Mittwoch, April 2

Kaffee wird immer teurer, und doch boomt weltweit die Nachfrage. Davon kommt nur wenig bei den Produzenten an.

An der New Yorker Terminbörse sind die Preise für Arabica-Bohnen seit Oktober 2023 auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Und es sieht nicht so aus, als würden sie bald wieder sinken.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

«Historisch gesehen gab es beim Kaffee immer Preiszyklen», sagt Vanusia Nogueira. Die Brasilianerin ist seit drei Jahren Generaldirektorin der International Coffee Organization (ICO) in London. «Diese Zyklen dauern in der Regel sechs bis sieben Jahre.»

Nogueira ist die erste Frau an der Spitze der Organisation, die 1962 von den Vereinten Nationen gegründet wurde, um Produzenten und Käufer auf dem Kaffeemarkt an einen Tisch zu bringen. Zuvor hatten Produktions- und Preisschwankungen immer wieder zu schweren Krisen in der Kaffeewirtschaft geführt. In einer solchen Krise stecke die Branche derzeit aber nicht.

Nogueira weist darauf hin, dass Kaffee heute im historischen Vergleich gar nicht so teuer sei, trotz den fast vier Dollar pro Pfund an den Terminmärkten. «Den höchsten Preis hatte Kaffee nach der Ölkrise in den 1970er Jahren», sagt sie. «Im April 1977 kostete ein Pfund Kaffee 16 Dollar 68, hochgerechnet auf das heutige Preisniveau.»

Für den hohen Kaffeepreis gibt es mehrere Gründe – auf der Angebots- und Nachfrageseite, in den Wertschöpfungs- und den Lieferketten.

Manche Farmer leiden an den Folgen des Klimawandels

Glaucio de Castro ist Kaffeefarmer in zweiter Generation. Seine 320 Hektaren grosse Farm liegt in einem der besten Kaffeeanbaugebiete Brasiliens. In Iraí, rund tausend Meter über dem Meeresspiegel, im Cerrado von Minas Gerais, einem Mittelgebirge. Die Region ist prädestiniert für Arabica-Kaffee, der für hochwertigen Espresso und Spezialitätenkaffee verwendet wird.

Doch die Produktion stagniert. «Die letzte gute Ernte gab es 2020 mit 14 000 Sack», sagt Castro. Danach gab es jedes Jahr eine Naturkatastrophe: Frost, Dürre, Hitze. Seine Ernte schrumpfte auf 6500 Sack. Und das, obwohl der Farmer 200 Hektaren seiner Plantage mit Tropfsystemen zur Bewässerung ausgestattet hat.

In diesem Jahr dürfte seine Ernte mit rund 11 000 Säcken besser ausfallen – aber sie wird immer noch deutlich geringer ausfallen als früher. «Der Regen kam im vergangenen Oktober zu spät – deshalb sind viele Blüten vertrocknet», sagt der 55-jährige Farmer, der seit seiner Jugend auf der Familienfarm arbeitet.

Geringere Ernten wegen Trockenheit und Hitze gibt es seit fast fünf Jahren nicht nur in Brasilien, dem grössten Kaffeeproduzenten der Welt. Auch im Nachbarland Kolumbien, der Nummer drei auf dem Weltmarkt, gab es 2023 eine historisch schlechte Ernte.

Seit einem Jahr macht sich der Klimawandel vor allem in Asien negativ bemerkbar. In Vietnam, dem zweitgrössten Kaffeeproduzenten, aber auch in Indonesien sind die Lager leer. Dort werden vor allem Robusta-Bohnen angebaut, die für Espresso und billigere Mischungen verwendet werden. «Die Produzenten dort mussten Kaffee aus anderen Weltregionen zukaufen, um ihre Lieferverträge zu erfüllen – das hat die Preise zusätzlich in die Höhe getrieben», sagt Nogueira von der ICO.

Schlechte Ernten aufgrund extremer Wetterereignisse habe es zwar schon früher gegeben, aber nicht so häufig hintereinander. Nun sei das Angebot fünf Jahre in Folge hinter der Nachfrage zurückgeblieben.

Zuversichtlich stimmt sie, dass Kaffeefarmer weltweit auf den Klimawandel reagieren – mit neuen Kaffeesorten, Bewässerung und alternativen Anbaumethoden. In der Diskussion um den Klimawandel und seine Folgen werde oft vergessen, dass sich die Farmer bereits seit Jahrzehnten technologisch an die veränderten Bedingungen angepasst hätten. So hätten die Produzenten den weltweiten Kaffeeertrag von rund sechs Sack (à 60 Kilo) pro Hektare im Jahr 1960 auf heute 15 Sack kontinuierlich gesteigert.

Zudem gebe es durchaus Regionen, die vom Klimawandel profitieren würden, ähnlich wie beim Wein, sagt Nogueira. Das sei in Südafrika und Australien zu beobachten. Auch in Kalifornien steige die Kaffeeproduktion. Die USA sind nach Europa der grösste Kaffeekonsument der Welt, hatten bisher aber kaum eine eigene Produktion.

Dennoch könnten diese Produzenten mittelfristig die Ausfälle in den traditionellen Anbauländern nicht kompensieren. Nogueira sagt: «Entscheidend ist, dass sich die bisherigen Hauptproduzenten auf den Klimawandel einstellen.»

Die Nachfrage nach Kaffee wächst trotzdem

Die Branche spürt bis jetzt keinen Rückgang des Konsums. Im Jahr 2024 stieg der weltweite Kaffeekonsum trotz Rekordpreisen um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Europa, wo ein Drittel des Kaffees weltweit getrunken wird, stieg der Absatz um 2,2 Prozent. In den USA führte der Boom bei trinkfertigen Kaffeeprodukten sogar zu einem Konsumplus von 12 Prozent gegenüber 2023.

Der Grund für den wachsenden Verbrauch trotz steigenden Preisen, so Nogueira: «Kaffee ist für viele Menschen unabdingbar. Sie brauchen ihn im Alltag.» Vor allem in den reicheren Ländern der Welt sei der Konsum daher relativ preisunelastisch, er reagiert also kaum auf den Preis. Der einzige Unterschied: Wenn die Preise steigen, trinken viele Menschen ihren Kaffee häufiger daheim statt im Café.

Anders sieht es in Gesellschaften aus, in denen der Kaffeekonsum neu ist. Also zum Beispiel in den aufstrebenden Volkswirtschaften im Nahen Osten, in Lateinamerika oder Asien. Bei steigenden Preisen wechseln die Menschen dort wieder zu Tee.

Rekordpreise führen nur verzögert zu Investitionen

Farmer Castro hat vom Ansteigen der Kaffeepreise bisher wenig profitiert. Die Hälfte seiner Ernte hat er schon früher zu einem deutlich niedrigeren Preis verkauft, als er ihn heute erzielen könnte. So erhielt er für den 60-Kilo-Sack umgerechnet nur 260 Dollar statt der 450 Dollar, die er heute auf dem Spotmarkt bekommen würde. «Aber wir mussten erst einmal Schulden abbauen.»

Denn mit den geringeren Ernten der letzten Jahre sind die Kosten rasant gestiegen, etwa die Preise für Dünger und Diesel. Die Personalkosten machen zwischen einem Drittel und der Hälfte der Gesamtkosten aus – Tendenz steigend. Es werde immer schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. «Die jungen Leute wollen nicht auf dem Land leben», sagt Castro. Zwar sei die Ernte heute weitgehend mechanisiert. Aber die Pflege der Plantagen sei nur von Hand möglich.

Trotz den hohen Preisen zögert Castro, noch mehr von seiner Ernte im Voraus zu verkaufen. «Ich will sicher sein, dass ich auch liefern kann», sagt der Farmer. Er will vermeiden, teuer zukaufen zu müssen, um seine Verträge zu erfüllen. «Ab Juni wissen wir genauer, wie die Ernte ausfallen wird.»

Wegen der hohen Preise würden jetzt viele Bauern ihre Sojafelder in der Region in Kaffeeplantagen umwandeln. Doch bis diese mit der Produktion beginnen, dauert es mindestens drei Jahre. «Und dann haben sich die Investitionen noch lange nicht amortisiert», sagt Castro.

«Noch erzielen die wenigsten Produzenten so hohe Erlöse, wie der Kaffeepreis vermuten lässt», sagt Nogueira. Das sei ähnlich wie beim Kakao. Dort sind die Preise zwar noch stärker gestiegen, doch profitieren vor allem die Zwischenhändler. Denn viele Bauern haben, so wie Castro, ihre Ernte zuvor zu niedrigeren Preisen verkauft, weil sie sich finanzieren mussten.

Wie die Politik die Preise antreibt

Zunehmend wirkt sich die Weltpolitik auf den Kaffeemarkt aus. So sei Russland ein grosser Kaffeekonsument – aber auch ein wichtiger Düngerlieferant, sagt Nogueira. «Doch die Logistikkette dorthin ist wegen der Sanktionen an einigen Stellen unterbrochen.» Im Nahen Osten wirken sich die Angriffe der Huthi auf die Handelsschifffahrt stark auf die Kaffeelogistik aus. Zudem befürchtet die Branche, dass die aggressive Strafzollpolitik der USA nicht nur den lokalen Absatz, sondern den gesamten Kaffeehandel treffen könnte. «Zum Beispiel, wenn die USA Strafzölle gegen Staaten verhängen, die ein Kaffeeabkommen mit China abgeschlossen haben», erklärt Nogueira.

Auch die politische Entwicklung in Deutschland nach der Bundestagswahl werde von der Kaffeebranche genau beobachtet. Denn Deutschland ist ein wichtiger Importeur von Rohkaffee und der weltweit grösste Exporteur von Kaffeeprodukten – und hat eine starke Stimme in der EU. «Wenn sich jetzt die Politik der Bundesregierung gegenüber Europa ändert, kann das schnell auch den Agrarprotektionismus oder die Förderprogramme für kleine und mittlere Kaffeebauern betreffen», sagt Nogueira. Eine andere Frage sei, wie die neue Regierung zum EU-Mercosur-Abkommen stehe. «Das sind alles offene Fragen», sagt sie.

EU-Bürokratie sorgt für Unsicherheit

Für Nogueira sind die unklaren Marktzugangsbedingungen in der EU einer der entscheidenden Preistreiber für Kaffee weltweit. Denn Europa ist mit Abstand der grösste Kaffeekonsument der Welt. Doch die EU führt Auflagen ein, die die Kaffeeproduzenten weltweit massiv treffen würden: etwa die Nachhaltigkeitsberichterstattung oder das Lieferkettengesetz. Die Entwaldungsverordnung, die den Import von Produkten verhindern soll, die auf gerodeten Regenwaldflächen produziert wurden, ist gerade erst um ein Jahr verschoben worden. Auch die anderen genannten Auflagen sollen nun abgeschwächt und mit längeren Fristen versehen werden.

Das Problem sei damit aber nicht gelöst, sagt Nogueira. Das grösste Ärgernis für die Produzenten sei die anhaltende Unsicherheit. Ein Beispiel: Noch wenige Tage vor Weihnachten sei nicht klar gewesen, ob die Auflagen zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten würden. Es habe monatelange zähe Diskussionen in Brüssel gegeben.

Die regulatorische Unsicherheit führe zu höheren Preisen, sagt Nogueira. Zum einen, weil die ganze Umstellung für die Produzenten teuer sei. Zum anderen würden die Verarbeiter in Europa vorsichtshalber ihre Lager füllen, weil sie nicht wüssten, ob sie demnächst noch Kaffee aus Land A oder B bekommen.

Die niedrigen Bestände in den von den Börsen überwachten Lagerhäusern treiben die Preise an den Terminmärkten weiter in die Höhe – was nicht nur spekulative Händler, sondern bei den Produzenten auch Kriminelle anlockt. So komme jetzt weltweit häufiger gefälschter Kaffee auf den Markt, dem Kaffeeabfälle oder andere Dinge beigemischt werden.

Wegen der hohen Preise gebe es spezialisierte Banden, die Lager ausräumen oder Lastwagen überfallen, sagt der Farmer Castro. Kaffeesäcke im Wert von rund 100 000 Dollar transportiert ein Lastwagen über Land. «So eine Ladung ist inzwischen richtig viel Geld wert.» Aber auch der Kaffee noch an den Sträuchern in den Plantagen lockt Diebe an: In einer halben Stunde können sie einen 60-Kilo-Sack mit Kirschen füllen. Der Wert: Rund 450 Dollar.

Exit mobile version