Liverpools Erfolg basiert mitunter auf computergestützten Erkenntnissen aus Datenbanken. Der Trainer Arne Slot hat das Erbe Jürgen Klopps mehr als nur geschickt verwaltet.

Viele Fans des Liverpool Football Club (LFC) hatten wegen der zwischendurch langen Flaute gezweifelt, ob ihr Verein überhaupt je wieder den Rekordtitelträger Manchester United einholen würde. Doch seit Sonntagabend steht fest: Der LFC hat die Herausforderung gemeistert.

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Mit dem fulminanten 5:1-Sieg im Heimspiel gegen das kriselnde Tottenham Hotspur sicherten sich die Reds an der Anfield Road den 20. Meistertitel ihrer Klubgeschichte und zogen damit gleich mit dem Erzrivalen Manchester United, der sie im Jahr 2011 überholt hatte. Vier Runden vor dem Saisonende liegt Liverpool in der Premier League uneinholbar mit 15 Punkten vor dem ersten Verfolger, Arsenal. Die Meistertrophäe werden die Reds in knapp einem Monat anlässlich ihres letzten Heimspiels gegen Crystal Palace erhalten.

Der Triumph hat für ihre Anhänger einen erfreulichen Nebeneffekt – die Rückkehr des früheren Erfolgstrainers Jürgen Klopp ins Anfield-Stadion. Seit seinem Abschied hatte der Coach einen Besuch an der alten Wirkungsstätte bewusst vermieden, weil er es «nicht verschreien wollte», wie er es unlängst an einer Wohltätigkeitsveranstaltung des Klubs in Südkorea formulierte. Er vermutete, im Falle seiner Anwesenheit und einer Pleite Liverpools hätte es geheissen: «Oh, verdammt noch mal!» Dabei stellte er aber auch in Aussicht, zur Meisterschaftsfeier zu kommen, wenn der Titel feststünde.

Klopp war nie allmächtig

Neun Jahre lang hatte Klopp Liverpool trainiert, von 2015 bis 2024, und wurde mit seinen Meriten und seiner Beliebtheit zu einer wichtigen Persönlichkeit am River Mersey. In seine Fussstapfen zu treten, galt als unmöglich; in der englischen Fussballöffentlichkeit wurde gewitzelt, der LFC solle als Nachfolger Klopps vor allem einen günstigen Trainer aussuchen – da man ihn ohnehin bald wieder entlassen müsse.

Derartiges trug sich einst bei Manchester United und bei Arsenal zu, nachdem die ewigen Trainer Alex Ferguson (27 Jahre) und Arsène Wenger (22) ihre Vereine verlassen hatten. Beide Klubs fielen in eine schwere Krise. Der LFC allerdings ist unter Klopps Nachfolger Arne Slot bis anhin sogar noch erfolgreicher als mit Klopp.

Die Ursachen lassen sich in technische, sportliche und menschliche Aspekte gliedern. Anders als Ferguson und Wenger wirkte Klopp in Liverpool nie allmächtig. Er war zwar in alle Vorgänge im Klub involviert, aber sein Fokus lag auf der Mannschaft. Die Steuerung des Vereins oblag dem Management.

Hinter diesem steht die Besitzergruppe Fenway, eine Sportinvestmentfirma mit Sitz in Boston, die dem Börsenhändler John W. Henry gehört. Sie ist darauf spezialisiert, strauchelnde Sportklubs zu modernisieren. Zum Portfolio gehört auch das Baseball-Team Boston Red Sox.

Wie Fenway vorgeht, schilderte Henry in einem seiner seltenen Interviews der «Financial Times» vor einem Jahr. Er teilte mit, dass er «immer an allem zweifelt, vor allem am eigenen Denken, da es heute überall viel zu viel Selbstvertrauen» gebe. Deshalb sei es sein Credo, mehr auf den Markt zu achten als auf das, was man über den Markt denke.

Basierend auf dieser Grundüberzeugung entwickelte der LFC seit dem Fenway-Einstieg 2010, der den Klub vor der Insolvenz bewahrt hatte, eine der vorzeigbarsten Datenbank-Abteilungen im Fussball. Sie sorgt dafür, dass die meist subjektiv getroffenen Entscheide in diesem Business objektiver werden. Die Funktionäre im alten Leidenschaftsklub Liverpool lassen sich also nicht von Emotionen leiten.

Die computergestützten Erkenntnisse machten Liverpool nach Klopps Rückzugsankündigung auf Slot aufmerksam, den damaligen Coach von Feyenoord Rotterdam. Man verpflichtete den Niederländer, obwohl er bis dahin nie einen Spitzenklub betreut hatte.

Slot profitierte bei seinem Start von den gleich gebliebenen Strukturen in der Führungsriege des LFC. Vor dieser Saison kehrte zudem der Fussballchef Michael Edwards in die Organisation zurück, der sich davor eine Auszeit genommen hatte. Es gebe «klare Hierarchien» im Klub, bestätigte Slot.

Frei von Missgunst und Eitelkeiten

Slots Methodik und Spielweise weisen diverse Übereinstimmungen mit Klopps Vorgehen auf. Die Startelf ist im Vergleich zur Vorsaison fast gleich geblieben. Nur eine Position hat Slot neu justiert, im Mittelfeld setzt er statt dem japanischen Zweikämpfer Wataru Endo auf den Taktgeber und Landsmann Ryan Gravenberch. So musste sich die Mannschaft zum einen nicht umstellen, zum anderen wurde es für sie nicht zu monoton.

Weil sich Klopps Team in einem sehr guten Zustand präsentierte, waren grundlegende Veränderungen nicht erforderlich. Dies war ein weiterer markanter Unterschied beim Trainerwechsel im Vergleich zu den einstigen Ablösungen von Ferguson und Wenger, deren Teams seinerzeit bereits ihre Höhepunkte überschritten hatten.

All das wäre nicht möglich gewesen ohne gegenseitigen Respekt zwischen Klopp und Slot. Sie tauschen sich regelmässig aus, frei von Missgunst und Eitelkeiten. Slot würdigt die Leistungen seines Vorgängers. Und Klopp hat sich bis heute nicht einmal in Slots Belange eingemischt. Der Deutsche sah seine Ära in Liverpool als beendet an, als er auf seiner Abschiedsparty einen Fan-Gesang für Slot entwarf und ihm damit quasi den Staffelstab überreichte. Dessen Einladungen nach Anfield hat Klopp lange höflich zurückgewiesen. Doch nun wird es bald zur Zusammenkunft kommen.

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