Mittwoch, April 23

Weinstein wurde 2020 wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs zu einer Gefängnisstrafe von 23 Jahren verurteilt. Doch ein Berufungsgericht hob das Urteil wieder auf. Im neuen Prozess geht es um dieselben Vorwürfe, und es kommt eine weitere Klägerin dazu.

Am Mittwoch beginnt in New York ein Prozess, den es so schon einmal gab und der in seiner ersten Ausgabe als historisch galt: Der Filmproduzent Harvey Weinstein, 73, ist angeklagt. Er soll 2006 die ehemalige Produktionsassistentin Mimi Haley zu Oralsex gezwungen und 2013 die aufstrebende Schauspielerin Jessica Mann vergewaltigt haben.

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Weinstein plädiert auf unschuldig, wie bereits 2020. Doch damals hat ihn das Geschworenengericht in mehreren Anklagepunkten für schuldig befunden und ihn zu einer Gefängnisstrafe von 23 Jahren verurteilt. Der Prozess stand für den verbreiteten Sexismus, sexuellen Missbrauch, für den Machtmissbrauch durch erfolgreiche Männer. Viele verstanden ihn als Zäsur: Die Opfer werden nicht länger schweigen, die Täter nicht länger davonkommen. Der Schuldspruch galt auch als vorläufiger Höhepunkt der #MeToo-Bewegung, die mit den Anschuldigungen gegen Weinstein 2017 begonnen hatte und seither weltweite Beachtung fand.

Doch 2024 hob das New Yorker Berufungsgericht das Urteil überraschend auf. Beim Prozess hatten mehrere Zeuginnen ausgesagt, die Weinstein ebenfalls Missbrauch und Vergewaltigung vorwarfen. Ihre Fälle waren jedoch verjährt und waren nicht Teil der Anklage. Laut der Mehrheit der Richter waren ihre Aussagen deshalb unzulässig. Ernüchterung trat ein, es war sogar die Rede vom Ende der #MeToo-Bewegung.

Die New Yorker Staatsanwaltschaft nahm das Verfahren gegen Weinstein im November 2024 jedoch wieder auf. Mit dem erneuten Prozess könnte sie mehr erreichen als 2020: Eine dritte, bisher unbekannte Frau wirft Weinstein vor, sie 2006 in einem Hotel in Manhattan zum Oralsex gezwungen zu haben. Und noch etwas ist anders: Frauen stellen nun die Mehrheit der Jury.

Schwierige Auswahl der Geschworenen

Die Anklage gegen Harvey Weinstein begründete einen der bekanntesten Fälle sexualisierter Gewalt weltweit. Weinstein genoss in Hollywood grosses Ansehen und ist, ebenso wie einige seiner mutmasslichen Opfer, ein internationaler Star. Hinzu kommt das Ausmass der Anschuldigungen: Rund 100 Frauen haben sich geäussert, von Weinstein sexuell missbraucht oder belästigt worden zu sein. Der Fall stand für einen neuen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Dass Frauen so zahlreich und öffentlich ihre Erlebnisse schilderten, gab es selten. Vor allem, wenn es sich um einen schier unantastbaren Täter handelt.

Weinstein war einer der einflussreichsten Filmproduzenten in Hollywood. Er produzierte unter anderem «Pulp Fiction», «Good Will Hunting», «Gangs of New York» oder «The King’s speech». Für «Shakespeare in Love» erhielt er einen Oscar. Weinstein hatte die Macht, angehende Schauspielerinnen berühmt zu machen oder ihre Karrieren vorzeitig zu beenden. In Hollywood war zwar längst bekannt, dass Harvey Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Sie blieben ein offenes Geheimnis.

Erst 2017 sprachen betroffene Frauen mit Journalistinnen der «New York Times» und dem Magazin «New Yorker». Die Enthüllungen gingen um die Welt und ermutigten weitere Frauen, über ihre Erlebnisse mit Weinstein zu sprechen. Unter ihnen waren bekannte Schauspielerinnen wie Angelina Jolie, Gwyneth Paltrow, Salma Hayek, Ashley Judd und Uma Thurman. Einige der Fälle gehen mehrere Jahrzehnte zurück.

Die Enthüllungen zu Weinstein lösten zudem die weltweite #MeToo-Bewegung aus. Frauen auf allen Kontinenten fassten den Mut, mit dem Hashtag auf sozialen Netzwerken ebenfalls ihre Erfahrungen mit Sexismus, sexueller Gewalt und Missbrauch zu teilen. Opfer sexuellen Missbrauchs schöpften Hoffnung: Wenn es möglich ist, eine Koryphäe wie Weinstein vor Gericht zu stellen, dann gilt dasselbe auch für weniger berühmte Täter.

Die Ernüchterung nach dem Freispruch war daher gross. Doch Weinstein befindet sich weiterhin im berüchtigten Gefängnis Rikers Island in New York, da er 2022 in Los Angeles wegen einer anderen Vergewaltigung zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde. Weinstein ging auch gegen dieses Urteil in Berufung, der Ausgang ist noch offen.

Zuerst muss Weinstein nun aber erneut in New York vor Gericht erscheinen. Thema wird dabei auch sein Gesundheitszustand sein. Weinstein leidet an einer seltenen Form von Leukämie, Diabetes und einer Gehbehinderung. Im Herbst 2024 musste er zudem am Herz operiert werden. Seine Anwälte reichten im November Klage gegen die Stadt New York ein, ihr Mandant werde im Gefängnis unter unhygienischen Bedingungen und medizinisch mangelhaft behandelt. Vergangene Woche genehmigte ein Richter ein Gesuch Weinsteins, während des Prozesses zur Behandlung in ein New Yorker Spital verlegt zu werden.

Über Weinsteins Schuld entscheiden in den kommenden Wochen jedoch die zwölf Geschworenen. Zuvor haben Richter, Anklage und Verteidigung vier Tage gebraucht, um die zwölf Personen für die Jury aus einer Gruppe von dreihundert Personen auszuwählen. Es sind normale Bürger aus New York, die bei ihrer Befragung glaubhaft vermitteln konnten, dass sie bei diesem seit Jahren öffentlich debattierten Fall unvoreingenommen urteilen können.

Einige versuchten gar nicht erst, neutral zu wirken, und wurden sogleich aus dem Jury-Dienst entlassen. Laut im Saal anwesenden Journalisten fragte etwa einer der Anwälte von Weinstein die Gruppe, welches Wort ihnen in den Sinn käme, wenn sie an «Herrn Weinstein» dächten. Ein Mann habe geantwortet: «Das erste Wort, das mir in den Sinn kam, war ‹Schwein›».

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