Sonntag, März 30

Das Masernvirus breitet sich wieder aus – dabei liesse sich das verhindern. Nur weil es nicht gelingt, genug Menschen vom Impfen zu überzeugen, kann der Erreger ein Comeback feiern. Zeit für Ärzte und Behörden, die eigenen Einstellungen und Methoden zu hinterfragen.

Eigentlich sollte es diesen Erreger nicht mehr geben. 2012 hatte sich die Weltgesundheitsorganisation das Ziel gesetzt, das Masernvirus bis 2020 ein für alle Mal aus der Welt zu eliminieren. Und jetzt hat sich der Erreger in den USA in 17 Bundesstaaten ausgebreitet. In einem Land, in dem er eigentlich als ausgerottet galt, sind wieder Masern-Todesopfer zu beklagen. Europa samt Türkei und UdSSR-Nachfolgestaaten meldete sogar schon 2024 eine Verdopplung der Infektionen. In Zürcher Schulen wurde vergangene Woche der Masern-Alarm ausgerufen – auch das zeigt, wie dramatisch die Situation ist.

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Zum Lagebild gehört allerdings auch: Trotz insgesamt 127 000 Infizierten sind in Europa im vergangenen Jahr «nur» 38 Menschen durch die Masern umgekommen. Was soll der Alarmismus, mag sich da mancher fragen, Corona war doch viel gefährlicher? Der Unterschied zu Corona ist nur, und das macht die Sache so ärgerlich, die Masern müsste es nicht geben. Zwei Impfungen reichen, um vor dem Virus ein für alle Mal geschützt zu sein.

Und trotzdem scheitert die Medizin daran, einen nicht unerheblichen Teil der Menschen von dieser Massnahme zu überzeugen. In der Schweiz weisen laut Impfstoff-Verkaufszahlen 20 Prozent der Kinder keinen vollständigen Masern-Impfschutz auf. Deutschland meldet nur deshalb bei Schulanfängern eine Immunisierungsrate von über 90 Prozent, weil 2020 eine Impfpflicht für Kindergärten und Schulen eingeführt wurde. Und diese Schwelle erreichen laut Krankenkassen auch nicht alle Bundesländer. Das ist auch ein ärztliches Kommunikationsversagen.

Denn prinzipiell sind die meisten Zauderer zu überzeugen. Nur 5 Prozent der Menschen würden sich laut Umfragen als Hardcore-Impfgegner bezeichnen. Um die 20 Prozent zweifeln nur an der Botschaft, dass die Spritzen Kindern mehr nutzen, als schaden. Ärzte haben nicht nur von Berufs wegen die Aufgabe, solche Sorgen anzusprechen. Sie besitzen im Gegensatz zu anderen Institutionen auch die notwendige Überzeugungskraft – denn sie geniessen Vertrauen. Wenn sich halbwegs befriedigende Impfquoten nur noch mit Zwangsmassnahmen erreichen lassen, dann müssen gerade sie sich die Frage stellen: Wie können wir in Zukunft besser argumentieren?

Wie man es nicht anstellen sollte, war während der Corona-Pandemie zu studieren: Sorgen und Nöte wurden oft nicht ernst genommen. Risiken heruntergespielt. In der Ärzteschaft ist noch zu oft die Haltung verbreitet, Impfzauderer seien verwöhnte Spinner, die es sich im schützenden Kokon der Medizin behaglich eingerichtet hätten. Wer so denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Botschaft nicht ankommt.

Statt sie pauschal zu verurteilen, sollte man sich in die Skeptiker hineinversetzen. Und bedenken: Als Vater oder Mutter kann man heutzutage leicht die Orientierung verlieren. Online werden Eltern mit so viel medizinischem Unsinn überflutet, dass es schon viel Resilienz erfordert, sich nicht vom Zweifel anstecken zu lassen.

Manche Gefahren sind zudem schwer gegeneinander abzuwägen: Eine gefährliche Gehirnhautentzündung, eine Enzephalitis, können beispielsweise sowohl Masern als auch Impfstoff verursachen. Das Virus bei jedem Tausendsten Infizierten, die Spritze in einem von einer Million Fällen. Dem echten Virus wird das Kind jedoch höchstwahrscheinlich nie begegnen. Dem Risiko einer Impf-Enzephalitis wird es unvermeidlich ausgesetzt, wenn die Entscheidung pro Masern-Schutz fällt.

Zeigt man für solche Sorgen Verständnis, das belegen Studien, sind auch zweifelnde Eltern Argumenten zugänglich. Hardcore-Impfgegner sind ein anderes Kaliber, zu denen wird oft auch der geduldigste Mediziner nicht durchdringen. Aber mit den letzten fehlenden paar Prozent Ungeimpften kann sich eine Gesellschaft arrangieren. Denn je höher die Quote der Geschützten, desto seltener wird das Virus zu ihnen durchdringen.

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