Dienstag, November 4

Er war ein Jahrhundertmensch und hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Seine TV-Interviews waren legendär, weil er die Menschen zur Kenntlichkeit kommen liess.

Man erzähle über ihn immer das Gleiche, hat sich Georg Stefan Troller einmal beklagt. Das Immergleiche: seine Biografie. Was für Troller selbst kaum der Rede wert war, blieb aus der Perspektive europäischer Geschichte eine Verkettung ausserordentlicher Lebensumstände. Als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers 1921 in Wien geboren, flieht der junge Mann 1938 über die Tschechoslowakei nach Frankreich. Er bekommt ein Visum für Amerika, wird dort GI und verhört nach Kriegsende als Soldat jene Nazis, die einen Grossteil seiner Familie in den Konzentrationslagern ausgelöscht haben.

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In Wien arbeitet Georg Stefan Troller nach 1945 kurz beim Radiosender Rot Weiss Rot, geht zurück nach Amerika und landet wieder in Paris. Der Heimatvertriebene macht die französische Hauptstadt dauerhaft zu seinem Lebensmittelpunkt. Als er im Alter von 101 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft zurückbekommt, fällt das für ihn unter «Abteilung Sehnsucht», wie er in einem Interview sagt.

Die Fernsehsendung «Pariser Journal» beim WDR hat Troller in den sechziger Jahren berühmt gemacht. Noch berühmter wird er mit seinem Format «Personenbeschreibungen», das beim ZDF läuft. Mühelos gelingt es Troller, die persönlichsten Dinge über Interviewpartner zu erfahren. Mit kaltschnäuziger Warmherzigkeit fragt er nach.

Der Status der Berühmtheit kümmert ihn nicht, und er kann sich aussuchen, wen er für seine Fernsehporträts begleitet oder zum Gespräch ins Studio bittet. Muhammad Ali, Peter Handke, Romy Schneider, Yves Montand, Édith Piaf, Leonard Cohen, Marlene Dietrich, Ingrid Bergman und Woody Allen sassen mit ihm beisammen.

Fernsehen als Form der Mitmenschlichkeit

Bei Troller, diesem Grandseigneur des Fernsehens, wurden aus Heroen Menschen und aus Menschen Heroen. Auch Obdachlose, Kriegsversehrte und Knastbrüder hat der Journalist vor seine Kamera geholt und ihnen jene Würde gegeben, die das Fernsehen seinen Opfern oft nimmt.

Hier war die berühmte Glotze etwas anderes. Keine Schicksalsverwertungsgesellschaft, sondern ein Zeichen dafür, dass Journalismus nicht nur Zeitgenossenschaft ist, sondern auch eine Form der Mitmenschlichkeit. Es gehört zu den Symptomen des Mediums Fernsehen, dass es die Formate Trollers nach und nach aussortiert hat. Dieser Gesprächs-Slow-Food war tatsächlich langsam, und es hatte der invasiven Logorrhöe der Talkshows wenig entgegenzusetzen. Was Troller machte, war eine Erzählform, die sich nicht für Eindeutigkeiten interessierte, sondern die Ambivalenzen des Lebens selbst darstellen wollte.

Seine eigene Biografie hat der Journalist nie in den Mittelpunkt gerückt, und gerade deshalb blieb sie vielleicht als Hintergrund seiner Gespräche spürbar. Als verborgenes Material existenzieller Fragen. Als Denkfigur des Absurden. In tiefer Entspannung näherte sich Georg Stefan Troller den Menschen, mit denen er fürs Fernsehen zu tun hatte. Er liess die Kamera ganz nah an sie heranfahren. Manchmal brachte er sie durch die unverhoffte Nähe auch aus dem Konzept.

Der Schriftsteller Thomas Brasch war nicht der Einzige, der sich von den Methoden seines Interviewers verwirrt zeigte: «Ich bin das Schnitzel, das Sie servieren», sagt er im Filmporträt zu Troller. Troller konnte seine journalistische Einfühlsamkeit so weit treiben, dass sich die Prominenten bei etwas ertappt fühlten, das sie nicht ausgerechnet vor aller Öffentlichkeit breittreten wollten.

Der Schauspieler Alain Delon glaubte sogar, beim psychiatrischen Verhör zu sein, als er im Gespräch zuerst nach seinen machohaften Rollen und gleich darauf nach dem Verhältnis zu seiner Mutter gefragt wurde. Georg Stefan Trollers Einschätzung seines Berufsstands war allerdings auch selbstkritisch. «Wir sind Menschenfresser», hat er einmal gesagt.

Wenn es freundliche Menschenfresser gibt, dann war er einer. Für Politiker hat er sich nicht interessiert, denn es galt ein emphatischer Begriff des Worts: dass in ihm Wahrheit steckt. Troller-Interviews waren Seelenerkundungen, waren Literatur für sich. Im Österreicher, den seine signifikante Haar- und Barttracht als Bohémien versunkener Welten auswies, steckte zumindest auch ein halber Romancier. Es ist seltsam, dass seine Bücher oft in sehr kleinen Verlagen erschienen.

Trollers autobiografische Geschichte, die der Regisseur Axel Corti in den achtziger Jahren zur eindrücklichen Filmtrilogie «Wohin und zurück» machte, ist das Dokument einer Erzählkunst, die weiss, was Pointen des Lebens sind – im Guten wie im Allerschlechtesten.

Das wandelnde Gedächtnis

Zu den Pointen von Georg Stefan Trollers Karriere gehört auch, dass er bis zuletzt immer da war. Dem Fernsehen als Medium der Vergesslichkeit hat er ein Schnippchen geschlagen, indem er nicht aufhörte, sich zu erinnern. In Interviews, die er gab, und in Feuilleton-Texten zeigte Troller seine glasklare Intelligenz und seinen altösterreichischen Witz. Noch mit über hundert Jahren hat dieser Jahrhundertmensch über längst verstorbene Menschen erzählen können, als wären sie ihm gestern begegnet.

Wenn Nähe etwas anderes ist als ein journalistischer Übergriff, dann bleibt sie manchmal haltbar bis zum Tod. Nun ist der Journalist, Dokumentarfilmer und Schriftsteller Georg Stefan Troller im Alter von 103 Jahren in Paris gestorben, wie seine Familie mitteilte.

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