Montag, Oktober 14

Der Angriff offenbart eine Schwachstelle in Israels Luftverteidigung – und zeigt, dass die libanesische Schiitenmiliz noch lange nicht besiegt ist. Israel zieht drastische Konsequenzen aus der Attacke.

Die Öffentlichkeit ist nicht willkommen: Vor dem Tor der grossen Trainingsbasis der Golani-Brigaden etwa 15 Kilometer östlich von der Kleinstadt Binyamina entfernt steht ein israelisches Polizeiauto mit blinkendem Blaulicht. Ein weiteres biegt am Montagnachmittag auf die Schotterstrasse ein, die auf den von Palmen umsäumten Militärstützpunkt im Zentrum Israels führt. Die Untersuchungen zum bisher heftigsten Drohnenangriff des Hizbullah sind offiziell noch nicht abgeschlossen.

Journalisten dürfen die Militärbasis nicht betreten, heisst es vonseiten der israelischen Armee. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise lädt das Militär Medienschaffende schnell zu den Orten ein, wo die Raketen des Hizbullah eingeschlagen sind. Doch diese Attacke ist anders.

Kein anderer Angriff des Hizbullah seit Kriegsbeginn forderte so viele Opfer wie die Drohnenattacke auf den Trainingsstützpunkt der Golani-Brigade. Am Sonntagabend wurden vier israelische Soldaten getötet und mehr als 60 weitere verletzt, als die Drohne offenbar in den Speisesaal krachte und dort explodierte. Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen ein grosses Loch in der Kantinendecke, auf dem Boden umgestürzte Stühle und Blut.

Ein Grund für die hohe Opferzahl: Die israelische Luftverteidigung versagte. Vor der Attacke schellten keine Sirenen, die Soldaten konnten sich nicht in Sicherheit bringen.

Hizbullahs Drohneneinheit wird zum ersten Ziel Israels

Der Hizbullah feuerte am Sonntagabend mehrere Raketen und drei Drohnen auf Israel ab. Zwei Drohnen wurden laut der israelischen Armee abgefangen, eine weitere nicht erkannt: Sie stürzte mit einem Sprengsatz in die Militärbasis. Laut einem Bericht der «Jerusalem Post» handelte es sich bei dem Flugkörper um eine Mirsad 1, ein angepasstes Modell einer iranischen Drohne.

Der gleichzeitige Angriff mit Drohnen und Raketen hat die israelische Flugabwehr überfordert. Laut einem Bericht der «Times of Israel» hat die Flugabwehr die dritte Drohne während des Angriffs zwar identifiziert, dann verschwand sie aber vom Radar. Die zuständigen Soldaten seien davon ausgegangen, dass sie abgestürzt sei.

Israels Armee hat sich nun laut der Zeitung zum Ziel gesetzt, die Drohneneinheit des Hizbullah vollständig zu zerstören und jedes Mitglied zu töten. Dies habe ab jetzt im Krieg gegen die Schiitenmiliz Priorität.

«Drohnen sind eine neue Herausforderung»

Der tödliche Angriff zeigt die Fähigkeiten des Hizbullah, die trotz Israels hartem Vorgehen gegen die Schiitenmiliz offenkundig noch nicht ausgeschöpft sind. Am Sonntagmorgen, wenige Stunden vor dem Angriff, teilte Verteidigungsminister Yoav Gallant mit, dass zwei Drittel der Kurz- und Mittelstreckenraketen des Hizbullah zerstört seien. Wie viele Drohnen allerdings noch im Besitz der Miliz sind, bleibt unklar.

Das israelische Luftverteidigungssystem Iron Dome funktioniert sehr gut gegen Raketen. Drohnen fliegen aber teilweise unter dem Radar in hoher Geschwindigkeit und können daher unerkannt bleiben. «Die Drohnen sind eine neue Herausforderung für Israel», sagt Sarit Zehavi am Montag, Leiterin des Alma Research Center. Die israelische Denkfabrik beschäftigt sich mit den Sicherheitsrisiken an der Nordgrenze des Landes.

Bereits in der Vergangenheit konnten Hizbullah-Drohnen unerkannt in den israelischen Luftraum eindringen und diesen wieder verlassen. Im Juni veröffentlichte die Schiitenmiliz etwa ein Video, das eine Drohne von der nordisraelischen Stadt Haifa aufgenommen hatte.

Eine weitere Schwierigkeit für das israelische Militär ist die Landschaft in Südlibanon: Die Berge erschweren es, die Drohnen frühzeitig zu erkennen. Tief fliegende Objekte sind in den Hügeln und Tälern schwierig zu orten.

Doch das bedeute nicht, dass Israel von den Drohnenangriffen überwältigt sei, sagt Zehavi. «Seit Beginn des Kriegs im Norden, am 8. Oktober, wurden über 1000 Drohnen vom Hizbullah auf Israel abgeschossen», sagt sie. Trotzdem seien lediglich elf Israeli durch diese Attacken getötet worden. «Der Angriff vom Sonntag ist katastrophal», sagt Zehavi. «Doch die Abfangrate liegt nie bei 100 Prozent.»

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