Die Trump-Regierung setzt um, was sie angekündigt hatte. Was sind realistische Handlungsoptionen und Strategien für die Schweiz, um einerseits den Schaden zu minimieren und andererseits die Krise als Chance zu nutzen?
«Tariff is the most beautiful word in the English language.»
Donald Trump, Präsident der USA, vor dem «Liberation Day» vom 2. April 2025
«This is not a negotiation, this is a national emergency.»
Peter Navarro, Berater des US-Präsidenten, nach dem «Liberation Day»
Die Schweiz ist ein demokratischer, reicher und globalisierter Kleinstaat mitten in Europa. Die Beschaulichkeit der Schweiz wird gegenwärtig von zwei Seiten herausgefordert: Auf der einen Seite durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und damit auf die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur, auf der anderen Seite vom Angriff der USA auf die freie Weltwirtschaftsordnung.
Es geht um nichts weniger als einen epochalen Umbruch. Diktatoren wie Putin und Autokraten wie Trump streben nach «patrimonialer» Machtpolitik: Für sie läuft Führung und Machtverteilung über persönliche Loyalitäten, nicht über staatliche Institutionen.
Der Anschauungsunterricht aus Washington wird täglich geliefert, sei es mit der Ankündigung willkürlicher und rekordhoher Importzölle, der Drohung einer Annexion Kanadas und Grönlands, dem innenpolitischen Druck auf US-Gerichte und die Zentralbank (Fed), Drohungen an die europäischen Bündnispartner sowie aktive Unterstützung rechtsextremer Politexponenten und Parteien wie Alice Weidel (AfD) in Deutschland, Marine Le Pen (RN) in Frankreich, Tommy Robinson in Grossbritannien (Reform UK) und Viktor Orban in Ungarn.
Vom «Liberation Day» zum Schweizer «Wake-up Day»
Es war vorhersehbar, dass Trumps «Liberation Day» vom 2. April, als der US-Präsident weitreichende Zölle ankündigte, zum «Liquidation Day» in den Kapitalmärkten sowie zum «Wake-up Day» für die Schweizer Politik würde. Bedauerlicherweise war die Schweizer Regierung auf die feindliche Rhetorik aus dem Weissen Haus genauso wenig vorbereitet wie auf Russlands Krieg in der Ukraine. Die aktuelle Situation erinnert in fataler Weise an das Debakel mit Credit Suisse, wo selbst zwei Jahre nach dem selbstverschuldeten Kollaps bis heute keine relevanten Reformen umgesetzt wurden, um den Finanzplatz zu stärken und der UBS wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu sichern.
Doch damit nicht genug. Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter bezeichnete die infantile und beleidigende Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar als «liberal in einem sehr schweizerischen Sinne». Sie wurde damit in ihrer Unterwürfigkeit nur noch von der SVP-Spitzenpolitikerin und Chefin von Ems-Chemie, Magdalena Martullo-Blocher, übertroffen, die noch vor wenigen Wochen in Interviews mit «Handelszeitung» und «Luzerner Zeitung» ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA als «sehr realistisch» beurteilte und sich zur Aussage «Trump liebt die Schweiz» verstieg.
Mehr Fehleinschätzung geht nicht. Man fragt sich, was wohl die Gründe dafür waren: grenzenlose Naivität, ideologische Verblendung, harte Parteiinteressen oder einfach persönliches Wunschdenken.
Auf die von Trump am 2. April präsentierten «reziproken» Zölle von 31% auf Importen aus der Schweiz zeigte sich die Landesregierung überrascht, enttäuscht, ratlos und überfordert – und das zeigt das Ausmass der bisherigen Realitätsverweigerungen auf. Die Situation bleibt für die Schweiz gefährlich: In Washington wartet die US-Regierung nicht darauf, sich von der Schweiz bezüglich der Berechnungsmethode ihrer machtpolitisch motivierten Zölle belehren zu lassen. Trump kann jederzeit unilateral entscheiden, die bislang ausgenommenen Pharmaexporte aus der Schweiz mit Zöllen zu belegen, die Schweiz der Währungsmanipulation zu bezichtigen und die UBS unter Druck zu setzen. All dies notabene, ohne dass die Schweiz irgendwelche Gegenmassnahmen in der Hand hätte.
Die Rückkehr der unilateralen Realpolitik
Die USA diktieren in kompromisslos nationalistischer Realpolitik der Nixon-Kissinger-Tradition ihre Interessen und kennen weder «Special Relationships» (UK) und «Sister Republics» (Schweiz) noch Freunde (Kanada). Nach dieser Logik kann man die Ukraine und das Baltikum Moskau überlassen und Taiwan Peking.
Mit Trumps Zoll-Angriff ist klar, dass die bisherige Strategie der Schweizer Regierung, den helvetischen Sonderfall zu spielen – schmeicheln, lavieren und aussitzen – gescheitert ist. Bern muss die «Shock & Awe»-Politik von Trump, die auf Disruption und Deals ausgerichtet ist, ernst nehmen. Immerhin, die gute Nachricht: Auch Trump hat seine Grenzen. Er wird sich nicht der normativen Kraft der negativen Wirtschaftsentwicklung und der fallenden Börsenkurse entziehen können. Dies wird die USA selbst am schwersten treffen und bei Millionen Amerikanern zu schmerzvollen Einkommens- und Vermögensverlusten führen.
Die EU und Deutschland seit den Bundestagswahlen und mit dem designierten Bundeskanzler Friedrich Merz haben verstanden und unmissverständlich kommuniziert, dass der einzige erfolgreiche Weg in die Zukunft darin liegt, so rasch wie möglich die Eigenständigkeit von den USA zu erreichen. Dabei stehen die strategische Autonomie im Verteidigungsbereich und in kritischen Infrastrukturen zuoberst auf der Prioritätenliste. Dementsprechend setzt Berlin richtigerweise auf massive fiskalische Expansion inklusive Reform der bis anhin sakrosankten Schuldenbremse.
Schweizer Handelspolitik: zentrale Aktionspunkte
Die Handlungsoptionen und Strategien für die Schweiz im eskalierenden Handelskonflikt mit den USA umfassen folgende unerlässliche Aktionspunkte:
- Faktenbasierte und realpolitische Beurteilung der Lage
- Analyse der Wirtschafts- und Kapitalmarktentwicklung als zuverlässigste Vorlaufindikatoren
- Keine Vergeltungsmassnahmen gegen die USA, um das Risiko weiterer Zölle zu minimieren
- Engagierte, illusionslose Diplomatie
- Lobbying und Goodwill schaffen in Washington
- Engste Koordination und Abstimmung mit der EU und das institutionelle Rahmenabkommen vorantreiben
- Wirtschaftsreformen in der Schweiz, um eigene Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu steigern
- Fiskalexpansion unter Reform der zu starren Schuldenbremse, um massiv in Landesverteidigung und Infrastruktur zu investieren
- Handelsbeziehungen international weiter diversifizieren
Die schwierige und anhaltend gefährliche handelspolitische Situation der Schweiz war vorhersehbar und ist weitestgehend selbstverschuldet. Die Schweiz zahlt den Preis für die von nationalistisch-konservativen Kreisen und unheiligen Rechts- und Linksaussen-Allianzen getriebene Abschottungspolitik und des Trittbrettfahrens, die für den desolaten Zustand der Landesverteidigung und die Schwächung des Finanzplatzes verantwortlich sind.
Damit ist der Weg einer engen Kooperation zwischen der Schweiz und der EU nicht nur alternativlos, sondern auch eine grosse Chance. Es gilt in einer von Autokraten dominierten Welt, mit gemeinsamen Kräften demokratische Werte, eine regelbasierte Wirtschaftsordnung gemeinsam zu verteidigen und damit die Rahmenbedingungen für Souveränität, Wohlstand und Sicherheit zu schaffen.
Die Schweizer Politik hat allzu lange im selbstzufriedenen Reaktions-Modus verweilt, um dann erst bei exogenen Schocks zum überstürzten Handeln gezwungen zu werden. Mit den gegenwärtigen, epochalen geopolitischen Konfrontationen sind die Schweizer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gefordert, den Schaden zu minimieren und vor allem diese mehrdimensionale Krise als Chance wahrzunehmen.
Es gilt nun, die Stärken der Schweiz mit politisch geeinten Kräften in einer überparteilichen Allianz der Willigen zu mobilisieren, um die nationale Sicherheit zu rehabilitieren, den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort sowie Finanzplatz Schweiz zu stärken.
Ein wichtiger Punkt eines solchen Aufbruchprogramms wäre, der Landesverteidigung so rasch wie möglich mindestens 2% des Bruttoinlandprodukts zur Verfügung zu stellen. Dies könnte wie in Deutschland unter Umgehung der Schuldenbremse und durch die Emittierung von «Federal Defense Bonds» finanziert werden. Zudem ist eine Anpassung des Kriegsmaterialgesetzes notwendig, damit Exporte in demokratisch regierte Länder möglich sind und die Schweizer Rüstungsindustrie wieder aufgebaut werden kann.
Die Schweiz und unsere europäischen Nachbarn verfügen über eine überaus starke, hoch entwickelte industrielle Basis, weltweit führende Wissenschafts- und Forschungsstätten (ETH/EPFL) sowie die notwendige Kapital- und Finanzierungsbasis. Es gilt nun, die bestehenden Fragmentierungen und strukturellen Hemmnisse zu überwinden um das grosse Potenzial für Wachstum, Beschäftigung, Produktivität und Innovation freizusetzen.
Beat Wittmann
Beat Wittmann ist seit 2015 Chairman und Partner der in Zürich domizilierten Corporate Advisory Firma Porta Advisors. Er blickt auf eine über 35-jährige Karriere im internationalen Kapitalmarktgeschäft zurück, die ihn unter anderem zu den Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse/Clariden Leu sowie zu Julius Bär und zur Raiffeisen Gruppe geführt hat. Im 1985 Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel.