Mittwoch, Oktober 2

Ein Staatsmann träumt vom Ruhm, ein Wissenschafter ist besessen von einer Idee: Juan Perón baute dem österreichischen Physiker Ronald Richter ein Institut für Kernforschung. Was bleibt, sind Ruinen.

«Am 16. Februar 1951 wurde auf der Insel Huemul, nahe von San Carlos de Bariloche, eine kontrollierte thermonukleare Reaktion in technischem Massstab erzielt»: Das war der zentrale Satz eines Statements, das der argentinische Präsident Juan Perón am 24. März 1951 vor einer ausgesuchten Gruppe einheimischer Journalisten abgab. Perón hatte eine militärische, aber keine naturwissenschaftliche Ausbildung genossen. Er las die Meldung sorgfältig von einem Blatt ab. Das Experiment, das auf Huemul durchgeführt worden war, verstand er nicht wirklich.

Der Präsident führte aus, dass sich Argentinien zwei Jahre zuvor entschieden habe, bei der Erforschung atomarer Energiequellen ganz eigene Wege zu beschreiten. Das Ziel sei es, Kernfusionsprozesse, wie sie sich auf der Sonne abspielten, auf der Erde nachzuahmen. Mit den enormen frei werdenden Energiemengen sollten die Energieprobleme der Zukunft gelöst werden.

Dazu, räumte Perón ein, brauche es eine Methode, bei der Temperaturen von mehreren Millionen Grad erreicht würden. Zugleich müsse die dabei stattfindende Kettenreaktion kontrolliert ablaufen. Dieses schier unmögliche Ziel sei in Argentinien erreicht worden. Das finanzielle Risiko, das sein Land eingegangen sei, habe sich ausgezahlt.

Schliesslich übergab Perón das Wort an den Mann, der neben ihm sass: Ronald Richter, den wissenschaftlichen Vater des Projekts. Er stellte ihn den Journalisten als argentinischen Staatsbürger vor. Richter, der nur schlecht Spanisch sprach, erläuterte, Argentinien sei zwar in der Lage, eine Wasserstoffbombe zu bauen, sei aber nur an der zivilen Nutzung der Technologie interessiert. Dies habe Präsident Perón unmissverständlich deklariert.

Streng geheim!

Auf die Frage eines Journalisten, wie es möglich sei, die nukleare Explosion zu kontrollieren, antwortete Richter lapidar, er könne den Vorgang nach Belieben steuern. Und als jemand wissen wollte, welches Material er bei seinen Versuchen benutze, wies der Forscher auf die bei einem solchen Projekt erforderliche Geheimhaltung hin.

Peróns Ankündigung fiel in eine Zeit des atomaren Wettrüstens. Die USA testeten in der Nevada-Wüste und auf dem Eniwetok-Atoll nukleare Sprengkörper. Von der Sowjetunion wusste man, dass sie eine riesige Atomindustrie aufgebaut hatte und sich nach der erfolgreichen Zündung einer Atombombe im Jahr 1949 anschickte, eine neue Art von Superbombe zu entwickeln.

Auch über einen spektakulären Spionagefall wurde damals weltweit intensiv berichtet: 1950 waren in den USA Julius und Ethel Rosenberg verhaftet worden, die im Verdacht standen, geheime Informationen über die Nagasaki-Bombe an die UdSSR weitergegeben zu haben. Das Ehepaar Rosenberg wurde 1951 zum Tode verurteilt. Zwei Jahre später wurden die beiden im New Yorker Gefängnis Sing Sing hingerichtet.

Berichterstattungen zu Themen, die mit «Atom» zu tun hatten, waren damals an der Tagesordnung. Und so viel verstand auch der Laie: Es ging darum, mit ganz wenig Material gigantische Kräfte freizusetzen. Dass der argentinische Präsident persönlich an einer Pressekonferenz über ein gelungenes Atomexperiment berichtete, katapultierte die Story auf die Titelseiten vieler Zeitungen rund um den Globus. War es tatsächlich möglich, dass Argentinien ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen war, der die Welt fundamental verändern sollte, ähnlich wie der Buchdruck oder die Dampfmaschine?

«Mussolini der Pampa»

Spekulationen schossen ins Kraut. Es wurde erwogen, ob Argentinien, ein Land mit Uranvorkommen, nicht doch danach strebe, zur Atommacht zu werden. In der Wissenschaft dagegen überwog die Skepsis: Über das angeblich erfolgreiche Experiment war nichts Konkretes bekannt. Allein schon eine Wasserstoffbombe zu zünden, war eine technische Herausforderung, die damals noch keinem Staat gelungen war.

Noch weitaus anspruchsvoller war es, den Fusionsprozess so zu kontrollieren, dass die dabei entstehende Energie friedlich genutzt werden konnte. Ob die Menschheit je über eine solche Technologie würde verfügen können, stand damals noch buchstäblich in den Sternen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA, die Sowjetunion, Frankreich und Grossbritannien hochqualifizierte deutsche Rüstungsexperten und Ingenieure in ihre Länder gelockt. Da die Besatzungsmächte die Emigration aus Deutschland streng kontrollierten, war es für Länder, die nicht zum Kreis der grossen Siegermächte gehörten, weit schwieriger, die begehrten Spezialisten für sich zu verpflichten.

Argentinien hatte den Vorteil, nicht nur bei gesuchten Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele, sondern auch bei belasteten deutschen Wissenschaftern und Ingenieuren als attraktive Destination zu gelten: Obwohl das Land fast bis Kriegsende neutral geblieben war, hatten die Sympathien der militärischen und politischen Eliten mehrheitlich bei Hitlerdeutschland gelegen. Dies traf auch auf den Anfang 1946 zum Präsidenten gewählten Juan Perón zu. Von seinen Gegnern wurde er oft als «Mussolini der Pampa» verspottet.

Unbegrenzt viel Energie

Tatsächlich gelang es Argentinien, eine bedeutende Anzahl deutscher Experten zu rekrutieren. Der prominenteste war der Flugzeugkonstrukteur Kurt Tank. In Deutschland wurde Tank, der bereits 1932 der NSDAP beigetreten war, nach dem Krieg mit einem Berufsverbot belegt, deshalb emigrierte er 1947 unter falschem Namen über Skandinavien nach Argentinien. Dort wirkte er federführend bei der Entwicklung des Jagdflugzeugs Pulqui II. mit, dessen fünf Prototypen Perón der Öffentlichkeit gern als Beweis für den Erfolg seiner zukunftsgerichteten Industrialisierungspolitik präsentierte.

Kurt Tank war es auch, der den argentinischen Präsidenten auf Ronald Richter aufmerksam machte. Richter war 1909 in Falkenau an der Eger geboren, einem Ort, der zu Österreich-Ungarn gehört hatte und nach dem Ersten Weltkrieg der Tschechoslowakei zugeschlagen wurde. Er hatte in Prag Physik studiert und war während des Krieges, als er an einem Teilchenbeschleuniger arbeitete, dem berühmten Flugzeugkonstrukteur begegnet.

Tank war begeistert von Richters Idee, Flugzeuge dereinst mit nuklear betriebenen Motoren auszurüsten. Da Argentinien vergeblich versucht hatte, namhafte deutsche Atomphysiker (unter anderem Werner Heisenberg) anzuwerben, wollte Perón den ihm empfohlenen Richter, gegen den in Deutschland nichts vorlag und der daher frei reisen konnte, unbedingt möglichst rasch kennenlernen.

1948 kam es zur ersten Begegnung der beiden Männer, die sich auf Anhieb ausgezeichnet verstanden. Richter legte dem argentinischen Präsidenten seinen Plan dar, mit dem Bau von «kleinen Sonnen» praktisch unbegrenzt viel kostengünstige Energie zu gewinnen. Von dieser Idee elektrisiert, meinte Perón, ein Genie entdeckt zu haben.

Eine Insel für die Forschung

Er träumte davon, mit Richters Hilfe Argentinien zu einer starken Industriemacht und weltweit angesehenen Wissenschaftsnation zu entwickeln. Zu einem Staat, der weder kommunistisch noch kapitalistisch war, sondern seinen eigenen, dritten Weg gehen würde. Er machte Richter zum argentinischen Staatsbürger und übertrug ihm ein Forschungsprojekt, das mit finanziellen Mitteln ausgestattet war, von denen andere Wissenschafter im Lande nur träumen konnten.

Zunächst wurde Richter in der argentinischen Universitätsstadt Córdoba ein Laboratorium zur Verfügung gestellt. Als es dort nach einigen Wochen zu einem Brand kam, der laut einem Polizeireport durch einen Kurzschluss verursacht worden war, interpretierte Richter den Zwischenfall als Sabotage oder Spionageversuch und machte klar, unter den gegebenen Umständen sei es ihm unmöglich, erfolgreich zu forschen.

Perón willigte ein, für Richters Projekt einen angemessenen Standort zu suchen. Möglichst abgelegen und gesichert, vergleichbar mit dem Forschungszentrum Los Alamos in New Mexico, wo während des Zweiten Weltkriegs das Manhattan-Projekt, das amerikanische Atomwaffenprogramm, durchgeführt wurde. In Patagonien, 1400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, wurde man fündig.

Die nicht ganz einen Quadratkilometer grosse Insel Huemul im Lago Nahuel Huapi liegt etwas mehr als einen halben Kilometer vor San Carlos de Bariloche, dem heutigen Zentrum des argentinischen Wintersports. Für Richters Geheimprojekt wurde Huemul zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Aus dem kleinen Naturparadies wurde fast über Nacht eine riesige Baustelle.

Dicke Mauern

Bis zu 400 Menschen arbeiteten auf der Insel, und sie mussten den Eindruck haben, an einer ganz grossen Sache mitzuwirken: Es waren vor allem Soldaten, Maurer, Zimmerleute, Elektriker, Bauingenieure, aber auch Köche, kaufmännische Angestellte, dazu zwei Forschungsassistenten, die ihrem Chef zur Seite standen.

In wissenschaftlicher Hinsicht lief auf der Insel allerdings eine One-Man-Show ab: Ronald Richter dirigierte sein Projekt ganz allein und schaltete und waltete nach Belieben. Er richtete mit der ganz grossen Kelle an: Unmengen von Zement mussten herangeschleppt werden, um kompakte Gebäude mit dicken Mauern zu erstellen. Als Perón und seine Frau Evita ein Jahr nach Projektbeginn bei einer Kurzvisite die Insel besichtigten, waren sie vom Fortschritt der Bauarbeiten beeindruckt.

Allerdings verlief nicht alles gradlinig. Als das mächtige Hauptgebäude für den Reaktor fertiggestellt war, revidierte Richter seine Pläne: Die ganze Anlage sollte unterirdisch gebaut werden. Doch nur wenige Monate später kamen ihm Zweifel, und er hielt es nun für klüger, den Reaktor in einer entlegenen Wüste zu errichten. Flüge wurden organisiert, um aus der Luft einen geeigneten Standort ausfindig zu machen. Schliesslich wurden die Arbeiten aber doch auf Huemul weitergetrieben.

Das Forschungszentrum auf der Insel Huemul wurde mit den neuesten technischen Instrumenten ausgestattet: links der Bau des ersten Reaktors, rechts Ronald Richter in der Steuerungsanlage.

Die Menschen in Bariloche staunten über all die Kisten, die fast täglich aus der ganzen Welt ankamen und auf die Insel verfrachtet wurden. Richter bestellte die neueste technische Ausrüstung, die er auftreiben konnte und die ihm nützlich erschien – und Perón zahlte. Es gab zwar eine vom Präsidenten eingesetzte wissenschaftliche Kommission, die das Huemul-Projekt begleiten sollte, aber darin sass kein einziger Experte in Kernphysik – es war ein reines Abnickergremium.

Nur noch ein paar Monate . . .

Wann immer sich Perón nach dem Stand der Forschung erkundigte, sprach Richter von grossartigen Fortschritten. Am 16. Februar 1951 dann schickte Richter dem ungeduldigen Präsidenten die Nachricht, der entscheidende Durchbruch sei geglückt. Die Theorie sei im Experiment bestätigt worden.

Einen Monat später trat der sichtlich euphorisierte Perón vor die Medien und verkündete die Sensation. Einige Tage darauf wurden Richter in Buenos Aires mit grossem Pomp die Juan-Perón-Medaille und ein Ehrendoktortitel verliehen. Allerdings musste Perón bald zur Kenntnis nehmen, dass im In- wie im Ausland kritische Stimmen laut wurden, die den vermeldeten wissenschaftlichen Durchbruch infrage stellten. Besonders deutlich äusserte sich Hans Thirring, Professor für theoretische Physik an der Universität Wien.

In der Zeitschrift «United Nations World» schrieb er: «Mit dem Problem der Erzeugung von Kernkettenreaktionen (nuclear chain reactions) auf thermischem Wege beschäftigen sich die besten Physiker der Welt schon lange vergeblich, obwohl ihnen ein umfangreiches experimentelles und theoretisches Rüstzeug zur Verfügung steht. Von Richter dagegen ist während der zwei Jahrzehnte, die seit seinem Studium vergangen sind, nicht eine einzige wissenschaftliche Leistung in der Fachwelt bekannt geworden.»

Nicht nur über Richters wissenschaftliche Leistungen, sondern auch über seinen Charakter wusste Thirring wenig Schmeichelhaftes zu berichten. Schon während des Studiums soll Richter von einer ganz grossen wissenschaftlichen Idee geschwärmt haben. Thirring fasste seine Einschätzung des Huemul-Projekts anhand von prozentualen Wahrscheinlichkeiten so zusammen:
a) Perón ist dem Gerede eines sich selbst täuschenden Phantasten aufgesessen: 50 Prozent;
b) Perón ist einem raffinierten Schwindler aufgesessen: 40 Prozent;
c) Perón versucht mit Richters Hilfe, die Welt zu bluffen: 9 Prozent;
d) die Behauptungen Richters bestehen zu Recht: 1 Prozent.

Scheinwerfer und Patrouillenboote

Richter ging zum Gegenangriff über und schrieb der «United Nations World», der Artikel Thirrings enthalte leider keine Fakten, lediglich Infamie. Thirring sei ein typischer Lehrbuchprofessor mit einem starken wissenschaftlichen Minderwertigkeitskomplex. Gegenüber Perón, dem Thirrings Prozentzahlen zweifellos auch zu Ohren gekommen waren, rief Richter immer wieder in Erinnerung, seine Forschung könne nur gelingen, wenn man ihm vertraue.

Unausgesprochen schwang in Richters Stellungnahmen stets die Warnung mit, er könne seine Tätigkeit gegebenenfalls auch in einem anderen Land fortsetzen. Für Perón war das ein Horrorszenario. Also hielt er an Richter fest und sorgte dafür, dass dieser zumindest in Argentinien unantastbar blieb. Der Schützling dankte es dem Präsidenten, indem er ihm prophezeite, dank dessen Weitsicht werde sich das Huemul-Projekt zu einem der weltweit führenden Forschungszentren entwickeln.

Nachdem im Frühjahr 1951 in die Welt hinausposaunt worden war, der grosse Wurf sei gelungen, wäre der nächste logische Schritt eine Demonstration des Erreichten gewesen. Doch damit wollte Richter noch zuwarten, um seine Technik zu perfektionieren. Immer wieder bekam Perón von ihm zu hören, alles entwickle sich äusserst erfolgreich. Es dauere aber noch einige Monate, bis eine Vorführung stattfinden könne.

Die Monate verstrichen, ohne dass Richter den praktischen Beweis für seine Theorie lieferte. Von Mal zu Mal wurde Perón vertröstet, die Sache brauche noch etwas mehr Zeit. Dagegen baute Richter die Sicherheitsvorkehrungen massiv aus: den Schutz gegen Spionage und Sabotage. Riesige Scheinwerferanlagen leuchteten nachts jeden Winkel der Insel ab, Patrouillenboote sorgten Tag und Nacht dafür, dass sich niemand Huemul nähern konnte.

Scheitern ist keine Option

Perón, der das Prestigeprojekt zur Chefsache erklärt hatte, wurde zunehmend unruhig. Er vermied es aber lange Zeit, Richter allzu stark unter Druck zu setzen. Nach alldem, was angekündigt und investiert worden war, war ein Scheitern schlicht keine Option.

Eines Tages war Peróns Geduld dann doch aufgebraucht: Er verlangte dezidiert eine Vorführung vor Experten. Richter fand das eine sehr gute Idee, liess aber wissen, dass er noch ein wenig Zeit brauche, um die bestellte, mehrere Meter hohe und fünfzig Tonnen schwere Induktionsspule in der Versuchsanlage zu installieren.

Im Spätsommer 1952 liess sich die verlangte Demonstration schlicht nicht mehr länger aufschieben. Perón reiste allerdings nicht selbst an, sondern schickte ein aus fünf ausgewählten Wissenschaftern und einigen Parlamentariern bestehendes Expertenteam nach Bariloche. Anfang September wurde die Delegation von Richter empfangen.

Zunächst erklärte er den Besuchern, worum es ihm ging, und zeigte ihnen dann, was auf der Insel unter seiner Leitung gebaut worden war. Das war vor allem für die wissenschaftlichen Laien der Delegation beeindruckend. Ein solches Sammelsurium moderner technischer Apparaturen in verschiedenen Laboratorien, die durch dicke Mauern geschützt waren, hatten sie vorher höchstens in einem der damals noch raren Science-Fiction-Filme gesehen.

Die Laien waren beeindruckt, die Fachleute stellten Fragen: der Reaktor auf der Insel Huemul (links) und eine Induktionsspule des Instituts.

Der grosse Knall

Dann liess es Richter ein erstes Mal spektakulär knallen – ohne dass die Besucher vorher gewarnt worden waren. Der Knall war die Folge eines von ihm erzeugten Lichtbogens in einem hochinduktiven Gleichstromkreis. Beeindrucken liessen sich davon allerdings nur die Parlamentarier. Die Wissenschafter begannen, mit Richter die Versuchsanordnung zu diskutieren.

Schon sehr rasch bekamen sie dabei den Eindruck, einen Phantasten, wenn nicht gar einen Verrückten vor sich zu haben. Für die folgenden Tage wurden zusätzliche Experimente vereinbart, bei denen die Besucher ihre eigenen mitgebrachten Messinstrumente einsetzen wollten. Richter bereitete alles für den ultimativen Knall vor. Nach der Zündung zeigte Richter seine Auswertung des Versuchs auf einer Fotoplatte: eine abweichende Linie. Für ihn war sie der Beweis seiner Theorie. Die Geräte der Experten dagegen zeigten nichts an!

Die Mitglieder des Expertenteams waren fassungslos. Das sollte die Frucht des Einsatzes von Dutzenden von Millionen US-Dollar sein? Nachdem Perón zur Kenntnis gebracht worden war, was sein Expertenteam auf Huemul erlebt hatte, blieb dem argentinischen Präsidenten keine andere Wahl, als Richter fallenzulassen. Nun ging es nur noch darum, die peinliche Angelegenheit möglichst diskret aus der Welt zu schaffen.

Nach dem kläglichen Scheitern des Huemul-Projekts blieben realistischerweise nur noch zwei der von Thirring genannten vier Möglichkeiten übrig: Richter war ein Phantast oder ein Schwindler! Allerdings sollte die Möglichkeit nicht ausser acht gelassen werden, dass er beides war.

Einiges deutet darauf hin, dass Richter als Phantast gestartet war, angetrieben von einer Idee, aber mit Scheuklappen ausgestattet, die sein Gesichtsfeld massiv einschränkten und ihn nur das zur Kenntnis nehmen liessen, was seine Theorie seiner Ansicht nach stützte. Irgendwann ahnte er wohl, dass er sich bei der Umsetzung seiner Vision auf einem Holzweg befand.

Der Traum vom Ruhm

Liess es sein Charakter nicht zu, sich das Scheitern einzugestehen? Oder hatte er sich in eine so ausweglose Situation hineinmanövriert, dass es ihm von einem bestimmten Punkt an nur noch darum ging, den Schein so lange wie möglich zu wahren? Immerhin führte er in Patagonien zusammen mit Frau und Tochter ein privilegiertes Dasein.

Mit dem Platzen des argentinischen Atomtraums verschwand Richter augenblicklich von der Bildfläche. Er verliess das Land, zeitweise soll er in Libyen gelebt haben. Später kehrte er nach Argentinien zurück, wo er 1991 starb. Bis zu seinem Tod soll er daran festgehalten haben, seine Experimente seien erfolgreich verlaufen. Ob er tatsächlich selbst von seiner Idee besessen war, oder ob er sich vor dem Vorwurf schützen wollte, ein Betrüger zu sein?

Wie auch immer: Der Phantast wie der Schwindler braucht ein Gegenüber, an dem er sich in einer Art Komplizenschaft aufbauen kann. Ronald Richter fand in Juan Perón jemanden, der wie er den Traum persönlicher Grösse verwirklichen wollte und über die finanziellen Ressourcen verfügte, die es braucht, um Kernforschung betreiben zu können. Von einer gemeinsamen Hoffnung auf Ruhm getragen, lebten die beiden eine Art symbiotische Beziehung – bis zum unvermeidlichen Knall.

Was von den argentinischen Atomträumen blieb, ist noch heute auf der Insel Huemul erkennbar: Betonruinen. Immerhin, die Instrumente und Anlagen, die Richter angeschafft hatte, konnten weiterverwendet werden. Sie wurden aufs Festland transportiert und bildeten die Grundausstattung für das 1955 gegründete Centro Atómico Bariloche, das Forschungs- und Entwicklungszentrum der argentinischen Atomenergiekommission, das bis heute internationales Ansehen geniesst.

Roland Aegerter ist Historiker und lebt in Zürich.

Exit mobile version