Donnerstag, Februar 13

Der Kroate segelt heute Regatten und unternimmt Freeride-Expeditionen. Dort trifft Kostelic immer wieder auf ehemalige Skirennfahrer. Was suchen sie im Abenteuer?

Ivica Kostelic, an den Ski-WM in Saalbach traten Sie mit der Weltcup-Band auf. Was ist das bessere Gefühl – auf der Bühne bejubelt zu werden oder als Sieger über die Ziellinie zu fahren?

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Das sind ganz unterschiedliche Gefühle. Mit dem Konzertpublikum hast du eine privatere Beziehung, du bist eins mit der Menge, bei der Musik geht es ums Teilen. Beim Sport bist du auf dich selbst fokussiert, und die Menge ist einfach dort.

Werden nicht die gleichen Glücksgefühle ausgeschüttet?

Nein, Sport und Kunst lassen sich nicht vergleichen. Du kriegst verschiedene Kicks, beide sind auf gewissen Ebenen unübertroffen. Es ist also das Beste, beides zu machen.

Was bedeutet Ihnen das Skifahren heute?

Ich bin vor allem am Freeriden. Ich liebe die hohen Berge und zu überlegen, wie ich einen Hang fahre. Es fehlen mir zwar ein paar spezifische technische Fähigkeiten, da ich bisher nicht so viel Zeit mit Freeriden verbracht habe. Dafür bringe ich vom Alpinskifahren viel technisches Wissen mit, weil wir technisch gesehen die besten Skifahrer der Welt sind. Ich war immer fasziniert vom Duell Mensch gegen Berg.

Im März wollen Sie ein Gebirge in Albanien auf einer Route kletternd und skifahrend überqueren, die vorher noch nie jemand gewagt hat. Was suchen Sie bei Ihren Projekten?

Etwas als Erster zu tun, hat definitiv seinen Reiz. Betrachte ich einen Berg, will ich natürlich die Linie fahren, die noch niemand gefahren ist. Die grössere Motivation für mich besteht aber darin, dass ich an Orte komme, die immer noch sehr wild sind. Weil es davon immer weniger gibt. Vermutlich sind wir eine der letzten Generationen, die dieses Privileg haben – und sie vielleicht noch etwas länger wild halten als die Generationen vor uns. Weil wir realisieren, wie wertvoll das ist. Als ich Grönland auf Ski durchquerte, war das nichts Aussergewöhnliches, es gibt jedes Jahr viele Expeditionen wie meine. Aber Orte zu sehen, die der Mensch vor tausend Jahren mit den gleichen Augen gesehen hat, ist wie eine Zeitreise.

Aber auch solche Naturerlebnisse müssen bei Ihnen stets mit einer grossen Herausforderung verbunden sein.

Ja, der Mensch sucht immer nach einer Herausforderung. Aber was eine solche ist, kommt auf die Ausgangssituation und den Hintergrund an. Eine Südpol-Expedition wäre heute keine so grosse Sache mehr, Anfang des 20. Jahrhunderts war sie es aber. Die heutige Menschheit will nicht zum Südpol. Wir denken an den Mars, das nächste grosse Abenteuer. Oder zumindest wollen wir nicht einfach zum Südpol, sondern so schnell wie möglich dahin. Oder den Berg K 2 mit den Ski hinunterfahren, nicht einfach erklimmen. Die Limiten von früher sind heute keine mehr. Ich persönlich suche immer die Herausforderung, und die gibt es überall: Über den Atlantik zu segeln, ist eine. Aber ihn auf einem Rennboot in einem Rennen so schnell wie möglich zu überqueren, ist eine grössere.

Was würde Ihnen ohne dieses Ausloten der Grenzen fehlen?

Ich wäre nicht glücklich, nicht erfüllt. Jeder Mensch ist ein Produkt seiner Erfahrungen. Jemand sagte einmal, der Wert von etwas erschliesst sich aus der Zeit, die du dafür aufwendest. Somit sind Erfahrungen das Wertvollste, was es gibt, weil du sie mit Zeit bezahlst. Man wächst als Person, wenn man unterschiedliche Dinge erlebt, die Entscheidungen werden besser, du verstehst Dinge klarer, siehst in allen Bereichen deutlicher. Das habe ich immer versucht, in allem, was ich getan habe.

Gesamtweltcup-Sieger und Abenteurer

PD

Der 45-jährige Kroate Ivica Kostelic gewann in seiner Karriere 26 Weltcup-Rennen, 4 Olympiamedaillen und war Weltmeister. Ausser in der Abfahrt stand der Slalom-Spezialist in jeder Disziplin auf dem Podest. 2011 triumphierte er im Gesamtweltcup, vor allem aufgrund eines hervorragenden Januars: In jenem Monat gewann er 7 Rennen und errang 999 Punkte.

Was hat die Zeit mit Ihrem Körper gemacht? Sie wurden während Ihrer Karriere oft operiert.

Es war weniger die Zeit als das Extreme des Spitzensports, was Spuren hinterlassen hat. Wir versuchen alle, die Zeit auszutricksen, wie die Skifahrer im Rennen. Ich pushe mich so hart wie möglich. Aber ich habe sicher Einschränkungen, kann mein Bein nicht mehr voll beugen. Interessanterweise schmerzt das Knie weniger, wenn ich im Tiefschnee fahre statt auf der Piste. Ich versuche, einen Weg zu finden, um so lange wie möglich weiterzumachen.

Wie schwierig ist es zu akzeptieren, dass der Körper nicht ewig bei all Ihren Ideen mitmachen kann?

Es ist ein Fakt, deswegen denke ich nicht allzu oft daran. Die einzige Frage ist, wie lange ich fit bleiben kann. Mein Vater sagte: «Du bist nur so alt wie deine körperliche Leistungsfähigkeit.» Wenn du mit 70 topfit bist, bist du noch jung. Es ist mir wichtig, so fit zu bleiben, dass ich das machen kann, was ich will.

Wie fit ist Ihr Vater Ante noch?

Er fährt mit 87 Jahren noch Ski. Heute sagt er mir ständig: «Der Körper ist das Wichtigste, vergiss alles andere.» Dabei hat er früher andauernd vom Geist gesprochen. Wir haben vorher über Erfahrung gesprochen, und das Paradoxe ist: Wir werden durch Erfahrung besser und besser, aber unser Körper kann diesen Fortschritten irgendwann nicht mehr folgen. Der Körper ist aber deswegen so wichtig, weil die Erfahrung im Sport nur über ihn ausgedrückt werden kann.

Kommen wir auf die Herausforderung zurück. Ist sie der Grund, dass Sie etwa bei Segelrennen immer wieder auf ehemalige Skifahrer treffen? Weil Sie das brauchen?

Ja, das ist unsere Lebensweise, so funktionieren wir Athleten, wir sind den Wettkampf gewohnt. Ich schätze das sehr. Wenn du etwas mit Leidenschaft machst, findest du immer einen Weg dafür. Vielleicht in einem anderen Sport, aber im Kern ist es das Gleiche. Die Herausforderung pusht uns. Der Freeride-Weltmeister Aurélien Ducroz wurde Segler, Kristian Ghedina und Luc Alphand fuhren Autorennen. Die sind verrückt, aber nur so kannst du in zwei unterschiedlichen Sportarten so gut sein.

Es gibt aber auch ehemalige Sportler, die das Adrenalin nicht mehr brauchen. Hermann Maier etwa nimmt es heute gemütlich.

Ja, aber er ist unglaublich fit, er macht ständig Skitouren. Maier ist eine sehr private Person, und ich glaube, er fand die Fortsetzung der Sportkarriere auf eine andere Weise. Sein Mindset funktioniert immer noch gleich. Wenn er an einem Rennen aufkreuzt, will er gewinnen und sagt nicht: «Lass uns ein wenig Spass haben.» Ich habe mehrere Legenden-Rennen absolviert, und die meisten der Rennfahrer begannen reflexartig zu zittern, wenn sie das Piepen am Start hörten. Weil es ein Leben lang das Startsignal bedeutet hat. Bis zu diesem Piepen ist bei solchen Rennen immer alles lustig. Dann werden alle ernst – und danach gehen alle in die Reha, weil sie so sehr gepusht haben. Der Drang nach Herausforderungen und danach, alles zu geben, bleibt einem Rennfahrer erhalten.

Der Schweizer Segler Alan Roura sagte mir einmal: «Wenn ich jemandem in die Augen schaue, sehe ich, ob er die Vendée Globe gesegelt hat.» Erkennen Sie andere Adrenalin-Junkies, die gleich ticken?

Ein gemeinsamer Drive ist sicher vorhanden. All diese Menschen wollen Erfahrungen, suchen etwas Aussergewöhnliches und versuchen, ihre Grenzen zu verschieben. Aber die Welt der Abenteurer ist gross, da gibt es viele unterschiedliche Menschen. Manche sind spirituell und suchen eine übersinnliche Erfahrung im Abenteuer, was inmitten von Menschen schwieriger zu finden ist. Dann gibt es die Wettkampftypen, die Abenteurer werden, weil sie die Vendée Globe gewinnen oder einen Gipfel erklimmen wollen.

Sie erlebten gefährliche Situationen bei Ihren Abenteuern, sei es bei schlechtem Wetter in Grönland oder beim Segeln im Sturm. Hat es Ihnen in solchen Momenten geholfen, Kitzbühel hinuntergefahren zu sein?

Absolut. Wann immer ich an einem steilen Hang stand oder ich von einer 20-Meter-Klippe ins Meer springen wollte, sagte ich mir: Wenn ich Kitzbühel fahren kann, dann schaffe ich auch das. Ein Beispiel: Beim Big-Mountain-Freeriden wähle ich meine eigene Linie und mein eigenes Tempo. Wenn ich mich unwohl fühle, kann ich vielleicht nicht gerade anhalten, aber ich kann langsamer werden oder meistens eine andere Linie wählen. In Kitzbühel musst du so schnell fahren, wie du kannst, und das kollidiert mit deinem eigenen Sicherheitssystem. Denn wenn du etwas Gefährliches tust, versuchst du, es zu kontrollieren. Indem du in Kitzbühel schneller und schneller fährst, versuchst du eigentlich, nicht in Kontrolle zu sein.

Prema Horizontu - Grenland 2017

Wie steht es mit der Kontrolle beim Segeln?

Da gibt es nicht viel Kontrolle. Der Ozean ist vermutlich die grösste Kraft der Erde, und ich mag, dass ich im Rennen gegen ihn fahre. Es gibt zwar Konkurrenten, aber deine hauptsächliche Sorge ist das Wetter. Wie du auf das Boot achtgeben kannst und die schnellste Linie findest. Zuallererst hast du also Respekt vor dem Ozean und tanzt als kleiner Mann an der Oberfläche dieser verrückten Kraft. Es gibt Zeiten, in denen du keine Kontrolle hast. Ich hatte zu Beginn oft sehr grosse Angst. Wenn du in Kitzbühel Angst hast, kannst du nach dem Rennen zurück ins Hotel gehen. Mitten im Ozean geht das nicht, da musst du dich weiterhin dieser Angst stellen. Aber das ist für mich der richtige Weg. Wenn du mit etwas konfrontiert bist, was deine Stärke übersteigt, und du es beherrschen willst, musst du weitermachen.

Und wie haben Sie gelernt, das Segeln zu beherrschen?

Als ich angefangen habe, kannte ich die Grenzen des Bootes nicht. Ich konnte nicht glauben, dass das Boot diese Kraft aushält. In eine Welle zu krachen, ist, wie mit einem Auto in eine Wand zu fahren. Und das Boot fährt weiter, ohne dass etwas kaputt ist. So beginnst du, Vertrauen aufzubauen. Bei 10 Knoten mehr Wind fragst du dich wieder: Wie weit kann ich dem Boot vertrauen, wie viel kann ich pushen? Mit etwas Glück findest du ohne grosse Konsequenzen heraus, wo der Breaking-Point ist. In diesem Bereich segelst du dann. Wenn aber Dinge am Boot kaputtgehen, macht mich das mental fertig.

Wie vermeiden Sie das?

Auf viele Situationen kannst du dich vorbereiten. Zum Beispiel bereitest du dich bei Tageslicht auf die Nacht vor. Wechselst Segel, versuchst, mögliche Defekte zu entdecken. Das kann dir das Rennen retten. Schwieriger zu lernen ist, wie viel zu riskieren du bereit bist. Es ist zwar ein Rennen, aber bist du zu schnell, kann es gefährlich fürs Boot sein. Dann wird es auch für dich gefährlich, und das Rennen ist zu Ende.

An der Route du Rhum 2023 segelten Sie direkt in einen schweren Sturm. Wie fühlt sich das an?

Ich musste mich dort meiner grössten Angst stellen: nachts bei 25 Knoten und hohen Wellen alleine auf den Mast zu klettern. Das ist das Beängstigendste, was ich je gemacht habe. Ich hatte so viele Schäden beim Equipment, dass mein Boot nicht bei 100 Prozent war, als ich in diesen letzten grossen Sturm segelte. Ich hatte die Wahl, einen südlicheren Kurs einzuschlagen und dort Zeit zu verlieren. Oder Zeit zu gewinnen, indem ich durch den Sturm segle – und dann wird es ein paar Stunden richtig schlimm. Nach einer Stunde im Sturm begannen die Probleme, ich verlor zum Beispiel den Autopiloten. Ich dachte: Das ist die Spitze der Herausforderung, es gibt nichts Grösseres: nachts im Sturm ohne Autopilot. Ich steuerte das Boot alleine, aber sah nichts. Es war eine furchteinflössende Erfahrung für mich.

Was haben Sie daraus mitgenommen?

Danach passierte das, was auch in Kitzbühel nach der ersten Fahrt passiert: Du wächst daran. Nach vier Jahren Segelerfahrung auf dem Ozean kehrte ich zurück ins Mittelmeer. Im ersten Rennen hatten wir 30, 35 Knoten, und alle waren ein wenig vorsichtig. Und ich sagte: Los geht’s! Ohne meine Erfahrung auf dem Ozean hätte ich dieses Mindset nie gehabt.

Fühlen Sie sich manchmal unbezwingbar?

Das gab es ein paarmal beim Skifahren. Als ich 2002 zum ersten Mal die kleine Kristallkugel für den Disziplinensieg im Slalom gewann etwa. Ich startete Anfang Saison mit der Startnummer 64 in den Weltcup. In Wengen in jener Saison fühlte ich mich unbezwingbar. Dieses Gefühl gab es nicht oft in meinem Leben. Auf dem Ozean gibt es das nicht. Dort musst du demütig sein. Du kannst das stärkste und beste Boot haben, aber der Ozean ist immer stärker.

Hat sich Ihr Gefühl für die Gefahr verändert, seit Sie vier Kinder haben?

Ja, ich riskiere sicher weniger. Ihren eigenen Abenteuergeist pushe ich nicht bewusst. Wenn sie das wollen, bringe ich ihnen gerne so viel bei, dass sie sicher bleiben. In gewisser Hinsicht ist auch dieses Abenteuerleben sehr kindisch. Kinder wollen immer mehr: mehr lernen, mehr Erfahrungen. Und wir Abenteurer bleiben erwachsene Kinder, die immer mehr wollen.

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