Montag, September 30

Lando Norris gewinnt überlegen den Grand Prix von Singapur. Der Brite im McLaren siegt mit über 20 Sekunden Vorsprung vor dem Weltmeister Max Verstappen im Red Bull. Für Diskussionen sorgt eine Aufforderung an die Fahrer, am Funk weniger zu fluchen.

Mehr als 20 Sekunden Vorsprung nach 62 schweisstreibenden Runden beim Grossen Preis von Singapur sagen viel über den dritten Formel-1-Sieg von Lando Norris. Der Brite verkürzt seinen Rückstand in der Gesamtwertung auf Max Verstappen auf 52 Zähler bei noch sechs ausstehenden Rennen. Es könnte knapp werden für den Niederländer.

Der Weltmeister Verstappen durfte sich über Schützenhilfe von Daniel Ricciardo freuen, der kurz vor Schluss Norris noch den Zusatzpunkt für die schnellste Runde wegschnappte. Der Australier aus dem Schwesterteam Racing Bulls wird wohl dennoch seinen Platz für den Neuseeländer Liam Lawson räumen müssen.

Zufrieden dürfte der Titelverteidiger Verstappen auch über die generelle Leistungssteigerung bei Red Bull sein, er spricht nach seinem zweiten Platz von einem «Turnaround». Wenn es in vier Wochen in Austin weitergeht, bekommt sein Auto einen neuen Unterboden, und McLaren darf seinen flexiblen Heckflügel nicht mehr einsetzen.

Die entscheidende Frage aber ist, ob sein Freund und Verfolger Norris die Nerven behält. Trotz der Alleinfahrt von der Pole-Position weg hat Norris zweimal fast sein Auto in die Mauern gesetzt. In der Konstrukteurswertung aber hat McLaren seinen Vorsprung auf Red Bull dank einem zusätzlich dritten Platz von Oscar Piastri auf 41 Punkte ausgebaut.

«Wir sind keine Rapper»

Einen Schreckmoment anderer Art verspürten auch die Verstappen-Freunde, als dieser mitten im Rennen zu einem seiner berüchtigten Klage-Funksprüche ansetzte. Für gewöhnlich benutzt er dann Vokabeln, die nicht jugendfrei sind. Diesmal aber beliess er es im Rahmen seiner Strategie-Kritik bei einem simplen «bescheuert». Dieser für seine Verhältnisse eher sanfte Umgang hat eine Vorgeschichte.

Immer dann, wenn Mohammed Ben Sulayem mehr Recht und Ordnung in der Formel 1 durchsetzen möchte, geht es ihm um Respekt. Vornehmlich um jenen vor seinem eigenen Amt als Präsident des Automobilweltverbandes FIA. So hat Ben Sulayem schon interveniert in Sachen Kleiderordnung und politischer Redefreiheit, wollte sich auch in die Finanzen einmischen. Alle diese Bemühungen hatten eins gemeinsam: Sie gingen für den Emirati nach hinten los. Auch diesmal scheint der 62-Jährige mit einem Maulkorberlass übers Ziel hinausgeschossen zu sein.

Vor dem 18. WM-Lauf hatte der Funktionär die Rennfahrer in einem Interview aufgefordert, weniger über Boxenfunk zu fluchen, da diese Funksprüche von den Fernsehsendern weiterverbreitet und in den sozialen Netzwerken aufgegriffen würden. Der Motorsport aber habe eine Vorbildfunktion. Kernsatz der Gardinenpredigt: «Rapper benutzen das F-Wort mehrmals in der Minute. Aber wir sind keine Rapper.»

Der Weltmeister Verstappen wurde noch vor dem Rennen als Erster dazu verdonnert, gemeinnützige Arbeitsstunden abzuleisten. Sein Vergehen: In der offiziellen Medienrunde hatte der Red-Bull-Fahrer lediglich über seinen Rennwagen geschimpft und dabei das verpönte Wort benutzt. Die Kommissäre bemühten für den Gebrauch des englischen Kraftausdrucks Paragraf 12.2.1k des Sportgesetzes: Beschädigung der Werte der FIA und des Ansehens des Motorsports.

Die Formel 1 bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Sport und Show

Das Ganze klingt nach einer Farce, aber Verstappen zog sofort Konsequenzen. Noch in der Medienrunde, in der ihm die Bemerkung herausgerutscht war, hatte er an den Moderator appelliert: «Was sind wir, Fünf- oder Sechsjährige? Auch in anderen Sportarten wird geflucht, wenn die Menschen unter Adrenalin stehen. Nur wird es da erst gar nicht übertragen.» Schon jüngst in Baku hatte er das Richtmikrofon eines Netflix-Teams zur Seite gedreht, das eine locker zusammenstehende Rennfahrerrunde belauschen wollte. Die erfolgreiche Doku-Serie «Drive to Survive» lebt von solchen Mitschnitten.

Hier liegt der eigentliche Kern der hitzigen Debatte: Die Formel 1 balanciert unter Liberty Media auf dem schmalen Grat zwischen Show und Sport. Viele Rennen werden für die Fernsehzuschauer interessanter dadurch, dass immer wieder zeitversetzt Audioschnipsel aus dem Boxenfunk eingespielt werden. Häufig informativ, meistens auch einfach unterhaltsam. Und natürlich oft alles andere als politisch korrekt. Es sind ja Sportler und keine Schauspieler.

Ben Sulayems Appell sollte sich daher primär an die TV-Anstalten richten. Doch die werden sich wehren, auf dieses teuer bezahlte Material zu verzichten. Zumal alle wirklich kritischen Begriffe ohnehin mit einem Piepton überblendet werden, die angeführte Kindergefährdung vor dem Fernseher findet daher nicht wirklich statt.

Hamilton findet die Strafe einen «Witz»

Um ein Zeichen zu setzen, blieb Max Verstappen am Samstag nach seinem zweiten Platz in der Qualifikation bei seinem Pflichtauftritt vor den Medien einsilbig. Ironisch verwies er darauf, seine Stimme schonen zu müssen. Ausserhalb des von der FIA kontrollierten Raumes gab er dann jedoch Interviews: «Ich finde es lächerlich, was da passiert. Hier kann man offenbar schnell einmal eine Strafe bekommen. Warum sollte ich da noch vollständige Antworten geben?»

Norris und Lewis Hamilton, die neben Verstappen sassen, solidarisierten sich umgehend mit dem Kollegen. Norris konnte die Strafe «nicht nachvollziehen», Hamilton sprach von einem «Witz» und empfahl Verstappen, die Stunden nicht abzuleisten: «Ich würde es gewiss nicht tun.» Hamilton hatte dem FIA-Präsidenten zuvor schon latenten Rassismus in der Wortwahl vorgeworfen, da die meisten Rapper schwarz seien.

Verstappens Rivale Norris flehte förmlich darum, dem Motorsport nicht seine Emotionen zu nehmen, so rau sie auch manchmal erscheinen mögen. Damit liegt er richtig, denn erst diese machen die Männer im Cockpit während ihres Tuns greifbar. Sport kann ohnehin nie besser sein als die Gesellschaft, die immer schon leicht überspannte Königsklasse schon gar nicht.

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