Sonntag, Oktober 27

Ein Stern vom Guide Michelin ist für viele Köche das Ziel ihrer Träume. Aber warum eigentlich? Die Auszeichnung birgt unternehmerisches Risiko – und ist oft der Anfang vom Ende.

Im Restaurant «The Counter» ist alles auf ein aussergewöhnliches Erlebnis ausgerichtet. Die Köche blanchieren und braten, als sei ihr Arbeitsplatz eine Theaterbühne. Der Gast sitzt nicht am Tisch, sondern an einer Art Bar, von wo aus er der Mannschaft um den Küchenchef Mitja Birlo zuschauen kann. Selbstverständlich ist ein Besuch hier äusserst exklusiv: Maximal 23 Gäste haben Platz. Auf der Karte gibt es nur ein Menu, es kostet 295 Franken.

Das «The Counter» im Zürcher Hauptbahnhof ist der Senkrechtstarter der Schweizer Gastroszene. Erst im vergangenen Dezember eröffnet, erhielt es diese Woche aus dem Stand zwei Michelin-Sterne.

Die Auszeichnung ist das renommierteste Gütesiegel für die Spitzengastronomie. In der Schweiz können sich 25 Restaurants mit zwei Sternen schmücken, nur 4 haben drei Sterne, die höchste Bewertung.

Kulinarisch mögen die Lokale damit an der Spitze angekommen sein. Doch mit dem Prestige steigen die Preise und die Probleme. Und es stellt sich die Frage: Kann eine Sterneküche überhaupt rentabel sein?

Je besser die Küche, desto kleiner die Marge

Valentin Diem ist Geschäftsführer vom «The Counter». Er sagt: «Wir kochen zwischen 15 und 20 Gänge pro Gast. Pro Gang haben wir zwischen 4 und 10 Komponenten.» Das bedeutet, dass das Restaurant für jeden Gast bis zu 200 Einzelteile zu einem Menu zusammenstellt. Diem sagt: «Betriebswirtschaftlich ist das ein Wahnsinn.»

Denn die Spitzengastronomie ist vor allem eines: minuziöses Handwerk. Wo andere Restaurants auf vorverarbeitete Lebensmittel setzen, werden in Sterneküchen die Arbeiten vor Ort ausgeführt. Beim Anrichten kommt es mitunter auf Sekunden an. Dafür braucht es nicht nur frische Produkte, sondern auch viel Personal.

Eigentlich müssten die Preise in der Spitzengastronomie höher sein, sagt Diem. «Doch es gibt wenige Leute, die bereit sind, mehrere hundert Franken für ein Menu zu bezahlen.»

Entsprechend klein sind die Margen. Bis ein Restaurant einen Gewinn abwirft, dauert es. Die Rechnung gehe dennoch auf, sagt Diem. «Aber nur, wenn wir voll sind. Die Michelin-Sterne können da sicher helfen.» Seit der Auszeichnung am Montag hätten die Reservationen angezogen.

Währschaftes statt Gourmet

Andere Köche verzichten bewusst auf einen Stern. Einer von ihnen ist Stephan Stalder vom «Löwen» in Nänikon. Er sagt: «Ich habe da lange genug mitgemacht. Heute fehlt mir das Ego, solche Bewertungen als mein Lebensziel zu betrachten.»

26 Jahre ist es her, als Stalder den «Löwen» in Nänikon eröffnete. Auf Anhieb erhielt er 14 Punkte von Gault-Millau, später waren es 17 Punkte. Auch Michelin verlieh Stalder einen Stern.

Mit jeder Auszeichnung seien Druck und Kosten gestiegen, sagt Stalder. «Man braucht mehr Mitarbeiter, die besser ausgebildet sein müssen.» Doch der Markt für Fachkräfte sei ausgetrocknet, und um gute Leute zu finden, sei man mittlerweile auf Headhunter angewiesen.

Irgendwann habe er gemerkt, dass die Gäste vom «Löwen» etwas anderes erwarteten, sagt Stalder. «Der Begriff Gourmettempel hat viele abgeschreckt.» Vor fünf Jahren entschied er sich, auf die Bewertungen zu verzichten. «Eine Befreiung», sagt er rückblickend.

Nun könne er wieder kochen, was die Leute tatsächlich wollten, und nicht, was die Tester verlangten. Und so gibt es beim «Löwen» heute Währschaftes; Stroganoff, Cordon bleu, Zürcher Geschnetzeltes. Laut Stalder läuft das Lokal heute, ohne Sterne und Punkte, besser als zuvor.

Alle wollen ein Stück vom Ruhm

Sind Restaurants besser dran, wenn sie sternelos bleiben? Eine neue Studie aus den USA hat untersucht, wie sich Lokale schlagen, nachdem sie ausgezeichnet wurden. Das Resultat ist ernüchternd: Von allen Lokalen in New York City, die zwischen 2005 und 2014 einen Stern erhielten, waren 40 Prozent bis zum Jahr 2019 verschwunden.

Dabei kann ein Michelin-Stern durchaus positiv sein: Er erhöht die Bekanntheit auf einen Schlag. Plötzlich wollen alle einen Tisch, nicht selten sind die Restaurants auf Monate ausgebucht.

Aber die Euphorie ist oft nicht von Dauer. Gerade die Spitzengastronomie spricht sogenannte Foodies an, die von Sternerestaurant zu Sternerestaurant pilgern – und dann nie wieder kommen.

Und dann sind da noch weitere Kehrseiten, etwa wenn das Ökosystem rund um das Restaurant vom Ruhm mitprofitieren möchte. Dann erhöhen Lieferanten ihre Preise und Vermieter die Miete. Und auch die Angestellten verlangen ein besseres Gehalt, wenn sie nicht vorher von der Konkurrenz abgeworben werden.

Drei Modelle für den Erfolg

Wie kann man als Sternerestaurant also überleben – und vielleicht sogar so etwas wie Erfolg haben? Im Wesentlichen gibt es drei Modelle:

Am häufigsten kommt es vor, dass ein Spitzenrestaurant in einem Hotel einquartiert ist. Bestes Beispiel ist das «Cheval blanc», das seine drei Michelin-Sterne seit Jahren souverän verteidigt. Es ist einer von drei Gastrobetrieben im Basler Fünf-Sterne-Haus «Les Trois Rois» direkt am Rhein. Durch die gemeinsam genutzte Infrastruktur entstehen Synergien, und das Hotel sorgt für einen natürlichen Strom an Gästen.

Dann gibt es Mäzene und Gönner, die Spitzenrestaurants unterstützen, indem sie ihnen die Miete erlassen oder aber Investitionen finanzieren. Oft tun sie das aus Liebhaberei, offen gesprochen wird darüber nicht. Ein bekanntes Beispiel sind die Roche-Erben Duschmalé, die vor zehn Jahren das Basler Restaurant «Stucki» kauften und es für die Starköchin Tanja Grandits umbauen liessen.

Und manche Köche machen sich selbst zur Marke und erschliessen sich mit ihrem Namen neue Einkommensquellen. Sie geben Kochbücher heraus und treten in Fernsehsendungen auf. Auch die Schweiz kennt einen solchen Überflieger: Andreas Caminada.

Sein Schloss «Schauenstein» im Kanton Graubünden gehört zu den bekanntesten Restaurants der Welt. Aber damit begnügt Caminada sich schon lange nicht mehr. Unter der Marke Igniv hat er eine Spitzenrestaurant-Kette aufgebaut, die mittlerweile vier Niederlassungen zählt. Hinzu kommen weitere Restaurants und ein Hotel. Viele dieser Betriebe haben selbst schon Michelin-Sterne, und einige werden von Caminadas ehemaligen Schülern geleitet.

Wenn man weiss wie, dann ist sogar Spitzengastronomie finanziell lukrativ.

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