Dienstag, Oktober 8

Heutzutage können kleinste Mengen verbotener Dopingsubstanzen in Urin oder Blut aufgespürt werden. Um die teilweise abstrusen Erklärungen der Sportler für die positiven Befunde zu entlarven – oder zu bestätigen –, müssen Dopingfahnder sehr gewitzt sein.

Ein Masseur mit verunreinigten Händen, geliehene Neoprenhosen oder die Küsse der Freundin – wenn Sportler und Sportlerinnen ihre positiven Dopingbefunde erklären, dann sind sie wirklich einfallsreich. Jüngster Fall ist der italienische Tennis-Champion Jannik Sinner. Bei ihm wurde im März gleich zweimal ein verbotenes anaboles Steroidhormon namens Clostebol gefunden. Dieses regt das Muskelwachstum an. Sein Masseur habe eine Schnittverletzung am Finger gehabt, diese mit einem Clostebol-haltigen Spray behandelt und dann ihn massiert, so lautete die Erklärung des Tennisprofis.

Essen aus Hotelküchen oder intensive Küsse

Bei dem Leichtathleten Gil Roberts aus den USA war vor einigen Jahren laut seinen Angaben eine Kussorgie an positiven Laborbefunden schuld: Direkt vor der unangekündigten Probenabgabe zur Dopingkontrolle habe er seine Freundin intensiv über Stunden hinweg geküsst. Die Freundin nehme seit einer Reise nach Indien ein von einem dortigen Heiler ausgehändigtes Medikament.

Bei dem Olympiamedaillengewinner 2016 wurde damals Probenecid gefunden. Das beugt Gichtanfällen vor, vermindert aber auch die Ausscheidung von anabolen Steroidhormonen. Probenecid maskiert somit deren Gebrauch. Für die Spuren von Anabolika, die bei ihm im September 2023 gefunden wurden, hatte er dann übrigens keine Erklärung mehr. Vor wenigen Wochen erhielt er deshalb eine achtjährige Sperre.

Andere Sportler wurden positiv auf verbotene Substanzen getestet, nachdem sie eigenen Angaben zufolge ihrem sterbenden Hund ein linderndes Medikament, ihrem kranken Vater Augentropfen verabreicht oder die (offenbar ungewaschene) Neoprenhose eines Kollegen verwendet hatten. Bei all diesen Aktivitäten seien verbotene Mittel via Haut in ihren Körper gelangt. Gerne werden auch ungewohnte Lebensmittel zum Beispiel aus Hotelküchen als Erklärung für positive Befunde präsentiert.

Immer lautet die Botschaft: Ich habe eine verbotene Substanz auf unerwartetem Weg und damit unwissentlich eingenommen – ich bin unschuldig. Die jeweilen Verbände oder nationalen Antidopingagenturen akzeptierten das in den erwähnten Fällen, es kam – ausser bei Roberts im Wiederholungsfall – zu keinen Sperren.

Sind das nun alles äusserst kreative Lügen – oder könnte es tatsächlich so gewesen sein?

Analysemethoden sind äusserst sensitiv geworden

Um verbotene Substanzen in Urin und Blut aufzuspüren, werden die Proben in einem GC/MS- oder einem LC/MS-Gerät analysiert. Hinter diesen Kürzeln verbergen sich zwei Verfahren, die hintereinander gekoppelt sind.

Im ersten Schritt werden sämtliche Moleküle, die in einer Probe vorhanden sind, nach ihrer Grösse voneinander getrennt. Man kann sich das folgendermassen vorstellen: Ein Eimer voller Legosteine mit Einzelteilen und zusammengesteckten Konstrukten wird ausgeschüttet und die Teile nach Grösse sortiert. Ganz vorne in der Schlange liegen am Ende die Einnoppenteile, hinten die vielteiligen Rennautos.

Diese Trennung nach Grösse geschieht in der chemischen Analytik durch die Chromatographie. Es können Moleküle in Flüssigkeiten durch die Liquid Chromatography (LC) oder auch Gase durch die Gaschromatographie (GC) sortiert werden.

Im zweiten Schritt wird jedes Molekül identifiziert. Das geschieht mit der Massenspektrometrie. Ein Molekül wird in seine Atome zerlegt, und diese werden bestimmt. Die Summe unterschiedlicher Atome ist charakteristisch und spezifisch für ein bestimmtes Molekül. So wird nicht nur erkannt, wie schwer der Legoturm ist, sondern auch, wie hoch, breit und ob er geringelt, einfarbig oder ganz bunt ist.

In den letzten 15 Jahren wurde sowohl die Auftrennung als auch die Identifikation der Moleküle immer effizienter und hochauflösender. «Somit können heutzutage Nano- oder gar Pikogramm einer verbotenen Dopingsubstanz in Urin- und Blutproben nachgewiesen werden», erklärt Mario Thevis, Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln und langjähriger Experte für Dopinganalysen. Doch das sagt nicht unbedingt, wie die Substanz in den Körper gelangt ist.

Kontamination oder länger zurückliegendes Doping?

Mehrere Szenarien können laut den Experten die Ursache eines positiven Befunds ein. Erstens: Spuren einer Substanz werden oral, via Haut oder auch per Inhalation aufgenommen. Kurz nach dem Ereignis wird die Dopingprobe genommen. Somit könnten Athleten tatsächlich durch Verunreinigungen oder den Verzehr kontaminierter Lebensmittel unabsichtlich zum Dopingsünder werden.

Doch es ist genauso gut möglich, dass die entdeckten Spuren unzulässiger Substanzen ein schon länger zurückliegendes Doping verraten. Denn ebenso wie Medikamente werden auch die Substanzen zur Leistungssteigerung im Laufe von Tagen oder Wochen abgebaut.

Auch wenn also nur geringste Spuren einer Substanz nachgewiesen werden, ist das kein Indiz dafür, dass eine Person unabsichtlich kontaminiert wurde. Deshalb ist es laut den Experten nicht einfach, Grenzwerte für Substanzen einzuführen. Solche gibt es beispielsweise für Mittel, die aus therapeutischen Gründen bis zu einem definierten Zeitraum vor einem Wettkampf eingenommen werden dürfen.

Ob ein Sportler oder eine Sportlerin nun tatsächlich gedopt hat, das müssen die Dopingfahnder der nationalen Behörden herausfinden. Sie klären zum Beispiel ab, ob die jeweils gefundene Substanz wirklich in Augentropfen oder dem Wundheilungsspray enthalten sind.

In den letzten Jahren hat sich zudem das Wissen über Abbauprodukte massiv verbessert. Heutzutage ist es daher zum einen möglich, auch noch ein Jahrzehnt nach der Einnahme einer verbotenen Substanz diese anhand einiger solcher Metaboliten nachzuweisen. Zum anderen verrät deren Muster auch, ob jemand ein synthetisches Steroidhormon genommen hat – oder viel körpereigenes produziert.

Bald könnte auch mit Abnehmspritzen gedopt werden

Künftig könnten Dopingfahnder auch Aussagen wie «Ich habe meinem Partner oder meiner Partnerin beim Abnehmen geholfen» präsentiert bekommen. Denn die Wirkstoffe der sehr gefragten Abnehmspritzen wie Wegovy und Co. könnten zum Beispiel bei Sportarten nützlich sein, bei denen viel Kraft aufgebaut werden muss, gleichzeitig aber wegen Gewichtsklassen ein bestimmtes Körpergewicht nicht überschritten werden sollte.

Derzeit wird laut Thevis geprüft, ob durch den Gebrauch dieser Therapeutika ein möglicher Wettbewerbsvorteil im Sport entsteht. Es wird auch abgeklärt, wie schnell die Wirkstoffe abgebaut werden und was dabei entsteht.

Vielleicht sollte – sicherheitshalber – auch schon erforscht werden, ab welcher Kussdauer ein Dopingtest positiv wird, wenn die Injektionsstelle der Abnehmspritze geküsst wird.

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