Samstag, März 29

Das Bundesgericht hebt die Wahl des Schaffhauser Ständerates Simon Stocker wegen einer Wohnsitzfrage auf. Dabei sollte der Zugang zur politischen Beteiligung nicht vom Privatleben abhängig gemacht werden.

Damit hatte der Schaffhauser Ständerat Simon Stocker am vergangenen Freitag wohl nicht gerechnet: Für ihn war dies der vorerst letzte Tag im Ständerat, in welchen er im Winter 2023 nach einem spektakulären Wahlsieg gegen das Urgestein Thomas Minder eingezogen war. Nun hebt das Bundesgericht seine Wahl auf und macht klar, dass Stocker die Wählbarkeitsvoraussetzungen gemäss Schaffhauser Recht nicht erfüllt hat. Bemerkenswert ist dies nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesgericht demokratische Entscheide an der Urne nur mit grosser Zurückhaltung umstösst. Jetzt erzwingt es eine neue Wahl.

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Aus einem rein rechtlichen Blickwinkel kommt das Urteil nicht ganz überraschend. Die Schaffhauser Verfassung verlangt für die Wahl in die kleine Kammer, dass die Kandidierenden ihren Wohnsitz im Kanton haben. Ausschlaggebend ist dafür der zivilrechtliche Wohnsitz, an den das Bundesgericht strenge Massstäbe legt. Entscheidend ist nicht der formelle Eintrag im Stimmregister, sondern jener Ort, an dem sich der Lebensmittelpunkt einer Person befindet. Die familiären Beziehungen werden dabei auch stärker gewichtet als jene zum Arbeitsort. Auch um unerwünschter Steueroptimierung entgegenzuwirken, belässt das Bundesgericht hier seit langem wenig Flexibilität.

Aus einer Zeit, als die Ehefrau dem Familienoberhaupt folgte

Und doch überzeugt das Ergebnis in dieser Geschichte nicht. Schon seit einiger Zeit sorgt der Wohnsitz von Politikerinnen und Politikern regelmässig für Diskussionen. So geriet die Zürcher GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser wegen ihrer Patchworkfamilie und dem fehlenden gemeinsamen Familiensitz mit dem damaligen Nationalrat Matthias Aebischer in Erklärungsnot. Zum Thema wurde der Wohnsitz auch bei Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die mit ihrer Familie in Meilen lebt und in Graubünden ein Unternehmen führt. Weil der Wohnsitz im Nationalrat nicht zu den Wählbarkeitsvoraussetzungen gehört, versandeten die Diskussionen.

Wohnsitzvorschriften für politische Ämter stammen aus einer Zeit, als Lebensmittelpunkt und Arbeitsort fast immer zusammenfielen. Sie funktionierten in einer Gesellschaft, in der sich die Ehefrau und die Familie bedingungslos dort niederliessen, wo es das Familienoberhaupt tat. Die Regeln waren sinnvoll, als Nachrichten aus der Heimat nicht überall live verfügbar waren. Doch dank Messenger-Apps und S-Bahn im Viertelstundentakt sind solche Vorschriften überflüssig geworden. Und mit der Etablierung von neuen Familienmodellen und dem Trend zur örtlichen Trennung von Berufs- und Privatleben werfen die Wohnsitzbestimmungen neue Fragen auf.

Wählerinnen und Wähler können frei entscheiden

Im Schaffhauser Fall lautet sie: Wie eigenständig darf Familie Stocker ihr Privatleben organisieren, wenn Simon Stocker für den Ständerat kandidieren möchte und die Wählerinnen und Wähler darüber frei entscheiden dürfen? Denn dass Stocker zu Schaffhausen eine enge Beziehung hat und seinen Kanton ausgezeichnet kennt, wird von niemandem bestritten. Im Wahlkampf vor zwei Jahren wurde Stockers Wohnsitz bezeichnenderweise nicht einmal ansatzweise zum Thema. Erst nach Minders Niederlage lancierte dessen Umfeld ein juristisches Seilziehen mit teilweise fragwürdigen Methoden, um Stockers überraschenden Wahlsieg nachträglich doch noch ungeschehen zu machen.

Inzwischen ist Simon Stocker mit seiner Familie in Schaffhausen in eine grössere Wohnung gezogen. Die gesetzlichen Anforderungen an eine Wahl in den Ständerat hat er somit auch in formeller Hinsicht erfüllt. Besser wäre es allerdings, wenn Schaffhausen und andere Kantone strenge Wohnsitzvorschriften möglichst rasch aus ihrem Recht streichen würden. Denn das politische System in der Schweiz ist auf das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Den Zugang zur politischen Beteiligung von der Ausgestaltung des Privatlebens abhängig zu machen, passt nicht mehr in die heutige Zeit.

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