Donnerstag, April 24

Bauern in den USA sind Unternehmer und keine Subventionsempfänger. Im Anbau von Mais und Soja mischen sie an der Weltspitze mit. Doch die Branche plagen Nachwuchssorgen.

Wohin man auch blickt: Stoppelfelder mit abgeerntetem Mais. In den Weiten des amerikanischen Getreidegürtels westlich von Chicago bietet sich zurzeit ein karges Bild. Doch in wenigen Wochen werden auf den riesigen Feldern im zumeist ländlichen Gliedstaat Illinois überall Mais und Soja wachsen.

Von Romantik keine Spur

Im April beginnt traditionell die Aussaat. Und wenn im Herbst die Ernte eingefahren wird, ist diese fast ausschliesslich für die Tierfutterherstellung und die Produktion von Bioethanol-Kraftstoff bestimmt.

Mit ländlicher Romantik hat das wenig zu tun. Im Corn Belt, wie diese Region im Mittleren Westen der USA auch genannt wird, dominiert die intensive Landwirtschaft. Sie konzentriert sich auf wenige hochprofitable Produkte. Die Traktoren und anderen Maschinen, die auf den Feldern zum Einsatz gelangen, sind so gross, dass sie auf unvertraute Betrachter ein wenig einschüchternd wirken. Alles ist hoch automatisiert. Und Illinois scheint selbst in den Kleinstädten und Dörfern weitgehend menschenleer zu sein.

Die Grossstädte locken

Das war nicht immer so. Noch in den 1960er Jahren waren im Getreidegürtel, zu dem unter anderem auch die Gliedstaaten Iowa und Indiana sowie Teile von Nebraska, Minnesota und Missouri gerechnet werden, Grossfamilien die Norm. Auch in Dörfern und Kleinstädten herrschte oft geschäftiges Treiben.

Doch wie grosse Teile des Mittleren Westens kämpft auch der ländliche Raum von Illinois mit einem starken Bevölkerungsschwund. Allein im zurückliegenden Jahrzehnt schrumpfte die Einwohnerzahl in manchen Gegenden um bis zu einen Drittel. Nicht nur werden wie in den meisten amerikanischen Haushalten auch in Bauernfamilien immer weniger Kinder geboren. Wer jung ist, zieht zudem gerne in die Stadt, oft in eine der Metropolen an der Ostküste oder in einen der boomenden Gliedstaaten wie Texas, Nevada und Colorado.

Auch bei der Familie Rowe, deren Farm in Illinois in der Nähe der schrumpfenden Kleinstadt Princeton mit noch 7000 Einwohnern liegt, macht man diese Erfahrung. Eine Tochter ist als Pflegefachfrau nach New York arbeiten gegangen. Nun folgt ihr eine der beiden jüngeren Schwestern, die im Big Apple eine Laufbahn als Lehrerin anstrebt. Die beiden Frauen haben mit Jeff Rowe einen Vater, der es weit weg zu Bekanntheit gebracht hat: Rowe wirkt seit Anfang dieses Jahres als CEO des weltgrössten Agrochemiekonzerns Syngenta. Das mittlerweile chinesische Unternehmen hat seinen juristischen Sitz in Schanghai, wird operativ aber nach wie vor von Basel aus geführt.

Auf dem Land westlich von Chicago

Verzicht auf Milchkühe

Die NZZ hatte im Rahmen einer Pressereise die Gelegenheit, die Farm des Syngenta-Chefs und seines Vaters Dean Rowe zu besuchen. Dean Rowe, der inzwischen 80 Jahre alt ist, erwarb seinen Bauernhof 1965, nachdem seine Eltern in der Nachbarschaft bereits 1959 eine erste Farm gekauft hatten.

Auf dem heutigen Gut der Familie, dessen Gesamtfläche 1200 Hektaren umfasst und damit fast 60-mal so gross ist wie ein durchschnittlicher Schweizer Bauernhof, werden fast ausschliesslich Futtermais und Soja angepflanzt. Eine Schwester von Jeff Rowe hält zwar Mastrinder, Schweine und Esel, doch bildet dieser Bereich nur einen Nebenzweig der Farm.

Die Milchproduktion gab die Familie vor einigen Jahren auf. Sie lohne sich immer weniger, sagt Jeff Rowe. Ähnlich wie in Europa bestehen auch in der amerikanischen Milchwirtschaft Überkapazitäten. Dies hat vor allem damit zu tun, dass immer weniger Milch getrunken wird.

Mit dem Anbau von Mais und Soja kommen Landwirte in den USA hingegen weiterhin gut über die Runden. Anders als ihre europäischen Kollegen erhalten sie kaum staatliche Zuschüsse. Doch sie profitieren davon, dass die Nachfrage nach ihren Produkten weltweit hoch ist und sie gelernt haben, unternehmerisch zu handeln.

Mais für Tierfutter oder Bioethanol

In der Maisproduktion sind die amerikanischen Farmer mit Abstand Weltmarktführer. Im vergangenen Vermarktungsjahr brachten sie es laut einer Aufstellung des US-Landwirtschaftsministeriums auf einen Marktanteil von 32 Prozent. Bei Soja rangieren die USA mit einem Weltmarktanteil von 29 Prozent auf dem zweiten Platz, hinter Brasilien (39 Prozent), aber vor Argentinien (13 Prozent).

Die USA dominieren beim Mais

Anteile an weltweiter Produktion 2023/24 in Prozent

Von der amerikanischen Maisproduktion gehen rund 90 Prozent in die Herstellung entweder von Tierfutter oder von Bioethanol. Geschäfte mit dem Kraftstoff Bioethanol boomen, weil er eine Alternative zu fossilen Energieträgern ist. Seine Anwendungsgebiete werden laufend grösser. So wird Bioethanol nicht nur für die Herstellung von Elektrizität und Wärme, sondern auch für den Antrieb von Lastwagen und Flugzeugen eingesetzt.

Von Beginn weg verschafften die nährstoffreichen Böden des amerikanischen Getreidegürtels Farmern einen Vorteil. Zugleich schafften es die Bauern, ihre Produktionsmethoden laufend zu verbessern und das Erntevolumen enorm zu steigern. Verglichen mit dem Stand vor knapp 150 Jahren liegt die heutige Maisproduktion rund 20-mal höher. Die Anbaufläche wurde im selben Zeitraum lediglich verdoppelt.

Gentechnisch veränderte Soja auch für Deutschland

Seit den späten 1990er Jahren ermöglichte die Einführung gentechnisch veränderter Saatgutarten einen Sprung nach vorne. Die Firma Syngenta produziert nicht nur Insektizide und andere Agrochemikalien, sondern ist ähnlich wie die Bayer-Tochtergesellschaft Monsanto auch gross im Geschäft mit gentechnisch modifiziertem Saatgut tätig. Heutzutage entfallen in den USA 96 Prozent des angebauten Maises auf solche Sorten.

Auch in der Produktion von Soja ist diese Technologie inzwischen omnipräsent, obschon sie in Europa nach wie vor verbreitet auf Kritik stösst. So erwähnte ein Wissenschafter bei der Führung durch ein neues Saatgut-Forschungszentrum, das Syngenta im vergangenen Jahr im Gliedstaat Illinois nahe der Kleinstadt Malta eröffnet hatte, genüsslich, dass deutsche Schweinezüchter im grossen Stil ihren Tieren gentechnisch veränderte Soja aus den USA verfüttern würden. Die EU erlaube den Einsatz als Tierfutter seit Mai 2020. Jene Kreise, die behaupteten, in Europa sei alles frei von gentechnologisch veränderten Pflanzen, sagten nicht die Wahrheit.

Jüngst haben sich die Weltmarktpreise für Mais und Soja von mehrjährigen hohen Niveaus aus abgeschwächt. Auch Farmer in den USA spüren zudem auf breiter Front die Folgen der Inflation. So haben sich auch für sie Düngemittel, Pflanzenschutzprodukte und Diesel deutlich verteuert. Hinzu kommen die gestiegenen Zinsen, welche die Anschaffung und das Leasing von Traktoren sowie anderen landwirtschaftlichen Maschinen verteuern. Dennoch sind in den USA im markanten Gegensatz zu Europa Bauernproteste in jüngster Zeit ausgeblieben.

Politisch gut organisiert

Vertreter von Farmerfamilien, die sich auf der Farm von Jeff Rowe zusammen mit dem Syngenta-Chef den Fragen der mitgereisten Journalisten stellen, begründen dies damit, dass amerikanische Bauern politisch mindestens so gut wie ihre europäischen Kollegen organisiert seien. Bill McDonnell, dessen Familie ebenfalls eine Farm in Illinois bewirtschaftet, sagt, es gebe für die einzelnen Landwirtschaftsprodukte separate Lobbyorganisationen. Diesen gelinge es gut, die Sorgen ihrer Mitglieder in Regierungskreisen einzubringen.

Der CEO von Syngenta, der mit seiner Frau sowie der jüngsten Tochter inzwischen in der Nähe von Zürich wohnt, bezeichnet die europäischen Farmer als «die besten Protestierer der Welt». Zugleich äussert er Verständnis für ihren Unmut. Die Überregulierung, mit der Landwirte in Europa zu kämpfen hätten, führe dazu, dass sie zunehmend von Innovationen abgeschnitten würden. «Ihre Erträge stagnieren, und sie können nicht mehr mit Farmern in den USA oder Brasilien mithalten.»

McDonnell, der sich erst als Berater für den Anbau von Feldfrüchten selbständig machte und mittlerweile ebenfalls bei Syngenta beschäftigt ist, betont indes, dass auch amerikanische Farmer in Fragen der Regulierung zu beissen hätten. So erwähnt er im Gespräch, dass ihnen Sorge bereite, welcher Druck von der Regierung beispielsweise beim Einsatz von Dünger, beim Schutz gefährdeter Tierarten oder im Umgang mit Entwässerungsanlagen aufgesetzt werde.

Ein grosses Thema sei zudem auch in den USA die steigende Entfremdung zwischen Konsumenten und der Landwirtschaft. «Je mehr die ländliche Bevölkerung schwindet, desto schwerer dürften es ihre Anliegen haben, in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.»

Landarbeiter aus Südafrika

Das wohl grösste Problem, das amerikanische Landwirte zurzeit beschäftigt, ist indes der Mangel an Arbeitskräften. Damit sind sie nicht allein. Vertreter zahlreicher anderer Branchen wie beispielsweise der Gastronomie und weiter Teile der verarbeitenden Industrie klagen seit Jahren darüber, zu wenige Beschäftigte zu finden. Doch in der Landwirtschaft scheinen die Herausforderungen besonders ausgeprägt zu sein.

Wegen der Landflucht verschärft sich das Problem mit der Knappheit von Arbeitskräften zusehends. An der Bezahlung liege es nicht, beteuern die versammelten Vertreter von Farmerfamilien. Doch Arbeit auf den Feldern fernab von den Annehmlichkeiten des städtischen Lebens sei immer weniger gefragt, sagt Ryan Vogelzang, dessen Familie in Nebraska eine grosse Farm betreibt. Seit dem vergangenen Jahr hilft auf dem Betrieb eine Handvoll junger Landarbeiter aus Südafrika mit. Man hoffe, fügt Vogelzang hinzu, sie einige Jahre halten zu können.

Jeff Rowe ist froh, jüngst einen qualifizierten Angestellten gefunden zu haben. Dieser unterstützt seinen Vater, der sich zuvor weitgehend allein um den Anbau von Mais und Soja auf der Farm gekümmert hatte. Als grosses Hindernis sieht Rowe die Fertigkeiten, die Mitarbeiter bei der Bedienung von Maschinen mitbringen müssen. «Die heutigen Traktoren und anderen Geräte sind sehr leistungsfähig, aber auch teuer in der Anschaffung. Kein Farmer will riskieren, dass sie wegen unsachgemässer Bedienung Schaden nehmen.»

Erstaunlicherweise sind fast alle Farmen in den USA trotz ihrer hohen Produktivität bis heute Familienbetriebe geblieben. Über neun von zehn Betrieben fallen in diese Kategorie. Wie in vielen Weltregionen ist aber auch die amerikanische Bauernschaft zunehmend überaltert. Laut Volkszählung sind 38 Prozent der Farmer 65 und älter. Auch vor diesem Hintergrund dürfte es im ländlichen Raum von Illinois sowie in weiten Teilen des Getreidegürtels in den kommenden Jahren noch ruhiger werden.

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