Vor zwanzig Jahren versetzten die Fussballer aus dem Berner Oberland ganz Europa in Staunen. Doch danach folgten Skandale und ein beispielloser Niedergang. Jetzt kann der Kleinklub endlich wieder jubeln.

In Thun gab es auf den vergangenen Samstag eine Freinacht. Der örtliche Fussballklub und sein Anhang feierten den Aufstieg in die Super League im Stadtzentrum auf dem Mühleplatz und in den umliegenden Ausgehlokalen der Altstadt. Der 2:1-Siegtreffer des 19-jährigen Einwechselspielers Franz-Ethan Meichtry gegen den FC Aarau hatte rund um die Stockhorn-Arena eine Euphorie ausgelöst, wie man sie in dieser gewöhnlich eher nüchternen Kleinstadt nur selten sieht.

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Fünf Jahre nach dem Abstieg in der Barrage gegen den FC Vaduz ist der FC Thun zurück in der höchsten Schweizer Spielklasse. Der Präsident Andres Gerber hatte vor dem entscheidenden Match gegen Aarau gesagt: «Für uns wäre es nur schon schön, wieder mit dabei zu sein. Wir wissen ja, was uns in der Super League erwartet. Wir waren bereits zehn Jahre dabei.»

Doch Gerber weiss auch: In den letzten Jahren befand sich der FC Thun in einem latenten Überlebenskampf. Nach dem Abstieg hatte niemand genau gewusst, wie es mit dem Verein weitergehen soll. «Wir kämpften um die Existenz. Alle haben mitgezogen. Deshalb ist es nun für uns alle auch eine grosse Genugtuung. Nach Jahren in der Challenge League haben alle das Gefühl: Es ist Zeit, wieder etwas anderes zu sehen.»

Erinnerungen an ein Champions-League-Tor in London

Nach dem Schlusspfiff gegen Aarau sah man Gerber in inniger Umarmung mit dem Trainer Mauro Lustrinelli auf dem Kunstrasen. Die Tränen liefen beiden übers Gesicht. Gerber und Lustrinelli sind die eigentlichen Baumeister der Thuner Rückkehr in die Super League. Gemeinsam waren sie auch Protagonisten des alten FC Thun, der die Schweiz und ganz Europa vor genau zwanzig Jahren in Erstaunen versetzt hatte.

Damals war der Kleinklub aus dem Berner Oberland bis in die Champions League vorgestossen. Mit Siegen gegen Dynamo Kiew und Malmö FF hatte er sich sensationell für die Gruppenphase des Wettbewerbs qualifiziert. Dort warteten illustre Gegner: Arsenal aus London, Ajax Amsterdam und Sparta Prag.

Thun machte in jenem legendären Champions-League-Herbst 2005 eine weit bessere Figur, als das etwa die Young Boys in der vergangenen Saison dort taten. Gegen Sparta Prag errangen die Thuner vier Punkte (1:0 zu Hause, 0:0 auswärts).

Nelson Ferreira, in seinem eigentlichen Beruf damals Bodenleger am oberen Ende des Thunersees in Interlaken, erzielte gegen Arsenal im berühmten Highbury Stadium einen Treffer, der heute Legendenstatus geniesst. Die BBC lud seinerzeit einen Berner Oberländer Journalisten in ihr Studio ein, damit er das Phänomen FC Thun erklären konnte.

Ferreira arbeitet heute als Assistenz- und Nachwuchstrainer für den FC Thun. Auch er mischte sich am Wochenende unter das feiernde Partyvolk. Der FC Thun ist eine grosse Familie geblieben, welche nach wie vor von den damaligen Champions-League-Abenden träumt. Und doch wäre der Klub an jenem Coup beinahe zerbrochen.

Die Uefa belohnte den FC Thun mit 9 Millionen Franken aus dem Champions-League-Topf – und das Geld weckte die üblichen Begehrlichkeiten. Die Saläre der Spieler schossen in die Höhe und gerieten ausser Kontrolle. Alle wollten ein Stück vom Kuchen. Es gibt wohl kaum einen anderen Klub, der stärker vorlebte, was plötzlicher Reichtum anrichten kann. Die Geschichte könnte der Feder des grossen Emmentaler Pfarrers und Schriftstellers Jeremias Gotthelf entsprungen sein, der in seinem Roman «Geld und Geist» aufzeichnete, wie Wohlstand die Gesellschaft verändert.

Arsenal 2:1 Thun. UCL 2005/06

Der FC Thun, gegründet 1898, hat eine wechselvolle Geschichte. Er stand im Zentrum eines mutmasslichen Wettbetrugs, bei dem Spieler einen Match in Yverdon verkauft haben sollen. 2009 geriet er wegen eines Sexskandals in die Schlagzeilen. Drei Beschuldigte aus dem Umfeld des Vereins sollen im November 2005 eine Frau vergewaltigt haben. Zwei junge Schweizer im Alter von 19 und 20 Jahren wurden wegen sexueller Handlungen mit einer Minderjährigen zu Geldstrafen verurteilt.

Der damalige Sportchef des FC Thun war auch Besitzer eines erfolgreichen Nachtklubs, der im Volksmund nur «Kameltränke» genannt wurde. Er holte seine Tänzerinnen im Paket mit Fussballern aus Brasilien. Das trug zum etwas verruchten Image des Fussballvereins bei. Mehr als einmal schien der FC Thun wirtschaftlich vor dem Aus zu stehen.

Das Budget könnte auf gegen 15 Millionen Franken steigen

Der heutige Präsident Andres Gerber dämpfte jüngst die Euphorie. Vor einem Jahr hatten die Thuner immerhin die Barrage erreicht, waren aber an GC gescheitert. «Wir fielen danach in ein riesiges Loch und fühlten nur noch eine grosse Leere», sagt Gerber. Deshalb versuche er nun, da endlich der Aufstieg gelungen sei, einfach aufzusaugen, was ablaufe.

Gemäss Gerber ist der FC Thun bereit für die neue Aufgabe. «Das aktuelle Budget beträgt rund 10 Millionen Franken. Ich rechne damit, dass wir es für die Super League auf rund 15 Millionen aufstocken müssten.» Entsprechende finanzielle Zusicherungen sollen vorliegen.

Die Zusammenarbeit mit der chinesischen Pacific Media Group wurde 2024 nach nur fünfjähriger Zusammenarbeit beendet. Die Interessen deckten sich offensichtlich nicht. Der FC Thun bestand auf seine Eigenständigkeit. Mittlerweile soll es einen spendablen Gönner geben, welcher den Klub unterstützt. Die Rede ist auch von einer einmaligen Investition in der Höhe von 2,5 Millionen Franken. Darüber, wer hinter diesem Geld steckt, wurde Stillschweigen vereinbart. Klar ist nur: Die neuen Mittel kommen aus der Region.

Mit 44 000 Einwohnern ist Thun die elftgrösste Stadt der Schweiz. Bekannt war sie lange vor allem wegen ihres Waffenplatzes und der Rüstungsindustrie, die sich angesiedelt hatte. Das VBS war der grösste Arbeitgeber. Ging die Sonne unter, legte sich auch die Stadt schlafen. 1997 schrieb der Publizist Roger Anderegg: «Thun wirkt auf Nichtuniformierte wie eine militärisch besetzte Frontstadt unter ständiger Feindeinwirkung.»

Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlitterte auch die Stadt Thun in eine Krise. Arbeitsplätze wurden abgebaut, die Arbeitslosigkeit stieg. Der Metallverarbeiter Selve musste schliessen. Dazu kam der Zusammenbruch der Spar- und Leihkasse Thun. Die Bilder der Kleinsparer, die in langen Reihen vor den verschlossenen Türen des Bankhauses standen, verbreiteten sich in Windeseile und trugen zur schlechten Stimmung in der Stadt bei.

Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Das Leben pulsiert an der Aare. Im Niedergang wurden in der pittoresken Kleinstadt spannende Projekte vorangetrieben. Im brachliegenden Selve-Areal entstand eine Partyszene, die Publikum aus der ganzen Schweiz anzog. Die Gastronomie entlang des Aarequais bis zum Mühleplatz begann zu blühen. Angetan von der attraktiven Steuerpolitik der Gemeinde, verlegten auswärtige Unternehmen ihre Firmensitze nach Thun.

Heute gilt Thun mit dem See, den nahen Bergen und der Anbindung ans internationale Schienennetz als eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität. Andres Gerber sagt, er spüre im Umfeld seines Klubs viel Energie, überall sei Aufbruchstimmung. «Jetzt stehen wir hin und machen den nächsten Schritt vorwärts.»

Irgendwann werden die Feierlichkeiten zu Ende sein und wird der Alltag auch im Berner Oberland wieder einkehren. Dann wird es an den Spielern und den Trainern des FC Thun sein zu zeigen, was Realität ist – und was nur der Euphorie geschuldet war.

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