Donnerstag, Januar 16

24. August 1929: Bewaffnete Muslime fallen in Hebron ein. Mehr als sechzig Männer, Frauen und Kinder werden getötet. Die amerikanische Journalistin Yardena Schwartz erinnert an das heute vergessene Massaker.

An allem sind die Juden schuld? Am 24. August 1929 überfielen 3000 Muslime, bewaffnet mit Schwertern und Äxten, den jüdischen Bezirk von Hebron im britisch-kontrollierten Mandatsgebiet Palästina. Sie brüllten: «Palästina gehört uns, und die Juden sind unsere Hunde.» Sie vergewaltigten Frauen und Mädchen, töteten Kinder in den Armen ihrer Mütter, schändeten die Leichen von Rabbinern. Sie stahlen, was sie fortschleppen konnten.

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67 wehrlose Männer, Frauen und Kinder wurden massakriert. Und die Briten? Sie brachten die überlebenden Juden aus der Stadt und verbaten ihnen, Hebron je wieder zu betreten. Die Stadt Abrahams, wo die Stammväter und -mütter beerdigt sind, war zum ersten Mal in der Geschichte «judenrein».

In «Ghosts of a Holy War» beschreibt Yardena Schwartz, eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Journalistin, dieses blutige Pogrom. Sie hat sich lange vor dem 7. Oktober 2023 mit dem fast vergessenen Massaker beschäftigt. Ein Zufall hatte ihr die Briefe von David Shainberg an seine Familie in Tennessee zugespielt. Der 22-Jährige wollte gegen den Willen seiner Familie an der Talmudschule in Hebron die Thora studieren, in unmittelbarer Nähe zum Grab der Patriarchen.

Codename «Al-Aqsa Flood»

Die Autorin flicht die Briefe des jungen Frommen gekonnt in ihr Buch ein. Und sie hat lange vor Ort recherchiert. Das Massaker von 1929 nennt sie den «Ground Zero» des bis heute andauernden Konflikts. Von 1929 zieht sie eine direkte Linie zum Überfall der Hamas in Südisrael am 7. Oktober 2023. «Die Kräfte, welche die Araber 1929 dazu trieben, ihre jüdischen Nachbarn zu erschlagen, waren die gleichen wie 2023», schreibt sie.

Was war geschehen? Die Killer von 1929 waren auf die Fake News hereingefallen, wonach die Juden die Al-Aksa-Moschee zerstören wollten. Der Überfall der Hamas am 7. Oktober hatte folgerichtig den Codenamen «Al-Aqsa Flood». Das Buch macht die Parallelen deutlich. Heute wie damals Köpfen, Foltern von Kindern, Verstümmeln von Genitalien, Vergewaltigen. Und Jubel bei den Arabern, die die Mörder als Helden verherrlichen und ihre Grausamkeiten zugleich feiern und verneinen.

Die Briten antworteten auf die Greuel, indem sie die jüdische Einwanderung drosselten. Sie wollten Ruhe. Heute will die ganze Welt Ruhe und fordert eine Zweistaatenlösung, obwohl die Palästinenser alles wollen: «From the river to the sea».

Bis zur siebten Stufe

1929 gab es kein Israel. Die alteingesessenen sephardischen Juden von Hebron, die mit ihren Nachbarn Kaffee tranken, Backgammon spielten und Geschäfte machten, waren keine Zionisten. Thora-Schüler wie David Shainberg hielten den Zionismus für eine «wertlose, antijüdische Sache». Ihnen ging es um die Erleuchtung, welche die Nähe zu Abrahams und Isaaks Grab ihnen verhiess. Das Grab der Patriarchen, das beiden Religionen heilig ist, durfte die jüdische Minderheit freilich nur bis zur siebten Stufe der äusseren Treppe betreten. Keinen Schritt weiter!

Nach dem Sechstagekrieg 1967 kam Hebron unter israelische Kontrolle. Als sich einige der Überlebenden von einst auf den Weg zum Grab machten, konnten sie nicht fassen, dass sie an der siebten Stufe nicht mehr haltmachen mussten. Israel verbot aber die Rückkehr der Familien, deren Häuser leer standen. Es keimte die zarte Hoffnung auf Verständigung.

Schwartz nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine sorgfältig recherchierte Reise durch den hundertjährigen Krieg der beiden Völker. Sie beschreibt den gescheiterten Versuch der Briten, die Interessen der Juden und jene der Araber miteinander zu versöhnen. Sie erzählt von der Gründung des Staates Israel, von der ausgestreckten Hand der Juden und der Verweigerung der arabischen Nachbarn. Die Vernichtung des Judenstaates stand weiterhin auf dem Programm.

Die Wurzeln der Hamas-Ideologie

Nach dem Sechstagekrieg erklärte Aussenminister Abba Eban: «Alles ist Verhandlungssache.» Verteidigungsminister Moshe Dayan sagte in der BBC: «Wir warten auf einen Anruf der Araber.» Die Arabische Liga antwortete mit dem dreifachen Nein von Khartum: «Kein Frieden, keine Anerkennung und keine Verhandlungen mit Israel.» Die Chance des Uno-Teilungsplans von 1947, der den Palästinensern zum ersten Mal Selbstbestimmung verschafft hätte, wurde nie ergriffen.

Die Nachforschungen und Interviews, die Schwartz auf beiden Seiten führte, enthüllen, wie zentral das religiöse Element in beiden Massakern war, inklusive des Haders um den Tempelberg und die Klagemauer. Wer hat welchen Zugang zu den heiligen Stätten? Doch auch die realpolitischen Aspekte des Blutbades vom 7. Oktober ordnet die Autorin geschickt ein als Yahya Sinwars «vermeintliches Ziel, bevorstehende Friedensvereinbarungen Israels mit Saudiarabien zu untergraben».

Die bedeutende Rolle, die der Grossmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, für die Zustände in Palästina spielt, zeigt Yardena Schwartz als Brücke vom Damals zum Heute. Wie kein Autor zuvor zeichnet sie die historische Verantwortung des Grossmuftis für die jihadistische Ideologie der Hamas nach.

Sie seziert seinen antijüdischen Fanatismus und unerhörten Einfluss auf die arabische Meinungsbildung. Der Hitler-Freund Husseini wurde im Berliner Luxusexil früh in die Endlösung eingeweiht. Hitler gewährte dem Grossmufti eine prächtige monatliche Apanage, dazu Häuser, Hotelsuiten und Geld für den Unterhalt seines Büros.

Das Privathaus einer jüdischen Familie, die massakriert wurde (links), ein Soldat im jüdischen Spital von Hebron, das von bewaffneten Muslimen zerstört wurde.

Muslime für die SS

Dieser revanchierte sich mit radikalen Radiosendungen von Berlin ins Morgenland mit Aufforderungen wie «Tötet die Juden, wo immer sie sind. Das gefällt Gott, der Geschichte und der Religion.» Er rekrutierte Muslime für die SS, bedrängte die Griechen, Ungarn und Italiener, keine Juden nach Palästina auswandern zu lassen, sondern sie nach Polen zu schicken, in die Konzentrationslager.

Nach dem Ende des Kriegs wurde Husseini von der Uno als Nazikriegsverbrecher gesucht. Doch konnte er stets entkommen. Die Franzosen gaben ihm eine Villa und weigerten sich, ihn an England auszuliefern, weil sie ihre arabischen Beziehungen nicht gefährden wollten. Schliesslich konnte sich Husseini nach Ägypten absetzen. Er wurde als Held gefeiert. Er ist der ideologische Vater eines mörderischen palästinensischen Nationalismus.

Allein für das Kapitel über den Grossmufti gebührt Yardena Schwartz höchster Respekt, weil sie diese Geschichte so spannend aufbereitet hat. Die traurigste Episode betrifft die zwei Dutzend arabischen Familien, die 1929 «ihr Leben riskierten, um wenigstens die Hälfte der Juden in Hebron zu retten». Ein Hoffnungsschimmer der Menschlichkeit? Heute riskieren die Nachfahren dieser guten Nachbarn ihr Leben, wenn sie mit der Autorin reden. «In der palästinensischen Gesellschaft», so Schwartz, «ist das Etikett Kollaborateur ein sicheres Todesurteil.»

Yardena Schwartz: Ghosts of a Holy War. The 1929 Massacre in Palestine that Ignited the Arab-Israeli Conflict. Union Square & Co., New York 2024. 432 S., Fr. 44.90.

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