Dienstag, November 19

Die Vertreibung von Sheikh Hasina kann auch als «stiller» Militärputsch gesehen werden. General Waker-uz-Zaman wacht nun über der Interimsregierung.

Drei Monate ist es her, dass Sheikh Hasina die Flucht ergriffen hat. Eine Militärtransportmaschine hat Bangladeshs «eiserne Lady» am 5. August nach Indien geflogen, wo die Autokratin nun im Exil lebt. Es war der Chef der Armee, General Waker-uz-Zaman, der ihren Rücktritt in einer kurzen Videobotschaft dem Volk verkündete. Hasina, die mit ihrer Partei, der Awami League, seit 2009 das Land Schritt für Schritt seiner demokratischen Institutionen beraubt hatte, hat im Juni Zaman zum Armeechef erklärt. Per Verfassung ist der Armeechef dem Premierminister unterstellt.

Nun ist sie weg. Und er ist noch da. Das steht symbolhaft dafür, welche starke Rolle die Armee in Bangladesh spielt. Es waren schliesslich die Bangalen in der pakistanischen Armee, die 1971 rebellierten und so den bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit des damaligen Ostpakistan lancierten. 29 Mal putschte das Militär in Bangladesh seither, etwa ein halbes Dutzend Mal erfolgreich, je nachdem, wie man zählt.

Kenner der Politik Bangladeshs wie der indische Geostratege Brahma Chellaney sprechen nun davon, dass hinter Sheikh Hasinas Sturz erneut das Militär stecke. Er schreibt deshalb auf der amerikanischen Politikplattform «The Hill» auch von einem «stillen Militärputsch hinter einer zivilen Fassade». Im Vordergrund kämpften Studierende für mehr Gerechtigkeit und Chancen und gegen die Herrschaft einer Elite, die sich unter Premierministerin Hasina schamlos bereicherte. Im Hintergrund aber, so Chellaney, handelte das Militär als letzte und tragende Instanz im Land.

Die Armee verweigerte die Durchsetzung der Ausgangssperre

Sheikh Hasina musste ausser Landes fliehen, weil ihr die Armee, die ihr Regime über Jahre billigte und auch davon profitierte, letztlich die Unterstützung versagt hatte. So hat sich die Militärführung in den schicksalshaften Tagen Anfang August geweigert, eine von der Regierung angeordnete Ausgangssperre durchzusetzen.

Im Zentrum der Entscheidung, der Premierministerin das Vertrauen zu entziehen, steht der 58-jährige Waker-uz-Zaman. Der Vier-Sterne-General wird von den Medien in Bangladesh als Mann mit makellos sauberer Weste beschrieben. Kritik ist nicht zu vernehmen, was aber auch daran liegen könnte, dass eine freie Berichterstattung unter einem autokratischen Regime längst nicht mehr möglich war. Auch ist das Militär in Bangladesh viel mehr als die Gesamtheit der Verteidigungskräfte im Land. Es ist längst ein eigenes Wirtschaftsunternehmen mit einer eigenen Bank. Armeeangehörige haben seit Jahrzehnten überall ihre Finger im Spiel und führen sogar Luxushotels.

Waker-uz-Zaman ist 1985 als Infanterist in die Armee eingetreten und hat sich in den vergangenen knapp vierzig Jahren von einem Rang zum nächsten hochgearbeitet. Bevor ihn Sheikh Hasina zum Armeechef ernannte, arbeitete er als leitender Stabsoffizier im Premierministeramt eng mit Hasina zusammen. Auch persönlich ist Zaman mit Sheikh Hasina verbandelt. Er ist mit ihrer Cousine verheiratet, die wiederum die Tochter eines früheren Armeechefs ist.

Es ist anzunehmen, dass General Zaman auch dank seinen guten Verbindungen in Politik und Armee so eine steile Karriere hingelegt hat. Betont wird, dass er gleich drei Mal die Ehre hatte, die Militärparade am Tag des Sieges zu befehligen. Jeweils am 16. Dezember feiert Bangladesh die Unabhängigkeit von Pakistan.

Bevor Zaman in höhere Funktionen berufen wurde, schickte ihn die Armee ins Ausland. Am renommierten King’s College der Londoner Universität studierte er Verteidigung und Sicherheit. Das Wissen brachte er in die bangalische Armee zurück, wo er für seine Modernisierungsbemühungen mehrfach ausgezeichnet wurde. Er war auch an zwei Blauhelmmissionen beteiligt: in Angola und Liberia. Die Teilnahme an Friedensmissionen, so wird betont, habe sein Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig moralisch handelnde Soldaten für den Schutz der Zivilbevölkerung und letztlich eine zivile und demokratische Ordnung seien.

General ohne politische Ambitionen

Zaman hat sich nach dem Sturz von Sheikh Hasina nie ausführlich zu seiner Rolle als Armeechef geäussert. Nur kurz nach dem Einsetzen der Interimsregierung sagte er, dass er diese unterstütze, komme, was wolle. Seither wacht der General über der «Regierung der Berater», die von Muhammad Yunus angeführt wird, dem Friedensnobelpreisträger von 2006, und in der auch Anführer der Studentenproteste sitzen. Politische Ambitionen hat Zaman angeblich nicht, vielmehr verstehe er sich als Mann im Hintergrund, der die Fäden zusammenhält.

Zaman reiste dennoch kürzlich als Vertreter des Landes ins Ausland. Das ist für einen Armeechef zwar keine Seltenheit. Zaman traf aber nicht nur Militärs der Vereinigten Staaten, sondern führte gerade mit Kanada auch Gespräche über die Zahl der Visa für Studierende.

Von 1975 bis 1990 war Bangladesh bereits fest in den Händen der Militärs, in einer schwierigen politischen Transitionsphase 2007 noch einmal. Dem General scheint bewusst zu sein, wie fragil das soziale Gefüge in dem Land ist und wie wenig es braucht, dass die Gesellschaft in Anarchie abdriftet. Dabei ist nicht nur die korrupte Politik das Problem. Die Korruption hat sich längst auch durch viele Schichten der Gesellschaft hindurchgefressen. Und die Armee ist da mittendrin, was einen langen Schatten wirft auf Zaman in seiner Rolle als letzter Instanz im Land.

Erst im vergangenen Mai verhängten die USA gegen Zamans Vorvorgänger als Armeechef, General Aziz Ahmed, Sanktionen. Der pensionierte General und seine Angehörigen dürfen nun nicht mehr in die USA einreisen. Aziz wird vorgeworfen, zusammen mit seinen kriminellen Brüdern ein Netzwerk geschaffen zu haben, das unter anderem mit Erpressung Geld verdiente. Auch soll dieses Netzwerk im Auftrag der Premierministerin Menschen beobachtet, weggeschafft und umgebracht haben. Sowohl die Armeeführung als auch General Aziz weisen alle Vorwürfe von sich.

Bereits 2021 haben die USA Sanktionen gegen das Bangladesh Rapid Action Battalion (RAB) verhängt, eine Art paramilitärischer Elitetruppe, die von der Armee geduldet wurde. Dem RAB wurde vorgeworfen, schwere Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es diente der autokratisch regierenden Sheikh Hasina als Todesschwadron, um politische Gegner auszuschalten.

Sanktionen gegen Minister

Kurz vor dem Sturz der Premierministerin lagen weitere Sanktionen in der Luft: Amerikanische Senatoren verlangten, dass auch gegen zwei Minister der Regierung Hasina Sanktionen verhängt würden. Die Regierung wurde offensichtlich immer weniger tragbar. Und so wurde unter General Waker-uz-Zaman beschlossen – so zumindest die Interpretation einiger Beobachter –, die Gelegenheit der Proteste für den «stillen» Militärputsch zu nutzen. Sheikh Hasina hat dem Militär danach vorgeworfen, auf Druck der USA gehandelt zu haben, was wiederum dementiert wird.

Was aber klar ist: Waker-uz-Zaman war es ein Anliegen, dass die Premierministerin am Leben bleibt. Denn vor und während ihrer Flucht nach Indien war bereits ein Mob zum Regierungssitz unterwegs. Einmal auf dem Gelände, haben Hunderte von Personen Hasinas private Sachen durchwühlt, haben ihre teuren Saris mitgehen lassen, ihren Wohnsitz verwüstet und sogar die Fische im Teich gestohlen. Die Masse war ausser sich, und das Militär liess sie gewähren.

Indem General Waker-uz-Zaman Sheikh Hasina ausfliegen liess, hat er verhindert, dass sich ein folgenschweres Drama in der Geschichte Bangladeshs wiederholt. Sheikh Hasinas Vater, Mujibur Rahman, Befreiungskämpfer und erster Premierminister Bangladeshs, wurde 1975 bei einem Armeeputsch ermordet, zusammen mit fast der gesamten Familie. Einzig Hasina und ihre Schwester überlebten, weil sie sich damals gerade in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Sheikh Hasinas politischer Weg ist seither vom Verlangen nach Genugtuung und Rache geprägt.

Die Armee übernimmt Polizeiaufgaben, Offiziere sind Richter

Waker-uz-Zaman befehligt eine 200 000 Mann starke Armee, die nun die Ordnung im Land wiederherstellen soll. Noch immer befindet sich Bangladesh im Ausnahmezustand. Viele Textilfabriken, ein wichtiger Wirtschaftsmotor, sind nach wie vor geschlossen. Viele Polizisten sind nach den Unruhen nicht mehr an ihre Stellen zurückgekehrt, weil sie sich vor Racheakten fürchten. Die Polizei hat sich durch ihr Vorgehen während der Studentenunruhen diskreditiert, indem sie wahllos auf die Protestierenden schoss. Insgesamt starben während der Unruhen rund tausend Personen, Zivilisten und Beamte.

Im September wurde bekannt, dass auch die bangalische Extrem-Bergsteigerin Shayla Bithi beim Überqueren einer Fussgängerbrücke in einem gehobenen Viertel in der Hauptstadt Dhaka mitten am Tag angegriffen wurde. Männer zerrten sie an ihren Haaren und rissen sie zu Boden. Bithi wurde dabei verletzt. Der Fall wurde bekannt, weil Bithi in Bangladesh alle kennen. Der Überfall, wird vermutet, galt ihr als Frau. Die meisten Übergriffe bleiben aber in den Medien unerwähnt. Die Menschen, insbesondere Frauen, so ist zu vernehmen, machten sich grosse Sorgen.

Während der fünf Wochen dauernden Unruhen im Juli und August wurden im ganzen Land rund 450 Polizeiposten geplündert. Es heisst, mehrere tausend Waffen seien gestohlen worden. Und dies nicht von unschuldig wirkenden Studierenden, die für ihre Zukunft kämpfen, sondern von Gruppierungen mit handfesten Interessen. Zu jenen, die der Armeeführung am meisten Sorgen bereiten müssen, gehören gewaltbereite Islamisten, die in der Stunde des Chaos ihre Chance wittern.

Es kommt nach und nach ans Licht, dass auch Anhänger des Hizb-ut-Tahrir sich in grosser Zahl unter den protestierenden Studenten befanden. Die panislamische, fundamentalistische Organisation wurde 2009 in Bangladesh verboten. Ihre Anhänger fordern, dass Bangladesh, ein säkulares Land mit 170 Millionen Einwohnern, unter ihnen die meisten Muslime, ein islamischer Staat wird mit der Scharia als Rechtsgrundlage.

Um die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen, nimmt die Armee nun vollumfänglich Polizeiaufgaben wahr. Zu schützen gilt es insbesondere die Minderheit der Hindu. Gerade sie wurden von muslimischen Extremisten bereits verschiedentlich angegriffen.

Die Übergangsregierung hat inzwischen auch Armee- und Luftwaffenoffiziere befähigt, vorübergehend als Richter zu amten. Spätestens Ende 2025 sollen wieder Wahlen stattfinden. Bis dann agiert eine Regierung ohne Verfassungsgrundlage, aber mit dem Segen und der vollen Unterstützung der Armee – angeführt von General Waker-uz-Zaman.

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