Mittwoch, Oktober 2

In der ganzen Schweiz drohen Referenden gegen den ESC. Die Organisatoren können jetzt noch das Ruder herumreissen.

Ilham Aliyev hatte es leicht. Für die Austragung des Eurovision Song Contest 2012 in Baku wollte sich Aserbaidschans Langzeitpräsident nicht lumpen lassen. 70 Millionen Euro liess er – widerstandslos – für den pompösen Prestige-Event springen. Für den Bau einer gigantischen Konzerthalle sprach er ruck, zuck noch einmal über 120 Millionen. Als Vorsitzende des Organisationskomitees installierte Aliyev seine Gattin, einen grossen Musikfan.

Deutlich länger und verworrener sind die Dienstwege in der demokratischen und föderalistischen Schweiz. Das zeigt sich nun. Im kommenden Mai soll der grösste Gesangswettbewerb der Welt in Zürich, Basel, Genf oder Bern/Biel stattfinden, nachdem Nemo den Sieg für die Schweiz eingefahren hat.

Doch anders als am Kaspischen Meer können hierzulande keine Millionenausgaben mit einem Fingerzeig gesprochen werden. Unterstützungskredite in Städten und Kantonen müssen – richtigerweise – durch die lokalen und regionalen Parlamente bewilligt werden. Hohe Summen unterstehen Referenden. Demokratie, Schweizer Prägung, braucht Zeit und gute Argumente. Von beidem haben die Organisatoren des Grossanlasses momentan zu wenig.

Die SRG als Veranstalterin verfolgt einen engen Terminplan. Bereits Ende August will sie sich auf eine «Host City» festlegen. Doch weil mittlerweile mehrere Parteien und Gruppierungen Referenden in allen Bewerberstädten angekündigt haben, droht die Planung durcheinander zu geraten. Damit musste man rechnen.

Zwar hantieren die Referendumsführer zum Teil mit absurden Argumenten. Die christliche Kleinpartei EDU hält den ESC für eine Show, an der «Okkultismus, Satanismus und destruktiven Sachen wie dem dritten Geschlecht» gehuldigt werde. Sie spielt damit auf Beiträge am diesjährigen Wettbewerb in Malmö an. Neben Nemo verstörte sie die Performance der irischen, nonbinären «ESC-Hexe» Bambi Thug.

Die Auftritte mögen gläubige Christen kritisch beäugt haben. Der Grossteil der über 160 Millionen Fernsehzuschauer weltweit dürfte aber mit den Schultern gezuckt haben.

Entscheidender als Kunstkritik muss aus liberaler Sicht eine andere Frage sein: Ist es gerechtfertigt, dass sich die öffentliche Hand in hohem Masse an der Austragung eines kommerziellen Anlasses beteiligt? So will die Stadt Zürich beispielsweise 20 Millionen Franken einschiessen, der Kanton Zürich 5 Millionen. In Bern, Basel und Genf sind es zum Teil noch höhere Beträge.

Der rot-grüne Zürcher Stadtrat sieht die Chance, sich mit seiner Kandidatur «als weltoffen und kulturell vielfältig» zu präsentieren. Zudem tue man etwas für die queere Community, für die der ESC ein wichtiger Anlass sei.

Schön und recht. Doch andere Grossveranstaltungen, die auf das gleiche Ziel einzahlen, kommen ohne staatliche Finanzspritze aus. So etwa die Zurich Pride, die Jahr für Jahr Zehntausende Besucher nach Zürich lockt. Der Anlass finanziert sich massgeblich durch Sponsoren. Namhafte Firmen wie UBS, Google oder Swiss fungieren als Unterstützer. Es sollte doch möglich sein, solche Unternehmen für den ESC ins Boot zu holen, auch wenn die Anforderungen etwas komplexer sind.

Der ESC, das betonen die Bewerberstädte unablässig, bietet gewaltige Aufmerksamkeit. Die vielen Medienberichte, die in die Welt gesendet werden, schufen am ESC 2023 in Liverpool gemäss einer Auswertung einen Marketing-Mehrwert von fast 800 Millionen Euro. Es sind Zahlen und Aussichten, bei denen jede Marketing-Abteilung schwach werden sollte. Auch an der lokalen und regionalen Wertschöpfung, die der Grossanlass mit Hunderttausenden von Touristen auslösen wird, muss die hiesige Wirtschaft Interesse haben.

Die SRG macht es sich zu leicht, indem sie unter den Bewerberstädten einen kostspieligen Überbietungswettkampf anzettelt. Besser sollte sie sich überlegen, wie sie den Anlass mit so wenig öffentlichen Mitteln wie nötig durchführen kann. Es muss nicht immer «Swiss Finish» sein – und schon gar nicht grössenwahnsinniges aserbaidschanisches Machtkalkül.

Als der ESC 2013 schon einmal in Schweden stattfand, kam er mit Gesamtkosten von umgerechnet 14 Millionen Franken aus. Die Zuschauer haben die Show deswegen nicht in schlechterer in Erinnerung.

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