Donnerstag, Februar 6

Die Einnahme von Goma, der grössten Stadt Ostkongos, lässt einen vergessenen Konflikt eskalieren. Für diesen ist im Wesentlichen Rwanda verantwortlich. Was will dessen Präsident Kagame?

«Ich weiss es nicht», sagte Rwandas Präsident Paul Kagame und schüttelte den Kopf. Der Interviewer von CNN, der ihm Anfang dieser Woche gegenübersass, hatte ihn gerade gefragt, ob sich rwandische Truppen im Nachbarland Kongo-Kinshasa aufhielten. «Aber Sie sind doch der oberste Truppenkommandant», sagte der Journalist nun, ungläubig.

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«Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiss», antwortete Kagame, 67-jährig, seit dreissig Jahren der alles dominierende Mann in Rwanda. «Aber wenn Sie mich fragen, gibt es ein Problem in Kongo, das Rwanda betrifft, und ob Rwanda alles tun würde, um sich zu schützen? Ich würde sagen: 100 Prozent.»

Was Rwandas Präsident da sagte, war so etwas wie ein Geständnis im Konjunktiv zu etwas, was längst gut dokumentiert ist. Dass das kleine Rwanda, dessen Fläche knapp zwei Drittel der Schweiz misst, womöglich gerade einen grossen Krieg entfacht.

Ende Januar hat die Rebellengruppe M23 Goma eingenommen, die grösste Stadt in Ostkongo. Mindestens 900 Personen wurden dabei getötet, Tausende verletzt. Die M23 ist die stärkste unter mehr als 100 Rebellengruppen in der Region. Sie ist so stark, weil sie von Rwanda finanziert und ausgerüstet wird – unter anderem mit schwerer Artillerie. Laut Experten der Uno unterstützen bis zu 4000 rwandische Soldaten in Kongo die Rebellen auch vor Ort.

Die Einnahme von Goma ist die grösste Eskalation seit mehr als einem Jahrzehnt in einem Konflikt, der wenig Beachtung erhält, aber Millionen Menschen ihr Leben oder ihr Zuhause gekostet hat. Experten glauben, dass nun ein regionaler Krieg droht, der eine ganze Reihe afrikanischer Staaten betreffen könnte.

Was versuchen Rwanda und sein Präsident jenseits der Landesgrenzen zu erreichen?

Wurzeln im Völkermord in Rwanda

Die Wurzeln liegen im Genozid in Rwanda 1994. Fast eine Million Menschen wurden innerhalb von hundert Tagen ermordet, die allermeisten gehörten zur Ethnie der Tutsi, die meisten Täter waren Hutu. Das Blutbad in Rwanda trieb Hunderttausende über die Grenze nach Kongo-Kinshasa, unter ihnen auch viele Täter. Die Flüchtenden brachten den Konflikt mit. Hutu-Milizen formierten sich, auch Tutsi-Milizen, aus denen später die M23 entstehen sollte. Die Situation eskalierte zu einem Konflikt, in dem Soldaten aus neun afrikanischen Ländern kämpften. Der wohl wichtigste nichtkongolesische Akteur war schon damals Paul Kagame.

Rwandas Präsident sagt, die Anarchie im Osten Kongos, wo der Zentralstaat abwesend sei, gefährde Rwandas Sicherheit. Die FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda), die mächtigste noch bestehende Hutu-Miliz, ziele darauf, Kagames Regierung zu stürzen. Sie sei auch verantwortlich dafür, dass in Kongo Tutsi – die Ethnie, der auch Kagame angehört – verfolgt würden. Die FDLR mache zudem gemeinsame Sache mit der kongolesischen Armee. Für Rwanda geht es in der Darstellung Kagames um Selbstverteidigung.

Das ist nicht frei erfunden. Die FDLR kooperiert tatsächlich zum Teil mit der kongolesischen Armee. Doch die Rebellengruppe ist weit schwächer als noch vor zwei Jahrzehnten, und Rwandas Armee ist eine der stärksten in Afrika. Für Rwandas Regierung ist die FDLR keine ernstzunehmende Gefahr mehr.

Tatsächlich geht es Rwanda um viel mehr als um die verbliebenen Hutu-Kämpfer. Es geht um Geopolitik und um Geld, darum, ein Gebiet zu kontrollieren, das strategisch und wirtschaftlich von grosser Bedeutung ist.

Gold, Zinn, Kupfer, Coltan

Die M23 – und mit ihr Rwanda – kontrolliert in Ostkongo inzwischen ein Gebiet, das doppelt so gross ist wie Rwanda selber. Es ist eine fruchtbare, hügelige Gegend. Eine Gegend, unter deren Hügeln einige der begehrtesten Rohstoffe der Welt liegen. Gold zum Beispiel, Zinn, Kupfer und Coltan. Auch darum geht es Rwanda. Im vergangenen Jahr zum Beispiel eroberte die M23 den Ort Rubaya, wo eine der weltweit wertvollsten Coltan-Minen liegt. Das Erz wird für die Herstellung von Smartphones und Laptops benötigt. Kongolesisches Gold und Coltan wird nach Rwanda geschmuggelt und gelangt von dort auf den Weltmarkt. Eine Kongo-Expertengruppe der Uno schätzte in einem Bericht im Dezember, dass mindestens 150 Tonnen kongolesisches Coltan via Rwanda illegal exportiert worden seien, und dass die M23 damit Millioneneinnahmen generiere.

Die Regierung von Kongo-Kinshasa hat versucht, auf den Schmuggel kongolesischer Rohstoffe nach Rwanda aufmerksam zu machen. Im Dezember reichte die Regierung in Frankreich und Belgien Klage ein gegen Zulieferer von Apple, die angeblich geschmuggelte Mineralien verwendeten.

Rwanda ist der Dienstleister des Westens

Es ist längst gut dokumentiert, dass Rwanda sich in Ostkongo militärisch einmischt und wirtschaftlich profitiert. Doch internationale Kritik an Rwanda war in den vergangenen Jahren meist verhalten, gerade aus westlichen Ländern. Das zeigte sich bei der Einnahme von Goma – zu der es einen historischen Präzedenzfall gab. Die M23 hatte die Stadt schon 2012 besetzt. Damals sistierten westliche Länder 240 Millionen Dollar an Entwicklungshilfe und übten so Druck aus. Der amerikanische Präsident Barack Obama forderte Kagame auf, die Rebellen zu stoppen. Die M23 zog nach wenigen Tagen wieder aus Goma ab.

Anders diesmal. Zwar verurteilten unter anderem die USA, Grossbritannien und die EU die Invasion, Deutschland setzte Gespräche mit der rwandischen Regierung über Entwicklungszahlungen aus. Doch die Reaktion blieb viel zahmer als 2012.

Das liegt daran, dass Rwanda in den vergangenen Jahren zu einer Art Dienstleister für den Westen auf dem afrikanischen Kontinent geworden ist. Rwandas Armee kämpft zum Beispiel im Norden von Moçambique, wo islamistische Rebellen ein 20-Milliarden-Euro-Projekt des französischen Energiekonzerns Total gefährden. Die EU überwies Rwandas Streitkräften dafür rund 40 Millionen Euro. Rwanda hat europäischen Ländern auch angeboten, Asylsuchende im Rahmen von sogenannten Drittstaatenlösungen aufzunehmen – die im vergangenen Jahr abgewählte konservative britische Regierung schickte dafür 290 Millionen Pfund nach Kigali, bevor Gerichte den Plan stoppten. Die EU hat im vergangenen Jahr auch eine Vereinbarung mit Rwanda über die Zusammenarbeit bei für die Energiewende wichtigen «grünen» Rohstoffen unterzeichnet – Rohstoffe, die womöglich aus dem von der M23 besetzten Gebiet in Ostkongo geschmuggelt werden.

M23 hat Waffenruhe erklärt

All dies führt dazu, dass westliche Länder mehr Hemmungen haben, die rwandische Regierung zu kritisieren – zumal sie in den vergangenen Jahren in anderen Regionen Afrikas an Einfluss gegenüber China oder Russland verloren haben. Kagames Regierung weiss das, und sie geht in Kongo vermutlich auch deshalb so forsch vor, weil sie sich stark fühlt.

Doch Experten sagen, Rwanda wäre noch immer empfänglich für westlichen Druck – das Land finanziert rund ein Drittel seines Staatshaushalts mit Hilfsgeldern. Kagames Regierung ist auch darauf bedacht, ihr Image als zuverlässige, effiziente Regierung auf einem instabilen Kontinent, das sie über Jahre hinweg aufgebaut hat, nicht zu ruinieren. Möglich, dass dies ein Grund dafür war, dass die M23 am Montag einseitig eine Waffenruhe erklärte und bekanntgab, vorerst keine weiteren Gebiete erobern zu wollen.

Am Freitag und Samstag soll in der tansanischen Hafenstadt Dar es Salaam ein Gipfel stattfinden, an dem Kagame und Kongos Präsident Félix Tshisekedi teilnehmen sollen. Vielleicht kann der grosse Krieg noch abgewendet werden. Die meisten Experten glauben allerdings nicht, dass Rwanda locker lässt, bevor weite Teile Ostkongos unter seiner Kontrolle sind. Im Interview mit CNN sagte Kagame auch: «Wir müssen sicherstellen, dass wir jeden Sturm überleben, der über unser Land fegt.» Viele glauben, dass gerade eher Rwanda der Sturm ist, der über das Nachbarland fegt.

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