Montag, November 18

Der Blogger und Unternehmer verbreitet krude libertäre Ideen. Doch ist er so einflussreich, wie ihn Medien darstellen?

Der Erfolg von Donald Trump löst bei seinen Gegnern nicht nur Wut und Trauer aus. Beinahe obsessiv versuchen manche, sein Handeln zu deuten und den geistigen Überbau der Trump-Bewegung zu entlarven. Als böses Genie und finsteren Einflüsterer haben Medien dieses Jahr einen Blogger Namens Curtis Yarvin entdeckt.

Er, so berichten «Vanity Fair», «The New Republic» oder die deutsche «Zeit», beeinflusse Trumps Vizepräsidenten J. D. Vance und andere Republikaner. «Silicon Machiavelli» titelt die «Zeit» und mahnt, Curtis wolle nicht weniger als die Demokratie abschaffen. Der Titel ist eine Anspielung auf Yarvins Karriere im Silicon Valley, wo er eine Art «Hausphilosoph» des libertären Financiers Peter Thiel sein soll.

Eine Art «woke»-Erlebnis für extreme Rechte

Tatsächlich gründete Yarvin mit seinem Unternehmen Tlon die Messaging-Plattform Urbit. Das Silicon-Valley-Startup erhielt von Thiels Founders Fund 1,1 Millionen Dollar Startkapital. Und Yarvin bekam Zugang zur libertären Silicon-Valley-Elite um Peter Thiel. Zu dieser gehört auch der künftige Vizepräsident J. D. Vance.

Seinen Ruf als Hof-Intellektuellen der Vance-Thiel-Fraktion verdankt Yarvin seinem provokativen Werk als Blogger, erst unter dem Pseudonym «Mencius Moldbug», seit 2022 unter seinem Taufnamen. Breite Aufmerksamkeit erhielt Yarvin, weil er den Begriff des «red-pilling» popularisierte. Er griff das Motiv von Morpheus’ roter Pille aus dem Film «Matrix» auf – und erhob es zum Klischee für all jene, die angeblich wie er die Wahrheit erkannt haben. Gewissermassen das «woke» der alternativen neuen Rechten.

Yarvin gilt zudem als Erfinder der «Kathedrale»: eines Zerrbilds der amerikanischen Elite, welche die Nation angeblich durch kultartige, progressive Indoktrination in Medien, Universitäten und den Deep State bedroht. Um diese Kathedrale zu bekämpfen, hat Yarvin eine Reihe libertärer, neoreaktionärer, antidemokratischer und «radikal monarchistischer» Ideen für eine digitale Elite entwickelt.

Unproduktive Menschen will er verschwinden lassen

Er fordert unter anderem eine neue herrschende Klasse «finsterer Elfen», die ihr libertäres Regime den «Hobbits» der Unterklasse aufzwingen sollen. Als Staatsform schwebt Yarvin ein massiv verkleinerter, aber dadurch machtvollerer Staatsapparat vor, dazu eine «moderne Monarchie». Länder sollen wie ein Startup geführt werden, als Eigentum eines absolutistischen CEO. Mittel zur Unterjochung soll die digitale Technologie sein. Unproduktive Menschen sollten in virtuellen Welten zwangsinterniert werden, wenn man sie schon nicht «in gesellschaftstauglichen Biodiesel für ÖV-Busse» verwandeln könne.

Unschwer erkennt man hinter derlei faschistischen Phantastereien die Digitaltechnokratie des Silicon Valley. Elon Musk, Peter Thiel und Konsorten sind für Yarvin Vorbilder für CEO-Diktatoren, während J. D. Vance und Donald Trump die Monarchen sind. Nur: Ist der Publizist und Unternehmer Yarvin deshalb ein ernstzunehmender Intellektueller, der das Denken der Trump-Administration prägen wird, wie Medien suggerieren?

Ein Möchtegern-Dissident

Ein Blick in Yarvins Werke relativiert derartige Bedenken. Sie sind durchzogen von populärkulturellen Anklängen bei Tolkien, gespickt mit selbstironischer Eitelkeit eines Möchtegern-Dissidenten und zweifelhafter historischer Gelehrtheit. Yarvin wirkt wie ein raunender Popanz. Ob sich ausser elitären und romantisch-revolutionär veranlagten Tech-Brüdern wirklich jemand für ihn begeistern mag, ist fraglich.

Der Politikwissenschafter Matt McManus attestiert Yarvin die Pose des «ewigen Heranwachsenden mit Grossmannsucht», der an einen «drittklassigen David Foster Wallace» erinnere. Selbst Christopher Rufo, einer der einflussreichsten Trump-freundlichen Politaktivisten , bezeichnet Yarvins Werk als sophistisch: mehr Literatur als Politik, eine «manische Kombination aus Prunk, Pomp und Fatalismus».

Trumps rechte Hand J. D. Vance hat sich tatsächlich einmal wohlwollend zu Yarvin geäussert. Doch das war 2021, als er für den US-Senat kandidierte. Der Tech-Milliardär Peter Thiel hat der ehemaligen «New York Times»-Journalistin Bari Weiss kürzlich ein langes Interview gegeben. In zwei Stunden verlor er kein Wort über seinen angeblichen Lieblingsintellektuellen Curtis Yarvin.

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