Dienstag, Oktober 8

Der Schriftsteller und Musiker Sven Regener hat ein Buch über Humor in der Literatur geschrieben. Es ist angenehm unkomisch.

Wie witzig muss ein Essay über Humor sein? Überführt sich der Autor der Humorlosigkeit, wenn er nicht da und dort Lachangebote einstreut, um zu beweisen, dass er seinen Gegenstand nicht nur vollinhaltlich erfasst hat, sondern ihn auch ganz praktisch bedienen kann? Oder ist der billig absichtsvolle Gebrauch der Mittel schon eine Schmälerung ihrer Möglichkeiten?

Der Autor Sven Regener, der auch Teil der Band Element of Crime ist, hat ein Buch geschrieben, das heisst: «Zwischen Depression und Witzelsucht. Humor in der Literatur». Es ist angenehm unkomisch.

Witzelsucht ist nicht Regeners Sache. Es gibt hier keinen klamaukigen Überbietungsgestus, sondern ein ernsthaftes Nachdenken über das Komische als Teil der Menschlichkeit schlechthin.

Prophylaktisch lachen

An einem entscheidenden Punkt sind Kunst und Humor verschwistert. Sie haben eine originäre Funktion: «Sie schaffen Distanz zur eigenen Existenz». Zu dieser Erkenntnis gelangt der Schriftsteller und Musiker Sven Regener auf Seite 16 seines Essays. Die Pointe dabei: Regener denkt über sein Thema nach und muss erkennen, dass es auch eine Distanz zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstbild gibt.

Spätestens seit dem Bestseller «Herr Lehmann» gilt der Autor als Humorschriftsteller. Bei Lesungen aus seinen Büchern führt das dazu, dass das Publikum auch an den traurigsten Stellen lacht. Vielleicht sogar prophylaktisch, um nicht in Verdacht zu geraten, einen besonders subtilen und im Traurigen versteckten Witz nicht verstanden zu haben.

Sein grosses Publikum hat Regener seit einer Sendung des «Literarischen Quartetts», in dem Marcel Reich-Ranicki das Romandebüt «Herr Lehmann» mit der Bemerkung lobte, er habe sich damit nicht unter seinem Niveau unterhalten. Die sich später noch zur Buchtrilogie weitende Geschichte um den Berliner Lebensverlierer und Kneipenkellner Frank Lehmann ist ein Beispiel dafür, was Humor in der Kunst sein kann und wie er psychologisch wirkt.

Sieht man das Scheitern dieser gerade wegen ihrer Trotteligkeit sympathischen Figur, dann lacht man nicht nur über diese. Weil es leichtfällt, sich mit ihr zu identifizieren, lacht man auch über sich selbst.

Mobbing im deutschen Fernsehen

Das ist Humor, wie ihn Sven Regener mag. Was er nicht mag: Mobbinghumor auf Kosten anderer. Nicht ganz so schlimm ist «Humor der Kategorie flach», «Zoten, Kalauer, Blödeleien»: «Hier lacht der Lachende zur Triebabfuhr, zur Angst- und Aggressionsbewältigung frönt er einem regressiven, polymorph-perversen Vergnügen, und das ist sein gutes Recht und nützlich und heilsam.»

Dass in der deutschen Humorproduktion, auf Kabarettbühnen und im Fernsehen, Flach- und Mobbingwitze eine unverwüstliche Kategorie darstellen, muss Sven Regener nicht weiter ausführen. Das Terrain der Kunst ist hier ohnehin verlassen. Lieber wendet er sich in seinem Essay, dessen Grundlage eine Poetikvorlesung an der Universität Kassel war, dem Tragikomischen in den Künsten zu. Shakespeares absurde Nebenfiguren, die selbst den Königsdramen eine Fallhöhe ins Humoristische geben, interessieren ihn genauso wie die Opera buffa. Wie ist das gemacht, fragt sich Regener. Wie kommt die Conditio humana, ein Urzustand menschlicher Lächerlichkeit, in die Kunst?

Tragikomik muss sich aufspannen zwischen zwei Polen der Verzweiflung: der Depression und der Witzelsucht. «Der Depressive wird von seinen Gefühlen überwältigt und erdrückt, der Witzelsüchtige tötet sie zwanghaft und fortwährend ab», schreibt Sven Regener. In seiner Kreuzberger Kneipe, die «Einfall» heisst, würde Herr Lehmann das nicht so sagen. Er ist ja auch kein Psychopathologe. Er ist die Erfindung eines Autors, der weiss, wie man die Menschen nehmen muss: mit Humor.

Sven Regener: Zwischen Depression und Witzelsucht. Humor in der Literatur. Verlag Galiani Berlin, Berlin 2024. 96 S., Fr. 19,90.

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