regierung möchte auch, dass die Flüchtlingshilfe zentral von Ankara aus koordiniert wird, und nicht, dass internationale Nichtregierungsorganisationen ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Die Prüfer in Luxemburg kritisieren das. Für die NGO habe sich das Umfeld kontinuierlich verschlechtert, seit eine Reihe von restriktiven Massnahmen verabschiedet worden sei, heisst es in dem Bericht. Entsprechend schwierig sei es für ausländische Hilfsorganisationen geworden, Projekte durchzuführen. Kritik dieser Art begegnet die türkische Regierung allerdings mit dem selbstbewussten Hinweis, dass man kein Entwicklungsland sei und durchaus selber alle Kapazitäten habe, den Flüchtlingen zu helfen.

Für die Mitgliedstaaten ist der Bericht des Rechnungshofes nicht ganz unerheblich, schliesslich gilt das Türkei-EU-Abkommen als Vorlage für andere, teils ausgefeiltere Migrationsabkommen, etwa mit Tunesien und Ägypten. Ob sie erfolgreich sind, muss sich noch zeigen.

Exit mobile version