Mittwoch, Oktober 9

Ein Wanderer ist beim Oeschinensee wegen einer Nassschneelawine verunglückt. Die Verhältnisse im Frühling führen immer wieder zu Unfällen am Berg. Was bei einer Wanderung zu Saisonbeginn zu beachten ist.

Die Alpenwiesen blühen, das Wochenende ist lang, das Wetter freundlich: Die Bedingungen für eine Wanderung an Pfingsten scheinen ideal. Viele zieht es in die Höhe. Dabei ist schnell vergessen: Hoch oben, da ist es noch winterlich. Und die Schneemassen auf den Gipfeln bergen eine grosse Gefahr.

Die Schneedecken, die momentan über 2000 Meter liegen, sind schweizweit überdurchschnittlich hoch. Wenn diese Schneemassen durch Wärme oder Regen durchnässt werden, können sich Teile davon lösen und auch Wanderwege in tieferen Lagen verschütten. Laut dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung drohen momentan vor allem an steilen Nordhängen Nass- oder Gleitschneelawinen niederzugehen. Das kann tödlich enden, wie an Auffahrt beim Oeschinensee im Berner Oberland.

Dutzende Wanderer auf gesperrtem Weg

Mehrere Wanderer waren nördlich des Sees am Oeschischafberg unterwegs, als sich über ihnen eine Nassschneelawine löste. Ein Stein, der mit der Lawine niederging, traf einen Mann tödlich am Kopf. Sechzig Wanderer mussten per Helikopter aus dem Gebiet evakuiert werden. Vielen von ihnen war offenbar unklar, dass der Wanderweg saisonbedingt gesperrt war – trotz Hinweisen an der Bergstation der Gondelbahn und auf der Website der Tourismusregion. Eine Absperrung des Weges fehlte. Zu Recht?

Nachdem die Schweiz in jüngster Vergangenheit angeregt über Wanderer in Turnschuhen oder Flipflops debattiert hat, rücken dieses Jahr die Gefahren des schneereichen Frühlings in den Fokus. Was gilt es bei Wanderungen zum Saisonbeginn zu beachten?

Wanderwege im Winterschlaf

Auf physische Absperrungen dürfen sich Wanderer auf ihren Ausflügen nicht verlassen. Solche sind laut dem Leitfaden zur Gefahrenprävention, den der Verband der Schweizer Wanderwege herausgibt, nur bei einer unmittelbar drohenden Gefahr vonnöten, etwa Steinschlag. Und nicht bei saisonalen Gefahren wie Nassschneelawinen.

Es bestehe im Allgemeinen keine Pflicht, Bergwanderwege vor saisonalen Gefahren zu sichern, sagt Patricia Cornali, Sprecherin der Schweizer Wanderwege. Wanderwege seien nur für die schnee- und eisfreie Zeit bestimmt. Das heisst: Solange auf einem Teil des Weges noch Schnee liege, müsse er weder geräumt noch gesperrt werden. In höheren Lagen könnten im Frühling zudem Brücken und Sicherungsseile fehlen. Diese werden zum Schutz vor Witterung vor dem ersten Schnee abmontiert und erst nach der Schneeschmelze wieder angebracht.

Cornali empfiehlt Wanderern, beim lokalen Tourismusbüro, bei der Bergbahn oder der Hütte vor Ort Auskunft über die Situation auf der geplanten Route einzuholen. Diese wüssten am besten über den Zustand der Wanderwege in der Region Bescheid. Sperrungen und Warnungen werden teilweise zwar auf Online-Wanderkarten vermeldet. Es bestehe jedoch keine Pflicht, Sperrungen digital zu registrieren, sagt Patricia Cornali.

Heisst im Klartext: Auf dem Berg gilt die Eigenverantwortung im Frühling in besonders hohem Masse. Wer sich auf rot-weissen oder blau-weissen Wanderwegen bewegt, muss sich mit der Gefahrenlage auseinandersetzen – und bei Unsicherheit umkehren.

Hier findet man online Infos über Wanderweg-Sperrungen

Schweiz Mobil / Wanderland

Der Verband der Schweizer Wanderwege sammelt Informationen über Wegsperrungen und -umleitungen, basierend auf Meldungen von Gemeinden, Bergbahnen und Forstunternehmen. Die Informationen sind auf der Website oder der App der Stiftung Schweiz Mobil sowie auf der Geo-Plattform des Bundes abrufbar. Sie werden täglich aktualisiert. Es gibt keine Garantie auf Vollständigkeit.

SAC-Tourenportal

Die Website des Schweizer Alpenclubs (SAC) enthält eine Übersicht über Routen, die nicht oder nur stark erschwert begangen werden können, etwa wegen hoher Steinschlaggefahr, wegen eines Felssturzes oder wegen Gletscherschwundes. Die Meldungen werden nicht systematisch erfasst.

Rolf Sägesser, Experte des Schweizer Alpenclubs (SAC), sagt, im Frühling müssten sich Wanderer auch in mittleren Lagen auf Schnee und Eis einstellen. Besonders an schattigen Hängen und Furchen im Berg bleibe Schnee lange liegen. Zudem sei noch mit kalten Nächten zu rechnen, was das Gefrieren der Böden begünstige.

Neben einer minimalen Planung sind darum gutes Schuhwerk und allenfalls Wanderstöcke essenziell. Die meisten Unfälle passieren gemäss Statistik durch Ausrutschen, Stolpern oder Stürzen. Sägesser warnt darum vor Selbstüberschätzung.

In den nächsten Tagen sei zudem das wechselhafte Wetter zu berücksichtigen. «Unter diesen Bedingungen sind Wanderungen in den Voralpen vorzuziehen», sagt Sägesser. Von Wanderungen im alpinen Gebiet rät er ab.

Kandersteg prüft dennoch Blockade von Wegen

In Kandersteg werden derweil Massnahmen geprüft, die ein Unglück wie jenes am Auffahrtsdonnerstag verhindern könnten. Auch eine physische Blockade der besonders beliebten Wege steht zur Diskussion. Rolf Sägesser vom Schweizer Alpenclub sieht dies kritisch. «Wenn in einem Gebiet Wege physisch gesperrt werden, in einem anderen aber nur Hinweistafeln aufgestellt werden, ist das verwirrend für den Wanderer», sagt der SAC-Fachleiter. Er plädiert für eine möglichst einheitliche Handhabung.

Auch der Gemeindepräsident von Kandersteg bezweifelt, dass die physische Absperrung alle Wanderer beachten würden. Aus Erfahrung. Die Polizei habe den Weg nach dem Unglück mit einem Band abgesperrt, sagte er dem SRF. Vergeblich: Wanderer seien gleichwohl auf dem Weg unterwegs.

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