Sonntag, Oktober 13

Das Engagement Jürgen Klopps bei Red Bull hat scharfe Reaktionen hervorgerufen. Doch die Entrüstung ist unverhältnismässig.

Wer in diesen Tagen die Sportseiten deutscher Zeitungen und auch Internetportale studiert, der könnte den Eindruck gewinnen, dort werde über eine Staatsaffäre debattiert. Dabei geht es doch eigentlich nur um einen Wechsel, wie er im Fussball immer wieder geschieht: Der Fussballtrainer Jürgen Klopp hat sich nach nahezu neun Jahren beim FC Liverpool entschieden, das Angebot des Red-Bull-Konzerns als globaler Fussballchef zu akzeptieren.

Dennoch ist das Geschrei gross, der Coach wird, vornehmlich in Deutschland, als Verräter an der guten Sache dargestellt: Im Fall Jürgen Klopp und Red Bull kommen immer mehr Peinlichkeiten ans Tageslicht. Es scheint, als habe der selbsternannte Fussballromantiker die Öffentlichkeit über einen langen Zeitraum hinweg «angeschwindelt», schreibt etwa das Fussballmagazin «11 Freunde», und es vertritt gewiss keine Minderheitsmeinung. Den Wechsel auf die dunkle Seite der Macht: Den hat Klopp in den Augen vieler Anhänger und Kommentatoren vollzogen.

Früher gab es den «linken» und den «rechten» Fussball

Es ist müssig, über die Legitimität der Entscheidung des Trainers zu diskutieren, denn letztlich geht es in dieser Diskussion um etwas ganz anderes: um die eigenartige Vorstellung, dass es so etwas wie einen guten und einen bösen Fussball gibt, einen, der Bewunderung verdient, und den anderen, der am besten verdammt werden soll. Der Red-Bull-Konzern ist für all diejenigen, die dem Fussball romantische Gefühle entgegenbringen, der Inbegriff des Bösen.

Neu ist diese Dichotomie keineswegs. Und im Grunde ist der ganze Fussball so aufgebaut, Fussball lebt von Rivalität. Die Unterscheidung zwischen dem guten und dem bösen Fussball geht allerdings im Wesentlichen auf den einstigen argentinischen Nationaltrainer César Luis Menotti zurück. Menotti, ein Kettenraucher, dem stets die Aura des intellektuellen Fussballstrategen anhaftete, unterschied zwischen links und rechts im Fussball.

Der «linke» Fussball stand für Progressivität, der «rechte» war seiner Ansicht nach eine Sache der Reaktionäre. Linker Fussball war offensiv, rechter dagegen defensiv. Spielfreude gegen Destruktion: Auf diese Formel lässt sich Menottis Idee bringen, der er lediglich einen politischen Anstrich gab.

Mit dieser einfachen Theorie liessen sich erstaunliche Dinge anstellen. Der Fussball wurde plötzlich nicht nur zum Gegenstand ästhetischer Deutungen, wie sie Protagonisten wie Johan Cruyff und Günter Netzer widerfuhr, sondern es ging auf einmal um Systeme, die weit über den Fussel hinausreichten. Und so wurden Real Madrid und der FC Barcelona mit dem Spielmacher Johan Cruyff ebenso als Antagonisten nach diesem Schema begriffen wie Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern.

Was wäre Milan ohne Berlusconi gewesen?

Das Ärgerliche an der Deutung war nur: Sie hielt nicht lange, da die Protagonisten sich zwischen diesen Vereinen durchaus bewegen konnten, und, weitaus wichtiger: Der Fussball war, zumindest von seinem Unterhaltungswert her, erstaunlich resistent gegen ideologische Denkmuster. Man denke nur an die AC Milan unter Arrigo Sacchi oder Dynamo Kiew unter Valeri Lobanowski. Milan wäre ohne den Mäzen Silvio Berlusconi nicht das Team gewesen, das weit über Italien hinaus begeisterte, und der Europacup-Sieger aus Kiew war letztlich doch ein Repräsentant der Sowjetunion.

An die Stelle soziopolitischer Deutungen ist mittlerweile ein anderes Muster getreten. Inzwischen wird bei Fussballfreunden, die Wert auf einen Distinktionsgewinn legen, gefragt, ob die Hintermänner eines Klubs oder seine Financiers satisfaktionsfähig seien – oder ob die Historie den Fans in den Kram passe. Und im Fall von RB Leipzig ist die Haltung ebenso ablehnend wie gegenüber der TSG 1899 Hoffenheim, die ohne den SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp nie den Weg in die Bundesliga gefunden hätte.

Sicher kann man sich gut und gerne an diesen windschiefen Konstruktionen stossen, die vieles haben, nur nicht die Tradition, um die es vielen Fussballfans geht. Dass aber unentwegt jeder Anlass hergenommen wird, um hemmungslos zu polemisieren, hat dann doch eine etwas neurotische Note.

Besonders deutlich wird dies beim 1. FC Union, dem sogenannten Arbeiterklub aus dem Berliner Osten, wenn es gegen den Rivalen RB Leipzig geht. Christian Arbeit, der Union nach aussen vertritt, erklärte dies einmal relativ simpel: Mit dem FC Bayern, einem der grössten und reichsten Klubs der Welt, habe man kein Problem, denn dort werde seit einer Ewigkeit Fussball gespielt. An einem Ort wie Leipzig werde aber nur wegen des Investors Fussball gespielt.

Ein solches Argument ist von entwaffnender Klarheit – und wenn man den Konkurrenten derart dämonisiert, hat dies ebenfalls den Vorteil, dass man sich weniger mit den eigenen Widersprüchen beschäftigen muss. So warb der 1. FC Union für das Immobilienunternehmen Aroundtown, ein Engagement, das sich nicht unbedingt mit dem Image des Arbeiterklubs verträgt, zumal Berlin die Folgen der Gentrifizierung auf vielfältige Weise zu spüren bekommt.

Auch der BVB bekam die Wut der Fans zu spüren

Tatsächlich aber gehört Tradition zum Kapital eines Fussballs, der mehr sein will als eine blanke Ergebnismaschinerie. Und deshalb attackiert auch der Dortmunder Klubchef Hans-Joachim Watzke, der Jürgen Klopp stets als treuen Freund rühmte, das Leipziger Konstrukt hart, weil dort Fussball gespielt werde, um «eine Dose zu performen». Nur ist Fussball auch in Dortmund kein Selbstzweck, was der Unternehmer Watzke natürlich weiss. Auch sein Handeln kommt nicht ohne Kompromisse aus; und Fans sind schnell bei der Hand, wenn es darum geht, «Ausverkauf» zu rufen. Das war auch in diesem Frühjahr so, als die Borussia einen neuen Sponsor präsentierte, der den Fans nicht genehm war: den Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall.

Romantik ist eine ziemlich deutsche Angelegenheit, aber sie hat eben auch ihre düsteren Seiten. Wer den Fussball der Vergangenheit verklärt, wird sich nicht nur schwertun damit, der Gegenwart gerecht zu werden. Meist enden solche Sentimentalitäten in purem Kitsch. Insofern hat Klopps Wechsel zum RB-Konzern durchaus einen Wert. Er könnte gerade diejenigen, die Klopp nun verdammen, dazu animieren, generell kritischer auf solche Protagonisten zu schauen. Klopp mag für viele Dinge im Fussball die Verantwortung tragen: Für die Verklärung seitens seiner Anhänger ist er nicht zuständig.

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