Montag, September 30

Ein kleiner Verein landet einen grossen Coup, dank Geld aus der Stadtkasse. Wie viel die Aktion gekostet hat, bleibt aber geheim.

Deutsche Medien berichteten darüber, der österreichische Rundfunk griff das Thema auf, sogar japanische Journalisten kamen vorbei. Selten hat eine temporäre Installation in Zürich ein solches Echo ausgelöst wie der gestrandete «Pottwal» der belgischen Künstlergruppe Captain Boomer, der bis Mittwochabend am Utoquai direkt am Seeufer lag. Bis zuletzt drängten sich Hunderte mit gezückten Mobiltelefonen hinter den Absperrgittern.

Die fotorealistische und zumindest am Anfang auch übel stinkende Plastik eines riesigen Kadavers war so unheimlich wie Louise Bourgeois’ Riesenspinne Maman im Jahr 2011, so irritierend wie der Hafenkran von 2014 und so Instagram-tauglich wie der gestrickte «Gaia Mother Tree» von Ernesto Neto, der 2018 die Halle des Hauptbahnhofs ausfüllte.

Jetzt ist der künstliche Kadaver genauso verschwunden, wie er drei Tage zuvor zur allgemeinen Verblüffung in Zürich aufgetaucht war: mitten in der Nacht, per Schwertransporter, während alles schlief und die Strassen leer waren. Sein nächstes Ziel bleibt geheim, denn das Überraschungsmoment ist stets Teil des Konzepts, wo immer die Installation aufgestellt wird, von Antwerpen bis Adelaide.

Der bisher kaum bekannte Winterthurer Meeresschutzverein Kyma, der am Ursprung der Aktion stand, kann sich dafür gratulieren. So viel Aufmerksamkeit hat er in den fünf Jahren seit seiner Gründung nie auch nur annähernd erlebt. Ob in den sozialen Netzwerken oder auf der eigenen Website: Überall waren die Zugriffszahlen plötzlich erheblich höher.

Die Meeresbiologin Silvia Frey, Mitgründerin des Vereins, war in den vergangenen Tagen selbst vor Ort, verkleidet als Mitglied einer fiktiven Organisation von Wissenschaftern, die den Kadaver untersuchen. Diese Inszenierung gehörte zur Illusion, genauso wie der Fäulnisgeruch.

Für manche Passanten war die Täuschung fast schon zu perfekt. Die einzigen negativen Reaktionen, sagt Frey, habe es von Personen gegeben, die glaubten, dass für die Aktion tatsächlich ein toter Wal am Zürcher Seeufer abgeladen worden sei.

Aus Sicht der SVP zu viele links-aktivistische Produktionen

Kritische Fragen wird die Kunstinstallation auch auf der politischen Bühne nach sich ziehen, denn sie wurde zum Teil mit Steuergeldern finanziert. Zustande gekommen ist sie nur dank einer Kooperation mit dem Zürcher Theaterspektakel, das fürs Gastspiel des Pottwals vollumfänglich aufkommen wird.

Das Theaterspektakel – es läuft noch bis zum 3. September auf der anderen Seeseite – deckt mehr als die Hälfte seines Budgets von 5,3 Millionen Franken mit öffentlichen Beiträgen. Diese sind wiederholt erhöht worden. Gegenwärtig zahlt die Stadt Zürich 2,8 Millionen Franken und der Kanton 360 000 Franken. Der Rest stammt aus Ticketverkäufen und von zahlreichen Sponsoren, darunter grosse wie die Swiss Re.

Wie viel die Installation mit dem Pottwal genau gekostet hat, wollen die Verantwortlichen auch auf wiederholte Nachfrage nicht preisgeben. Sie lassen nur wissen, dass es sich um eines der «kostengünstigeren Projekte» im Rahmen des Festivals handle – halb so teuer wie eine Produktion auf der grossen Bühne in der Schiffswerft.

Der SVP-Gemeinderat und Kulturpolitiker Stefan Urech will es genauer wissen. Er stört sich nicht an der Botschaft der konkreten Aktion – ein Aufruf zum Schutz der Meere – aber der Wal steht in seinen Augen für ein grundsätzliches Übel: Die Mehrheit aller Produktionen des Theaterspektakels transportiere eine politisch-aktivistische Botschaft aus dem linken Meinungsspektrum. Ob es nun um Kolonialismus, Rassismus, Ökologie oder Genderfragen gehe.

Für ein bürgerliches Publikum, das sich nicht belehren lassen wolle, finde sich im Programm kaum etwas, sagt Urech. «Das ist eintönig und langweilig.» Er ist der Überzeugung, dass sich diese Ausrichtung nicht einfach aus persönlichen Präferenzen der Kulturschaffenden ergibt, sondern dass sie das Ergebnis politischer Lenkung ist. Konkret: des Kulturleitbilds, das der links-grüne Stadtrat verabschiedet hat. «Der Pottwal stinkt vom Kopf her.»

Kritische Fragen ganz anderer Art versuchten in den vergangenen drei Tagen Silvia Frey und ihre Mitstreiter in die Köpfe jener Menschen zu pflanzen, die vor der Plastik des verendeten Wals stehen blieben. Zum Beispiel, ob sie bereit wären, ganz auf Meerfisch und Meeresfrüchte zu verzichten.

Der Schutz der Ozeane sei zwar als abstraktes Thema kaum kontrovers, sagt Frey, aber sobald es darum gehe, selbst aktiv etwas dazu beizutragen, werde es schwieriger. «Man muss den Menschen in der Schweiz klarmachen, dass sie mit ihrem Einkaufsverhalten Fischereimethoden unterstützen, die das Meer zerstören – selbst wenn auf der Packung steht, es sei ein nachhaltiges Produkt.»

Wenn man sich ans Credo von Joseph Beuys hält, dass Kunst nicht einfach nur herumhängen sollte – und auch nicht stinkend herumliegen –, sondern dass sie etwas bewegen müsse: Zumindest diesen Test hat der gestrandete Wal vom Utoquai bestanden.

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