Der Deutsche hat fast sein ganzes Leben der olympischen Bewegung gewidmet, nun gibt er das IOK-Präsidium nach zwölf Jahren ab. Der Umgang mit Russland trübt Bachs Bilanz erheblich.
Ein Dienstagnachmittag Ende Februar, Thomas Bach lädt einen ausgewählten Kreis von Schweizer Journalisten zu einem Round-Table-Gespräch in die Maison Olympique nach Lausanne. Anwesend sind fünf Medienschaffende aus der West- und der Deutschschweiz; Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), ist bester Laune.
Am gleichen Abend wird ihm die Stadt Lausanne die Médaille d’or verleihen. Sie ist eine Auszeichnung, mit der Kanton und Stadt seit 1981 Persönlichkeiten ehren, die sich um die Region verdient gemacht haben. Zu den bisher ausgezeichneten Persönlichkeiten zählen auch die Waadtländer Tennisgrössen Stan Wawrinka und Timea Bacsinszky sowie die frühere Leichtathletin Léa Sprunger; sie hatte die Auszeichnung 2023 als letzte vor Bach erhalten.
Die Aussicht, am Abend in Gegenwart des Waadtländer Bundesrats Guy Parmelin geehrt zu werden, erfüllt Bach mit Stolz und Freude. Man hat ihm in den vergangenen zwölf Jahren als IOK-Präsident ja nur selten auf die Schulter geklopft; weit öfter wurde er getadelt und gerügt. Insbesondere sein Umgang mit Russland und dessen Athleten hat wiederholt Anlass zu Kritik gegeben.
Sieben Kandidaten wollen Bachs Erbe antreten
In dieser Zeit hat Bach von Amtes wegen in Lausanne gelebt, wenn er nicht gerade in olympischer Mission unterwegs war. Der Mittelpunkt seines Schaffens ist die olympische Stadt allerdings schon viel länger. Sein ganzes Leben hatte Bach darauf ausgerichtet, dereinst den Olymp zu besteigen und Präsident des IOK zu werden. Ein langjähriger Begleiter sagt, alles, was Bach getan habe, sei auf dieses eine Ziel ausgerichtet gewesen.
Am 13. September 2013 erreichte Bach es: In der Session in Buenos Aires wurde er zum neunten Präsidenten des IOK gewählt. In dieser Woche endet Bachs Zeit an der Spitze der Organisation. Am Donnerstag wird in der IOK-Session in Costa Navarino in Griechenland sein Nachfolger gewählt; sieben Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich um Bachs Nachfolge.
Im vergangenen Dezember ist Bach 71 Jahre alt geworden. Sein Alter und die Amtszeitbeschränkung von maximal zwölf Jahren verhinderten, dass er sich noch einmal zur Wiederwahl gestellt hat. Verschiedene ihm nahestehende Mitglieder aus dem elitären Kreis des IOK sollen im vergangenen Jahr versucht haben, ihn zu überreden, doch noch etwas länger zu bleiben. Bach wäre zumindest nicht abgeneigt gewesen. Es gibt auch Stimmen, die ihm unterstellen, er habe die Idee einer Amtszeitverlängerung selbst eingebracht.
Bach weist solche Spekulationen ins Reich der Phantasie. Offensichtlich kam er gerade noch rechtzeitig zur Einsicht, dass eine weitere Amtszeit ihm und seinem Ansehen eher schaden als nützen würde. Kurz vor dem Ende der Olympischen Spiele im vergangenen Sommer in Paris gab er deshalb bekannt, er werde für keine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen. Am 23. März, drei Tage nach der Wahl seines Nachfolgers, wird er sich ganz aus dem IOK zurückziehen. «Ich werde an keinen weiteren Sitzungen mehr teilnehmen», sagt Bach.
Das IOK ohne Thomas Bach, das scheint momentan noch schwer vorstellbar. Der Deutsche hat fast sein ganzes Leben im Schatten der fünf Ringe verbracht. Zuerst war er Athlet und als solcher Teilnehmer an den Spielen 1976 in Montreal, an denen er mit dem deutschen Florett-Team die Goldmedaille gewann. Später kletterte er als Sportfunktionär unaufhaltsam die Karriereleiter hoch.
Geboren 1953 in Würzburg, stammt Thomas Bach aus eher einfachen Verhältnissen. Die Eltern führten einen Laden für Textilartikel und Schneidereibedarf. Als Bach vierzehn Jahre alt war, verstarb der vom Krieg gezeichnete Vater frühzeitig. Der Sohn studierte Rechts- und Politikwissenschaft, sein Referendariat absolvierte Bach unter anderem im Deutschen Bundestag, wo er mit den Gepflogenheiten und den Mechanismen der Politik vertraut wurde.
Später eröffnete Bach eine Anwaltskanzlei in Tauberbischofsheim. 1985 holte ihn der Adidas-Gründer Horst Dassler in seine Firma, in der Bach fortan für die internationalen Beziehungen verantwortlich war. Später wurde er Präsident der Ghorfa, der arabisch-deutschen Handelskammer, die für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den arabischen Ländern lobbyiert.
Doch Bachs Interesse galt weiterhin in erster Linie der Sportpolitik. Bereits 1981 war er am Olympischen Kongress in Baden-Baden als Athletenvertreter ins IOK gewählt worden. Von diesem Moment an machte er im IOK Schritt für Schritt vorwärts, bis er im Präsidium ankam.
Bach übernahm das IOK-Präsidium zu einem Zeitpunkt, als das Image der Organisation am Tiefpunkt angelangt war: Die Reformen im Nachgang des Bestechungsskandals um die Vergabe der Spiele 2002 nach Salt Lake City schienen reine Lippenbekenntnisse geblieben und ohne Effekt verpufft zu sein. Insbesondere in Europa formierte sich zunehmend Widerstand gegen das IOK und dessen Durchführung der Olympischen Spiele.
Um die Winterspiele 2022 bewarben sich mit Peking und der kasachischen Stadt Almaty dann bloss noch zwei Bewerber aus autokratisch geführten Ländern, die nach mitteleuropäischen Massstäben nur wenig mit Wintersport zu tun hatten. Wo immer es in Europa zu Volksbefragungen kam, lehnten die Menschen die Durchführung der Spiele ab.
Bach begegnete den Vorbehalten gegen den grassierenden Gigantismus und die immer weiter in die Höhe schiessenden Kosten mit der Reformagenda 2020. Sie war das Kernstück seines Wahlprogramms und hatte zum Ziel, die Spiele wieder kostengünstiger und nachhaltiger zu machen. Bachs volle Agenda blieb allerdings immer etwas unscharf und obskur. Als ehemaliger Fechter kennt er die Taktik der Finten und Scheinangriffe aus dem Effeff.
In einem seiner ersten Interviews nach der Wahl in Buenos Aires sagte Bach im Herbst 2014 der NZZ: «Es gibt im Sport zwei Lebenslügen: Die erste ist, Sport hat nichts mit Geld zu tun, die zweite, Sport hat nichts mit Politik zu tun. Sport hatte immer mit Geld zu tun, und Sport hat auch immer mit Politik zu tun. Denn unsere Gesellschaft wird von Politikern regiert. Deshalb kann der Sport auch nicht apolitisch sein. Aber um international überleben zu können, muss er politisch neutral bleiben. Sonst kann er seine Brückenfunktion nicht wahrnehmen.»
Sotschi 2014 und die Pandemie als Tiefpunkte
Das Mantra der Neutralität hat Bach zeit seiner Präsidentschaft nicht losgelassen, doch dezidiert Stellung bezog er nie. Seine Kritiker legten ihm das als Mutlosigkeit aus. Insbesondere seine Haltung gegenüber Russland stiess auf wenig Verständnis.
Die «Süddeutsche Zeitung» unterstellte Bach in einem breit recherchierten Artikel eine ungesunde Nähe zum Kreml und zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Putin persönlich soll Bachs Karriere als Sportfunktionär vorangetrieben und bei dessen Aufstieg ins IOK-Präsidium die Fäden gezogen haben. Bach selbst stellte die Verbindung zu Putin wiederholt in Abrede. Andere Karrieren aus der Sportpolitik wie etwa jene des Schweizers René Fasel, des früheren Präsidenten des Eishockey-Weltverbands, legen allerdings die Vermutung nahe, dass im internationalen Sport kein Weg am Kreml vorbeiführt. Auch der frühere Präsident des Weltfussballverbands (Fifa), Joseph Blatter, und der gegenwärtige Fifa-Präsident Gianni Infantino zeigten sich wiederholt in freundschaftlicher Nähe zum russischen Autokraten.
Die Olympischen Spiele von Sotschi im Jahr 2014 waren Bachs erste an der Spitze des IOK – und zugleich der Tiefpunkt seiner Amtszeit. Sie gipfelten im Skandal um den staatlich organisierten Doping-Betrug der Russen. Der hemmungslose Gigantismus von damals wirft seinen Schatten bis heute über die Spiele. Doch Sotschi 2014 war nicht die einzige Krise, die Bach als IOK-Präsident auszustehen hatte. Auch die Covid-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 stellten ihn und seine Führung auf harte Proben.
Damals profilierte sich der ehemalige britische Mittelstreckenläufer Sebastian Coe als entschiedener und hartnäckiger Gegenspieler des IOK-Präsidenten. Coe fuhr einen viel konsequenteren Kurs gegen die Russen. Bis heute lehnt der von ihm geführte internationale Leichtathletikverband es kategorisch ab, russische Athleten wieder an seinen Wettkämpfen teilnehmen zu lassen. Bach reagierte auf den Vorwurf, das IOK lasse diese Konsequenz vermissen, mit der immergleichen Antwort: Die Aufgabe des Sports sei es, zu integrieren, und nicht, zu spalten.
Bachs letztes Ziel: Sebastian Coe zu verhindern
Der britische Lord Coe, der abseits der Tartanbahn als Organisationschef der Sommerspiele 2012 in London enorm an politischem Profil gewonnen hat, gilt als bester Kandidat für Bachs Nachfolge als IOK-Präsident. Doch sollte Bach seine letzte Aufgabe sorgfältig erledigt haben, wird Coe an der Wahl vom Donnerstag chancenlos bleiben. Viele gehen davon aus, dass Juan Antonio Samaranch junior, der Sohn des langjährigen früheren IOK-Präsidenten, Bachs Favorit und Wunschnachfolger ist. Auf die Frage, wem seine Gunst gehöre, antwortete Bach an jenem Mittwoch in Lausanne mit einem Lachen.
Dass Bach sich nach seiner Demission tatsächlich vollständig aus dem Dunstkreis seiner ehemaligen Weggefährten zurückziehen wird, ist momentan noch schwer vorstellbar. Im besagten NZZ-Interview vor über zwölf Jahren sagte Bach auch: «Die Welt verändert sich. Deshalb sage ich auch: Wir müssen das IOK reformieren. Das ist keine Kritik an meinen Vorgängern. Die Menschen stellen heute andere und vor allem mehr Fragen. Wir leben im Moment in einer äusserst fragilen Welt. Es herrscht grosse Unsicherheit. Da ist es natürlich, dass die Menschen sich Sorgen machen und Fragen stellen.»
Diese Einschätzung hat weiterhin uneingeschränkt Gültigkeit, die Welt ist seither eher noch fragiler geworden. Guido Tognoni ist als ehemaliger Kommunikationschef der Fifa noch immer ein versierter Beobachter der internationalen Sportpolitik; er sagt: «Bach hat sich speziell in den Medien nicht unbedingt Sympathien errungen. Was ich aber bemerkenswert finde, ist die Tatsache, dass er nach wie vor allein mit dem Recht auf die kommerzielle Verwertung der fünf Ringe Milliarden generiert. Dank den Mitteln aus den Olympischen Spielen können sich viele Sportarten am Leben halten, die sonst längst nur noch ein unbeachtetes Nischendasein führen würden.»
Wenn sich Thomas Bach diese Woche als IOK-Präsident verabschiedet, so hinterlässt er eine wirtschaftlich durch und durch gesunde Organisation. Seinem Nachfolger wird es gleichwohl nicht an Herausforderungen mangeln. Die fünf Ringe glänzten auch schon heller als in den vergangenen zwölf Jahren.