Die «Akzente» waren mehr als ein blosses Publikationsorgan. Sie waren eine Zeit-Mitschrift. Dass der Hanser-Verlag sich nun von der Zeitschrift trennt, ist ein überaus trauriges und unnötiges «factum brutum».
So sehen wohl moderne Begräbnisse aus. Geht man auf die Website des Münchner Hanser-Verlags und sucht die siebzig Jahre in diesem Haus erschienene Literaturzeitschrift «Akzente», kommt man zu einer digitalen Todesanzeige. Unter «Akzente im Überblick» steht: «0 Treffer». Kein einziges Heft ist hier noch angeführt. Obwohl das Periodikum das intellektuelle Schlachtschiff der Hanser-Kultur war. Die Worte des Verlegers Jo Lendle zum Abschied lassen befürchten, dass es nun auch mit dieser vorbei ist.
Man habe beschlossen, die «Akzente» «in neue Obhut zu geben, wo sie künftig in bewährter Weise und mit neuen Impulsen erscheinen werden». Bewährte Weise, neue Impulse. Das ist die Sprache feierabendmüder Landkreispolitiker. Der Dittrich-Verlag aus dem kleinen Weilerswist-Metternich kann sich freuen, das Renommierprodukt künftig in seinem Haus zu haben, aber für Hanser sind es ernüchternde Tage.
Chronik eines chronischen Wandels
Viele Jahrzehnte waren die «Akzente» mehr als ein blosses Publikationsorgan. Sie waren eine Zeit-Mitschrift. Die Chronik einer chronisch im Wandel befindlichen Epoche. Von Walter Höllerer und Hans Bender gegründet, erschienen die «Akzente» 1954 zum ersten Mal. In einem Jahr, das Ähnlichkeiten hat mit dem, was wir heute erleben. Es tobte der Indochinakrieg, die Aufstände in Algerien waren ein weiterer Krisenherd. Auf die Pariser Verträge folgte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Als düstere Gefahr drohte die technische Aufrüstung der Atombombe.
Der Ex-Hanser-Verleger und langjährige Herausgeber der «Akzente» hat diese Zeiten so beschrieben: «Eine seltsame Mischung aus Aufatmen und Atemanhalten, eine innige Verschränkung des Alten mit dem Neuen, von Pathos und Lakonie. Und kein Mensch wusste zu sagen, wie es in zehn Jahren aussehen würde.» Vor zwanzig Jahren hat Michael Krüger diese Sätze im Nachwort eines «Akzente»-Readers formuliert, der längst zu den gedruckten Vermächtnissen einer Ära gehört.
Bei ihrer Gründung ist die Zeitschrift an einer Namenskatastrophe nur knapp vorbeigeschrammt. Die Vorschläge «Urbana», «Alluvium» oder «Die deutsche Revue» waren in der engeren Auswahl. «Akzente» passte gut zu dem, was da berstend bunt nebeneinanderstand. Poesie und Pose, Pamphlet und Welterklärung. In den frühen Nummern wurde Heideggers Hölderlin-Rede abgedruckt. Ingeborg Bachmann schrieb über Robert Musil und später Martin Walser über seinen Namenskollegen Robert.
Vom «Unmöglichen» zu allem Möglichen
Ausgerechnet der Politgünstling Günter Grass machte sich unter dem Titel «Vom mangelnden Selbstvertrauen der schreibenden Hofnarren unter Berücksichtigung nicht vorhandener Höfe» Gedanken über das tragikomische Verhältnis zwischen den Schriftstellern und der Politik. Ernst Jandl veröffentlichte das «alphabet einer macht, mit drei unbekannten». Was im Gedicht mit «u. s. a.» beginnt, endet mit «u. s. w.». Da sind wir heute noch, aber die «Akzente» haben sich schon in den letzten Jahren von ihrer angriffslustigen Diversität verabschiedet.
Jo Lendle unterzog das Magazin 2015 einem Relaunch und beauftragte Autoren mit der Herausgeberschaft einzelner Themenbände. Das erste Heft in dieser Folge war dem «Unmöglichen» gewidmet. Danach aber erschien zu allem Möglichen etwas. Zu Bahnhofsbuchhandlungsthemen wie «Wunder», «Lebensweisheiten», «Witz» oder «Schweigen».
Der «Automatensprache» war der bislang letzte Band gewidmet. «Das Gehirn, beinah täglich stösst es sich, Wort für Wort / Am factum brutum der Nöte», hat der junge Durs Grünbein in den «Akzenten» gedichtet. Dass Jo Lendle dieses Zusammenspiel der Kräfte in seinem Verlag nicht mehr abbilden will, wirkt wie ein überaus trauriges und unnötiges «factum brutum».