Herbert Kickl will die FPÖ bei den Wahlen im Herbst zum Sieg führen. Die erste Biografie über ihn zeigt auf, warum ausgerechnet eine geborene Nummer zwei schaffen könnte, was Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache nicht gelang.
Wenn Europa im kommenden Herbst mit Spannung nach Österreich blickt, liegt das vor allem an einem Mann. Herbert Kickl, der Chef der Freiheitlichen, könnte schaffen, was seinen international weit bekannteren Vorgängern Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache nicht gelang, und seine Partei bei den Nationalratswahlen auf den ersten Platz führen. Seit über einem Jahr liegt die FPÖ in den Umfragen mit deutlichem Vorsprung an der Spitze.
Ein Sieg wäre deshalb keine Überraschung und doch ein Erdbeben für Österreich. Erstmals stellte sich ganz konkret die Frage, ob ein Freiheitlicher Bundeskanzler werden kann. Und dabei ausgerechnet einer, der eigentlich stets als Mann im Hintergrund galt, als geborene Nummer zwei. Der kein Sympathieträger ist, sondern ein hervorragender Stratege. Über viele Jahre sah sich Kickl auch selber so. «Wenn eine Partei ein Schiff ist, bin ich lieber im Maschinenraum als beim Kapitänsdinner», sagte er einmal.
Ein guter Schüler mit Faszination für alles Militärische
Die einstige Rolle im Schatten ist ein Grund, warum man über Herbert Kickl wenig weiss – trotz dem grossen Einfluss, den er schon seit über zwanzig Jahren in der FPÖ hat. Ein anderer ist sein verschlossener, misstrauischer Charakter. Von Kickl gibt es keine Homestorys, er breitet sein Privatleben nicht auf Social Media aus und wird nicht leutselig abseits des politischen Scheinwerferlichts. Darin unterscheidet er sich nicht nur von Haider und Strache, sondern auch von anderen europäischen Rechtspopulisten, die gerne einmal ihre familiäre, weiche Seite zeigen. Vereinzelte Fotos in der Natur und auf Bergtouren müssen reichen.
Umso wertvoller ist die erste Biografie Kickls, die Gernot Bauer und Robert Treichler vom österreichischen Wochenmagazin «Profil» vorgelegt haben und die dieser Tage erschienen ist. In ihrem umfassenden und detailreichen Werk zeichnen die beiden Autoren ein präzises Bild des 55-Jährigen. Dabei bieten sie gleichzeitig einen Rückblick auf den Aufstieg der FPÖ zur einst führenden rechtspopulistischen Kraft in Europa und auf die jüngere Vergangenheit des Landes – von Haiders Pionierarbeit über die Parteispaltungen bis zum Ibiza-Skandal und zur rigorosen Corona-Politik.
Mit Kickl sprechen konnten die Journalisten nicht, er redet überhaupt kaum noch mit Medien ausserhalb des FPÖ-Umfelds. Auskunft gaben aber einstige und gegenwärtige Weggefährten, zudem begleiten Bauer und Treichler die Innenpolitik journalistisch schon seit den Anfängen des heutigen Chefs bei den Freiheitlichen.
Kickl wächst in bescheidenen Verhältnissen in einer Kärntner Arbeitersiedlung auf. Die Gegend ist sozialdemokratisch geprägt, seine Eltern sind jedoch unpolitisch. Ein Grossvater schliesst sich früh den Nationalsozialisten an, das ist indes gerade in Kärnten keineswegs aussergewöhnlich. Kickl ist ein ausgezeichneter Schüler, dessen rhetorisches Talent offenbar schon damals auffallend war. Ehemalige Mitschüler bezeichnen ihn als beliebt und verlässlich mit ausgeprägtem Widerspruchsgeist. Früh entwickelt er eine Begeisterung für alles Militärische, er trägt Military-Look und eine Brille wie John Lennon.
Als Erster seiner Familie geht Kickl an die Universität und studiert in Wien Philosophie, wobei er sich auf Hegel konzentriert. Er schliesst das Studium aber ebenso wenig ab wie die Ausbildung zum Gebirgsjäger. Trotzdem prägt ihn der «linke Zeitgeist» an der Fakultät, gegen den er sich auflehnt. So entsteht auch die Faszination für Jörg Haider, der 1986 FPÖ-Chef und drei Jahre später Kärntner Landeshauptmann wird. Mit seiner beissenden Kritik am herrschenden grosskoalitionären Trott wird er für Kickl zu einem Idol. Dieser stösst 1995 zur Partei, wo er rasch aufsteigt. Er schreibt Reden und Pointen für Haider, einige sind bis heute in Erinnerung.
Unter dem Urvater des Rechtspopulismus verfünffacht sich der Wähleranteil der FPÖ. Allerdings zerstört Haider die Partei auch fast mit der Abspaltung 2005. Kickl bleibt ihr treu und schliesst sich dem neuen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache an, wiederum ein Charismatiker und Volksverführer. Oft als dessen Mastermind bezeichnet, wird Kickl unentbehrlich für die FPÖ, richtet sie als «soziale Heimatpartei» aus und entwickelt einige seiner bekanntesten Slogans, «Daham statt Islam» etwa. «HC» Strache macht er zu einem politischen Pop-Star, der trotz einer Vergangenheit am ganz rechten Rand 2017 Vizekanzler wird.
Kickl wird zum Helden der Corona-Massnahmen-Gegner
Die damalige Koalition mit der konservativen ÖVP bewertet Kickl skeptisch. Dennoch wird er Innenminister und damit zu einem Aushängeschild, weil er in dieser Funktion dezidiert freiheitliche Inhalte vertreten kann. Das Bündnis zerbricht mit dem Ibiza-Skandal jedoch rasch. Die FPÖ stürzt vorübergehend in die Krise, und Kickl erweist sich wiederum als kluger Stratege: Er übernimmt sie nicht sofort, sondern erst 2021, als er mit seiner radikalen Kritik an der Corona-Politik zu einem Helden der Massnahmengegner wird. Auch Parteifreunde sind zunächst skeptisch, doch der Erfolg gibt Kickl recht. Als «Krisengewinnler» bezeichnen ihn Bauer und Treichler.
Politisch ist Kickl radikal – inhaltlich wie rhetorisch. Unter ihm ist die Partei weiter nach rechts gerückt, ohne mit der Wimper zu zucken, spricht er von «Remigration». Seine Persönlichkeit ist dagegen widersprüchlich: Der selbsternannte «Volkskanzler» ist ein asketischer Einzelgänger, an seiner Hochzeit 2018 sind nicht einmal Trauzeugen zugegen. Gleichzeitig ist er mit seinem besten Freund aus Kindheitstagen immer noch eng verbunden. Kickl wettert mit Vehemenz gegen das politische System, dem er selbst indes seit dreissig Jahren angehört. Ihm fehlen das Charisma Haiders und das Kumpelhafte Straches – aber auch deren Disziplinlosigkeiten.
Und so könnte mit der Wahl ausgerechnet ein Politiker an die Spitze stossen, der nicht Ausgleich und Konsens sucht – in einem Land, in dem dies stets als Voraussetzung galt. Wie gefährlich wäre ein Kanzler Kickl? Im besonders gelungenen Schlussteil ordnen die Autoren die Entwicklung in einen gesamteuropäischen Kontext ein und zeigen die Unterschiede auf etwa zur Situation in Ungarn, wo sein Vorbild Viktor Orban mit einer Machtfülle regieren kann, die für Kickl vorläufig unerreichbar ist.
Überhaupt ist die Stärke dieses Buches seine Sachlichkeit. Die Autoren verfallen nicht in den Alarmismus, der in Österreich im Zusammenhang mit Kickl oft herrscht. Stattdessen zitieren sie den FPÖ-Chef selbst ausführlich. Seine Ideen und die Wortwahl reichen aus, um beunruhigt zu sein.
Gernot Bauer, Robert Treichler: Kickl und die Zerstörung Europas. Zsolnay-Verlag, Wien 2024. 250 S., Fr. 38.90