Donnerstag, Oktober 3

Über einen Gastronomen, der von sich sagt, er könne nicht kochen.

Die Geschichte über Michel Péclard beginnt mit einer Kränkung. Es ist der 24. Mai 2022, auf dem Münsterhof in Zürich findet die Abdankungsfeier für den verstorbenen Spitzenkoch Jacky Donatz statt. Die Crème de la Crème der Spitzengastronomie ist zusammengekommen: Anton Mosimann, Irma Dütsch, Heiko Nieder.

An weiss gedeckten Tischen unter einem Zeltdach werden Kalbfleisch und Kartoffelsalat gegessen – organisiert und finanziert von Péclard, er und Jacky Donatz waren befreundet.

Und dann das: Einige der Gäste lästern über das «protzige» Zelt, bezeichnen Péclard als Narzissten, der alles unternehme, um in den Medien gefeiert zu werden, und nichts unterlasse, was ihm Aufmerksamkeit und Beachtung einbringen würde.

Einer der anwesenden Köche sagt, alle hielten Péclard für ein «arrogantes Arschloch». So schildert es der freie Journalist Christian Gerig, der an der Feier dabei gewesen ist, in seiner Biografie, die er über Péclard geschrieben hat. Der Ton ist bereits mit dem Buchtitel gesetzt: «Der Mann ohne Geschmack».

Tatsächlich gibt es kaum einen Gastronomen in Zürich, der so polarisiert wie Péclard. Der gelernte Buchhalter sagt von sich selbst, er könne nicht kochen. Er bezeichnet sich als Chaoten, redet offen über Misserfolge und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er sich ärgert.

Péclard sagt: «Wer zu mir wechselt, verliert seine Freunde.»

Wie also ist er zu dem geworden, der er ist?

«Er versteht nichts von Weinen»

18 Betriebe sind in den «United Nations of Péclard» vereint: So nennt Péclard die Pumpstation GmbH, an der er und sein Geschäftspartner Florian Weber je zur Hälfte beteiligt sind. Zu ihren Betrieben gehören die «Pumpstation», das «Fischer’s Fritz» und die «Milchbar» in der Stadt Zürich, die «Schiffstation» in Männedorf und die Insel-Wirtschaft «Ufnau». Rund um den Zürichsee tragen Restaurants seine Handschrift.

Ein Zürcher Gastronom, der anonym bleiben will, sagt dazu: «Bei Péclard wissen die Behörden, was sie bekommen. Deshalb wählen sie lieber ihn, als einem weniger bekannten Beizer eine Chance zu geben.» Péclard selbst könne man dafür nicht kritisieren. Er sieht das Problem vor allem beim «mutlosen Denken» der Behörden, die die Pachten vergeben.

Péclard und Weber bauen die «United Nations» stetig aus. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die beiden die Opernhaus-Gastronomie übernehmen.

Fragt man Péclard nach dem bisherigen Höhepunkt in seiner Karriere, sagt er: «Wenn man nicht an mich glaubte und meine Idee dann doch funktionierte.» Er habe es gern, wenn man ihn infrage stelle. Und das passiere oft.

Sein Biograf Christian Gerig schreibt dazu im Buch: «Michel geht alles ab, was einen Gastronomen erfolgreich macht: Es ist höchstens medioker, was in den meisten seiner Lokale auf die Teller kommt. Er versteht so gut wie nichts von Weinen, er ist kein Gastgeber, denn er ist gar nie vor Ort.»

Pachtübernahme nach drei Flaschen Wein

Die Vernissage zu seinem Buch vermittelt einen Eindruck davon, wie das Péclard’sche Universum funktioniert. An einem der wenigen warmen Abende im Mai treffen sich rund 130 geladene Gäste im «Fischer’s Fritz». Das Restaurant an bester Lage direkt am Zürichsee gehört zum Campingplatz Wollishofen. Während die Camping-Gäste in Finken ihr dreckiges Geschirr in den Spülraum bringen, prosten sich weiter vorne am See Damen in Stöckelschuhen und Männer mit Jackett und weissen Turnschuhen zu. Ein Blick auf die gut besetzten Tische zeigt: Das Geschäft läuft.

Ernst Tanner, Chef von Lindt und Sprüngli, ist unter den Gästen und sagt: «Michel macht das einfach toll, er hat gute Ideen.» Etwa einmal im Monat gehe man zusammen essen und tausche sich geschäftlich aus.

Die Übernahme des Campings im Jahr 2010 war eine dieser Ideen, die Péclards Umfeld zur Verzweiflung brachte, wie er vor allen Gästen erzählt. Denn der Camping sei vor der Übernahme nicht besonders gut gelaufen und ziemlich heruntergekommen gewesen. «Meine damalige Frau sagte: ‹Wenn du das machst, lasse ich mich scheiden!›»

Nach der dritten Flasche Wein mit dem damaligen Pächter übernahm Péclard den Camping. Und seine Frau liess sich scheiden.

Nicht alles so machen, wie man es lernt: Das ist Péclards Credo. Die Biografie soll ein Mutbuch sein für junge Gastronomen in einer Branche, der der Nachwuchs fehlt.

Doch mit Rebellentum allein, das zeigt Péclards Weg auch, ist es nicht getan. Er ist ein Zahlenmensch. Nach seiner KV-Lehre absolviert er die Hotelfachschule. Das erste Mal richtig viel Geld verdient er, als er im Jahr 1994 zusammen mit seiner Cousine Janka Schenker am Züri-Fäscht abenteuerlich zubereitete Grillspiessli mit Fleisch, Champignon und Maiskolben verkauft: Der Champignon wird in der Mikrowelle vorgegart, der Maiskolben mit dem Bohrer präpariert, damit er aufgespiesst werden kann.

Im Buch heisst es zu dieser Episode: «Kohle machte man mit Quantität, nicht mit Qualität.» Es ist der Auftakt zu Péclards Karriere als Gastronom.

Drei Jahre später übernimmt er den «Münsterhof» am gleichnamigen Platz in Zürich. Von da an folgen Restauranteröffnungen fast im Jahrestakt.

Jahrelang an seiner Seite ist Janka, die er als seinen «Lebensmensch» bezeichnet, die wichtigste Person in seinem Leben. Im Alter von 42 Jahren starb sie an Krebs. Ein Verlust, der Péclard noch heute schmerzt. «Sie war ein wunderbarer Mensch, fröhlich, positiv, alle hatten sie gern», sagt er.

Ihr Tod habe eine grosse Lücke hinterlassen. Seine und Jankas Beziehung zieht sich durch die ganze Biografie. «Ich habe sie schon zehn Mal gelesen und musste jedes Mal weinen», sagt Péclard. «Weil sie so persönlich ist.» Janka sei der wichtigste Mensch in seinem Leben gewesen – wichtiger noch als seine Frau Mandana, mit der er zwei Söhne hat. Auch sie kommt im Buch zu Wort, und was sie über ihren Ex-Mann sagt, ist nicht alles schmeichelhaft.

Zwar beschreibt sie ihn als guten Ehemann und grosszügige Person. Bis heute verbindet die beiden eine Freundschaft, man hat sich geschworen, im Alter gegenseitig den Rollator zu schieben. Doch sie sagt auch, Péclard sei süchtig nach Ruhm, Herausforderungen und Bestätigung. Das Geschäft habe oft Vorrang vor ihrer Ehe gehabt.

Mit asiatischer Küche funktionierte es nicht

Während der Buchvernissage im «Fischer’s Fritz» läuft der Restaurantbetrieb weiter. Es ist eine Beiz ganz nach Péclards Geschmack: Gastronomie ohne Chichi. «Wenn ich etwas anderes gemacht habe, ging es schief.» Erst im letzten Sommer gaben er und Weber das «NZZ am Bellevue» nach nur knapp zwei Jahren Betrieb auf.

Er sei mit viel Enthusiasmus in das Projekt gestartet, sagt Péclard. Auf einer Japanreise sah er ein Lokal mit Rundum-Wandprojektionen und wollte dieses Konzept in Zürich. Statt Fischknusperli standen asiatisch inspirierte Speisen auf dem Menu. Bald zeigt sich: Das Konzept funktioniert nicht, die Gäste bleiben aus. Für Péclard ist klar, warum. «Das war nicht ich», sagt er.

Seine Liebe gilt der einfachen Küche. Ein Gericht wird besonders oft serviert: Fischknusperli mit Pommes frites. 38 Franken 50 kosten die Saibling-Knusperli aus dem Zürichsee im «Fischer’s Fritz».

Sechs Berufsfischer arbeiten ausschliesslich für die Péclard-Betriebe. «Fischknusperli-König» wird Péclard genannt, und es ist nicht als Kompliment gemeint, sondern eine Kritik an den angeblich phantasielosen Konzepten in seinen Betrieben.

Péclard sagt dazu: «In meinen Restaurants gibt es, was die Leute gerne essen.» Auch beim Wein richtet er sich nach dem Geschmack der Gäste. Als er den Rosé Miraval im Menu aufgenommen habe – er kommt vom Weingut von Angelina Jolie und Brad Pitt –, sei die Reaktion gewesen: «Diese Pfütze kannst du doch nicht anbieten.» Heute generiere der Wein am meisten Umsatz. Und dass der Umsatz stimmt, dafür sorgt auch das Servicepersonal.

Im letzten Sommer machte Péclard Schlagzeilen, als bekanntwurde, dass seine Restaurants sogenannte Umsatzlöhne zahlen: Die Mitarbeitenden im Service verdienen 7 bis 8 Prozent des Betrags, den sie bei den Gästen abrechnen. Ein Kellner kam so in einem Monat auf einen Lohn von 16 500 Franken. Seit er dieses System eingeführt habe, sagte Péclard zur «NZZ am Sonntag», habe er keine Personalprobleme mehr. Und wenn die Mitarbeitenden mehr erwirtschaften, profitieren auch die Chefs davon.

Péclard ist im persönlichen Gespräch einnehmend, freundlich, fixiert sein Gegenüber. Er hört interessiert zu, lacht viel – und verschwindet dann plötzlich. Er sagt dazu: «Ich merke manchmal gar nicht, wenn Leute neben mir stehen.» Péclard hat ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Er lässt sich schnell ablenken und ist impulsiv.

Als vor ein paar Jahren ein Jugendlicher am Utoquai bei seinem Restaurant «Pumpstation» randalierte, stellte er ein Video davon auf Facebook und schrieb dazu: «Gopfertelli . . . Wer mir den Namen der gefilmten Person sagt, bekommt von mir 500 Stutz.» Er habe das getan, weil er es Woche für Woche mit pöbelnden Jugendlichen zu tun habe, sagte er später gegenüber der «NZZ am Sonntag».

Während Péclard im «Fischer’s Fritz» Anekdoten zum Besten gibt, steht sein Geschäftspartner Florian Weber etwas abseits mit seinem Sohn auf dem Arm und schaut zu. Die Szenerie versinnbildlicht die Rollenverteilung zwischen den beiden: Péclard ist der Aussenminister, Weber der Innenminister. «Wir ergänzen einander sehr gut», sagt Weber dazu. Seit 2010 sind die beiden Partner, aus der Geschäftsbeziehung ist längst eine Freundschaft geworden. Péclards Impulsivität störe ihn nicht, sagt Weber. Er beweise oft einen guten Riecher.

Der offizielle Teil der Vernissage ist zu Ende, wer will, kann das Buch gleich kaufen, mit Signatur natürlich. Es vergeht kaum eine Minute, schon ist der Gastgeber wieder umringt von Menschen, die ihm gratulieren wollen.

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