Donnerstag, November 28

Während die Anhänger des Hizbullah in den Trümmern von Dahiye trotz herben Rückschlägen Siegesfeiern veranstalten, blicken viele Libanesen skeptisch in die Zukunft.

Der Waffenstillstand ist erst ein paar Stunden alt – aber in Dahiye wird schon gefeiert. Am Eingang zu der schwer beschädigten Schiitenvorstadt, wo in der Nacht noch Dutzende israelische Bomben fielen, stehen junge Männer. Sie schwenken Hizbullah-Fahnen und halten Bilder des verstorbenen Hassan Nasrallah empor. Der Chef der Miliz war Ende September bei einem israelischen Luftangriff getötet worden.

Knapp zwei Monate später wirkt er aber wieder lebendig – zumindest auf den Plakaten der Hizbullah-Anhänger, die immerfort betonen, dass sie ihn im Herzen tragen. Obwohl der Krieg in Libanon eine Spur der Verwüstung, Tausende Tote und einen stark geschwächten Hizbullah hinterlassen hat, feiert die Miliz den Waffenstillstand als Sieg.

«Die ganze Sache zeigt doch, dass die Israeli keine Chance gegen uns haben», sagt Hassan, ein wuchtiger braungebrannter Mann, der vor einem Trümmerhaufen steht und Marlboro Rot raucht. Er habe ein paar Jahre in Berlin gelebt, aber sein Herz sei in Libanon. «Wir sind ein starkes Volk», sagt er. «Die Israeli haben all die westlichen Waffen. Trotzdem kamen sie im Süden kaum voran.»

«Solange es Israel gibt, werden wir weiterkämpfen»

Ein paar Strassen weiter herrschen ähnliche Ansichten. «Natürlich war das ein grosser Sieg für den Hizbullah», sagt Aicha Daoui, die mit ihrem Mann und ihren Kindern hergekommen ist, um den Zustand ihrer Wohnung zu inspizieren. Wo einst ihr Wohnzimmer war, klafft ein finsteres Loch in einer ausgebombten Betonruine. Daoui ist froh, dass der Krieg vorbei ist. Sie glaubt aber nicht, dass der Frieden halten wird. «Solange es Israel gibt, werden wir weiterkämpfen müssen», sagt sie. «Glaub mir, wir sind friedliebende Leute. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder Märtyrer werden. Aber wir haben keine andere Wahl.»

In Wahrheit musste der Hizbullah in dem Waffengang schwere Verluste hinnehmen. Am Ende unterschrieb er einen Waffenstillstand, der genau jenen Bedingungen entspricht, die Israel schon im September verlangt hatte: Die Truppe muss Südlibanon räumen, die Unterstützung für Gaza einstellen und ein von den verhassten Amerikanern angeführtes Überwachungskomitee akzeptieren.

Die Miliz hat nicht nur Tausende Kämpfer verloren, sondern auch ihre gesamte Führungsebene. Mehr denn je ist sie von ihrem iranischen Sponsor abhängig. Doch all das scheint die Freude über das eigene Überleben, das jetzt als Sieg verkauft wird, kaum zu trüben. So überbieten sich die Parlamentsabgeordneten des Hizbullah, die bis vor kurzem noch in Deckung gegangen waren, mit martialischen Deklarationen. Man habe Israel zu einem Waffenstillstand gezwungen, triumphierte Hassan Fadlallah am späten Dienstagabend.

Pessimistisch, was die Zukunft angeht

Der Rest der libanesischen Bevölkerung steht dem nun beginnenden, unsicheren Frieden hingegen skeptisch gegenüber. Zwar wurden die sozialen Netzwerke am frühen Morgen mit Libanon-Fahnen geflutet. Euphorie herrscht jedoch keine – zu ungewiss ist die Zukunft. Nach dem Ende des Krieges mit Israel drohen den Libanesen nun weitere Probleme.

«Der Hizbullah ist zwar geschwächt. Aber er beherrscht Libanon immer noch. Deshalb wird sich hier nichts ändern», sagt ein pensionierter Literaturprofessor namens Ismael. Gemeinsam mit ein paar weiteren alten Männern sitzt er in einem Café in Hamra, eingehüllt in Zigarettenrauch, vor sich eine leere Kaffeetasse. In den Strassen des Westbeiruter Viertels packen derweil ganze Flüchtlingsfamilien, die hier untergekommen waren, ihre Autos, um entweder nach Dahiye oder in den Süden zurückzukehren.

Ismael ist pessimistisch, was die Zukunft Libanons angeht. Ähnlich düster blickt auch Khodor Kamah auf das Land, der in Hamra ein Geschäft für Bilderrahmen betreibt. «80 Prozent der Libanesen waren gegen diesen Krieg», sagt er. «Sie wissen ganz genau, dass der Hizbullah ihn verloren hat. Jetzt müssen sie das alles wieder ausbaden. So kann es nicht weitergehen.»

Die Armee stösst an ihre Grenzen

Laut dem Waffenstillstandsabkommen müsste der Hizbullah jetzt eigentlich seine Waffen abgeben und der Armee überlassen. Ob das geschehen wird, steht in den Sternen. Denn das libanesische Militär, das während des Kriegs bloss eine Zuschauerrolle einnahm, hat eine fast unlösbare Aufgabe vor sich. Es soll in Südlibanon die Grenze sichern, den Hizbullah von dort entfernen, im Land für Ordnung sorgen und am besten auch noch die Rolle des kaum existierenden Staates einnehmen.

Dabei stösst die Armee schon jetzt an ihre Grenzen. Zwar machten sich die Truppenfahrzeuge und Jeeps sofort auf den Weg in Richtung Süden. Aber auf dem Weg dorthin und an der Grenze herrscht das nackte Chaos. Hunderttausende sind trotz Warnungen in ihre Städte und Dörfer im Süden geeilt, wo sie von den immer noch anwesenden israelischen Soldaten zum Teil mit Warnschüssen vertrieben wurden. Unzählige Autos verstopfen die Autobahn. Auch hier sind immer wieder Hizbullah-Fahnen zu sehen, Kinder machen Victory-Zeichen.

Wie lange die Euphorie anhalten wird, ist fraglich. Der Krieg hat im heruntergewirtschafteten Libanon gewaltige Schäden angerichtet. Geld für den Wiederaufbau haben weder der Staat noch die Armee. Und schon gar nicht der scheinbar so siegreiche Hizbullah.

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